Verblüffend, wie viele Politprofis, Kommunikationsstrategen und Taktiker es gibt, die jetzt Gaulands „Vogelschissgate“ bewerten. Dabei brauchen wir nicht zu spekulieren, welche Wirkung das hat. Wir werden es sehen. „Hätte er besser?“, „sollte er nicht?“, „wie kann er?“ – alles müßig. Mal wieder Hysterie im Hühnerhof.

Mir erscheint nach - anfänglicher Verwunderung – das, was die AFD im Zusammenhang mit der „Nazischuld“ treibt, mittlerweile richtig. Ein Bild drängt sich mir auf: Da ist ein großes Rohr, das durch einen Stein, oder einen Kalkpfropf verstopft ist. Wasser fließt nur recht spärlich heraus, aber man hat sich daran gewöhnt. Ist eben so. Und dann kommt jemand mit einem großen Vorschlaghammer und macht sich daran, die Blockade zu beheben. Jeder Schlag ist laut und nervend und schreckt die Anwohner auf. „Lass es sein“, wird gerufen. Geht doch auch so. Hat schon einen Sinn! Was soll das? Das bringt doch nichts, du störst uns nur!

Aber jeder dieser Nerv tötenden, grobschlächtigen Hammerschläge wird den Pfropf etwas mehr lockern und irgendwann wird er zerfallen und fortgespült werden. Erst dann werden auch die meisten Kritiker jubeln, wenn sie sehen, wie frei und kräftig das Wasser wieder fließt.

Ja, es ist wieder die Zeit, in Bildern zu denken. Der naive Hyperrationalismus ist am Ende. Zu den Millionen Seiten und Sendeminuten zum Nationalsozialismus kann man noch weitere Millionen hinzufügen, es wird nichts ändern. Irgendwann muss es der Vorschlaghammer sein.

Und jetzt ist ein guter Zeitpunkt. Ich gehöre zu einer Generation, die nach dem Krieg geboren wurde. Ich würde fast tagtäglich mit „Nazischuld“ überschüttet, die notdürftig als „Naziaufklärung“ kaschiert wurde. Der Geschichtsunterricht in der Schule dreht sich, so will mir heute scheinen, fast ausschließlich um das Dritte Reich. Unzählige Bücher und Zeitungsartikel wurden veröffentlicht. Auf ZDFinfo laufen noch heute, fast in Dauerschleife, Nazidokus wie „Hitlers, Freunde“, „Hitlers Frauen“, „Hitlers Hoden“ etc..

Ich habe mich irgendwann an diesen medialen Overkill gewöhnt. Ich war zwar zur Zeit des Dritten Reiches noch nicht geboren, aber ich bin der Sohn von „Nazis“ und wurde von ihnen sozialisiert. Offenbar Grund genug, mich gleich mit zu „desinfizieren“. Aber nun leben, wie mein Sohn, Generationen hier, die nicht nur nicht dabei waren, sondern die auch keinen mehr kennen, der dabei war. Jetzt reicht es. Diese Generation hat das Recht ohne konstruierte Kollektivschuld zu leben, wenn sie schon das Pech hat, in Deutschland geboren worden zu sein.

Ich finde die Kritik der AFD-Freunde hier an Gauland lächerlich. Ich habe die AFD gewählt, weil sie Tabus bricht, weil sie auch schmerzliche Konfrontation mit dem verkarsteten System nicht scheut, weil sie auch mal den Vorschlaghammer benutzt. Wenn noch etwas hilft, dann ist es das. Aber viele hier gehören offenbar der Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass-Fraktion an, die bei dem Schlag mit dem Vorschlaghammer ängstlich zusammenzuckt und sich in laienhaften Spekulationen ergeht. Sie verkennen, wie tief wir im Morast stecken.

