Unter Putinologie versteht man mittlerweile die Wissenschaft, die darin besteht, zu versuchen, den russischen Präsidenten Putin zu verstehen, seine Motive zu erkennen, etc.

Die Putinologie ähnelt im gewissen Sinne der Kremlologie im Kalten Krieg, also der Versuche westlicher Wissenschafter, Journalisten, Botschafter, etc., zu versuchen, die oft intransparenten Abläufe im Kreml zu verstehen und zu analysieren.

Eine dieser kaum publizierten putinologischen Theorien ist die, der Irakkrieg der (hauptsächlich westlichen) "Koalition der Willigen" (USA, GB, Sp, It, Tsch, Pl, etc.) beginnend im Jahr 2003 hätte Putin radikalisiert.

Dieser Irakkrieg des Jahres 2003 beruhte nicht auf einer expliziten, maßgeschneidertem UNO-Sicherheitsratsresolution, sondern Bush, Blair & Co. beriefen sich bei diesem Krieg auf 2 alte UNO-Sicherheitsratsresolutionen.

Diese Vorgangsweise ist stark umstritten, und zahlreiche Völkerrechtler stufen sie als völkerrechtswidrig ein.

Aber nicht nur das, sondern der Westen (bzw. die damalige "Koalition der Willigen" ) tat auch frei nach Bushs Motto "We can do this alone" nichts, um Russland und China einzubinden, durch zum Beispiel Gewährung einer (russischen) Besatzungszone, so wie das zum Beispiel in Deutschland und Österreich in der Zeit zwischen 1945 und 1947 bzw. zwischen 1945 und 1955 der Fall war.

Man könnte sagen, indem der Westen das Völkerrecht im Irakkrieg brach, erlaubte er Putin und Xi Jinping , ihrerseits das Völkerrecht zu brechen, zum Beispiel in der sogenannten "Annexion der Halbinsel Krim" oder der Behandlung der Uiguren in Sinkiang.

In der Tat änderte sich das Verhalten des russischen Präsidenten Vladimir Vladimirowitsch Putin ca. im Jahr 2003: nachdem er 2001 sehr kooperativ mit dem Westen gewesen war und die Afghanistan-Intervention ab 2001 im UNO-Sicherheitsrat unterstützt hatte,

machte er 2003 erstens die Profit Sharing Agreements aus der Jelzin-Ära rückgängig (so ähnlich wie der chilenische Präsident Allende, der eben deswegen unter Beteiligung des CIA und des US-State-Depaertment gestürzt wurde, US-Vermögen verstaatlichte), und begann damals 2003 nach dem Irakkrieg, die Demokratie zurückzudrängen und Russland in eine stärker autoritäre Richtung zu führen.

In Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2008 kritisierte Putin die Unipolarität, also die Vorherrschaft einer Großmacht, der USA, und er forderte stattdessen eine Multipolarität. Diese Multipolarität entsprach gewissermaßen der UNO-Charta, die von 5 privilegierte Großmächten, also Polen (Mehrzahl von Pol) ausging, nämlich USA, GB, F, Russland und VR China, bzw. damals im Jahr 1948 USA, britisches Empire, französisches Kolonialreich, Sowjetunion und Republik China. (Die Übertragungsmechanismen der Vetorechte bei Reichszerfall oder Staatenzerfall wären ein anderes Thema)

Putin liess dritte und vierte Möglichkeiten, wie die des echten Multilateralismus, bei dem weder ein Pol noch mehrere Pole soviel Macht haben, dabei außer Acht.

Die Frage, ob Unipolarität oder Multipolarität besser ist, ist eine komplizierte, und es gibt für beide Positionen einige Argumente.

Ein Argument für Unipolarität (also die Vorherrschaft eines Hegemons, einer dominanten Macht) ist, dass es dann keine Kriege zwischen den Großmächten gibt.

Ein Argument für Multipolarität ist, dass die verschiedenen Kleinstaaten dann zwischen mehreren Großmächten als Schutzmacht wählen können, und die Folgeeffekte davon.

Allerdings ist die Variante der Multipolarität, die wir derzeit haben, sicher nicht die beste mögliche. Und man kann auch den Eindruck haben, die Multipolarität, bzw. deren potenzielle Vorteile sei für Putin nur Vorwand, aber nicht wirkliches Ziel.

Die Theorie, der vom Westen, von der "Koalition der Willigen" (Deutschland und Frankreich nahmen daran nicht teil) geführte Irakkrieg 2003ff., bzw. die Art und Weise der Durchführung desselben hätte Putin radikalisiert, wird im Westen kaum erwähnt oder publiziert.

Ich habe nur zwei Personen in den letzten 20 oder 25 Jahren erlebt, die diese Putin-durch-Westen-radikalisiert-Theorie erwähnten:

die eine war Fiona Hill, frühere Mitarbeiterin im US-Aussenministerium (wegen Trump zurückgetreten), die andere war Manfred Novak, mittlerweile emeritierter Universitätsprofessor für Völkerrecht an der Universität Wien am Rande eines Vortrags vor ca. 10 Jahren.

Man könnte allgemein an der UNO, bzw. der UNO-Charta kritisieren, dass die Struktur des UNO-Sicherheitsrats mit den 5 Vetomächten, die alles blockieren können, und dies oft tun, zu einer gewissen Kompromißlosigkeit und Konfrontation und gegenseitiger Blockade führt.

Auf jeden Fall lässt die Putin-durch-Westen-radikalisiert-Theorie zahlreiche Dinge in einem potenziell anderen Licht erscheinen:

falls Putin das theoretische Völkerrecht nur deswegen gebrochen haben sollte, weil der Westen es zuerst brach, so stellt sich natürlich die Frage, ob der Westen an Putins Völkerrechtsbrüchen mitschuld sei. Womit das Ganze dann hinauslaufen würde auf eine Theorie der geteilten Schuld für zahlreiche Konflikte der letzten 30 Jahre.

Ich halte diese Putin-durch-westlichen-Irakkrieg-radikalisiert-Theorie auf jeden Fall für krass unterbetont im Westen und in den westlichen Medien.

Aber das angebliche Monster verkauft sich eben besser für die westlichen Medien, und auch für westliche Kriege und Interessen von westlichen Politikern und Investoren kann es vordergründig besser erscheinen, Putin als Monster darzustellen, als Hitler. In Anlehnung an die übliche "Darth Vader"-, "Reich des Bösen"-, "Star Wars"-, "Achse des Bösen"-Rhetorik, wie sie auch Reagan praktizierte.

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