Über die mittelfristige Wirkung der Worte Gaulands will ich nicht spekulieren. Den Hasenfüßen möchte ich allerdings sagen, dass ich mir vorstellen kann, dass diese Hammerschläge auch bei jungen Menschen etwas bewegen. Sehen wir jetzt mal von Hardcore-Antifas ab, warum sollte ein junger Deutscher, der nun wirklich gar keinen Berührungspunkt mit der Nazi-Vergangenheit mehr hat, diese Schuld akzeptieren? Sicher werden auch diese noch von Gaulands Hammerschlag aufgeschreckt, aber der nächste oder übernächste Schlag wird vielleicht etwas bewegen oder für Erleichterung sorgen.

Ich denke, nun ist die Zeit, in der sich die Spreu vom Weizen trennt. Ich hatte gestern Joachim Steinhöfels Post verlinkt, in dem er sein Entsetzen über Gaulands Aussage zum Ausdruck brachte. Man sollte genau hinschauen, wo die Menschen sitzen, die wirklich hinter einem Neuanfang stehen. Der Satz Gaulands ist auch ein Scheidebrett.

Zum Abschluss möchte ich noch etwas sehr Persönliches loswerden, was sicherlich eingehender Argumentation bedarf. Hier soll das Statement reichen.

Schon in jungen Jahren, als man mich in der Schule mit der Schuldfrage konfrontierte, und ich akzeptierte, dass das so sein müsse, damit „so was nie wieder passiert“ (auch heute bin ich noch der Ansicht, dass nahezu alles gerechtfertigt ist, damit so etwas nicht wieder geschieht), hatte ich erhebliche Zweifel, ob das, was man uns da vorbetete, dazu geeignet ist, ähnliche Abartigkeiten menschlicher Verblendung zu verhindern. Für mich waren das geist- und seelenlose Alibiveranstaltungen, die am Thema vorbeigingen.

Jahre später, als ich die „Massenpsychologie des Faschismus“ von Wilhelm Reich las, hatte ich den Eindruck, dass Reich wesentlich besser an die Ursachen des kollektiven Wahnsinns rührte. Reich hatte bei der Erstfassung auf den Nationalsozialismus gezielt; später hat er seine Erkenntnisse dann auch auf den Sowjetkommunismus ausgedehnt. Ich habe vor zwei Jahren schon versucht aufzuzeigen, warum die Kernaussagen auch auf eine bestimme Religion zutreffen.

Keine Frage, für mich ist der Holocaust die menschliche Perversion, die mir das meiste Grauen verursacht. Auch, als ich in späteren Jahren mehr über andere menschliche Massenverbrechen erfuhr, die unfassbaren Säuberungswellen Stalins, die 50 Millionen Opfer Maos, die 10 Millionen toten Kongolesen, die Belgien zu verantworten hat oder die Auslöschung der indigene Urbevölkerung Amerikas.

Ich habe mich oft nach dem Grund gefragt, warum der Holocaust für mich eine so herausragende Stellung einnimmt. Ich denke, es liegt an seiner industriellen, durchbürokratisierten Dimension, die Menschen vollkommen verdinglichte, sie kaltherzig zu Nummern machte, ihnen die Person absprach.

In habe mir gesagt, wenn man das verhindern könnte, wenn Menschen nie wieder versachlicht werden, zum Gegenstand bürokratischer Prozesse gemacht werden dürften, dann ist sehr viel getan, damit so etwas in der Form nicht wieder geschieht.

Leider muss ich feststellen, dass genau dieses in immer größerem Maß geschieht. Menschen werden zu Nummern in Verwaltungsakten. Bürokraten werden zu Herren über das Schicksal von Menschen.

Nun gut, wenn dem so ist, so mein rein persönliches Statement, dann könnt ihr Heuchler euch den ganzen Aufklärungs- und Schuldmurks sparen. Denn dann habe ihr kein wirkliches Interesse daran, dass „so etwas nie wieder geschieht“.

Dann können wir die 12 Jahre Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ zu den Akten legen.

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