Syrienflüchtlingsaufnahme Merkels Versuch, Putins Angriff auf die Ukraine zu verhindern ?

Rechtsextremisten und Linksextremisten behaupten ja oft und gerne, Deutschland sei ein Sklave der USA, wegen NATO und so, und weil man immer leicht den Eindruck haben kann, der Größere würde bestimmen und der Kleinere folgen.

Aber es gibt zahlreiche Fälle, die dieser links-rechts-extremen Behauptung widersprechen: beim Irakkrieg 2003 wollten die USA (und auch GB, Polen, Italien und zahlreiche weitere Europäer) die Unterstützung von Deutschland und Frankreich, aber Deutschland und Frankreich weigerten sich, was sie auch konnten, weil die NATO ein Verteidigungsbündnis war, und der Irak-Fall kein NATO-Verteidigungsfall.

Bei der Libyen-Intervention, die übrigens aufgrund Initiative von Frankreich/Sarkozy erfolgte, nicht aufgrund von Initiative der USA, weigerte sich Deutschland, die französisch-amerikanische Position zu unterstützen, und enthielten sich im UNO-Sicherheitsrat der Stimme.

Bei NATO-Gipfel in Bukarest 2008, bei dem USA, GB, Baltikum und Polen zur Aufnahme der Ukraine in die NATO drängten, weigerten sich Deutschland und Frankreich, diesem Drängen nachzugeben, und verhinderten durch ihr Vetorecht einen NATO-Beitritt der Ukraine, der vermutlich Putins Angriffskrieg auf die Ukraine verhindert hätte. NATO-Vertraglich konnten Deutschland und Frankreich das, weil eine Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO laut Vertrag die Zustimmung ALLER bisheriger NATO-Mitglieder erfordert.

Während also die links-rechts-extreme Behauptung, Deutschland sei ein willenloser Sklave der USA, als ziemlich blödsinnig erscheint, blieb ein anderer Aspekt weitgehend unerwähnt: Deutschland verhielt sich in den ersten 22 Jahren dieses Jahrhunderts sehr oft sklavisch gegenüber Putin/Russland, vermutlich aus verschiedenen Gründen: das russische Gas und Öl, und weil Deutschland der Profiteur der Ordnung nach dem zweiten Weltkrieg war, und diese möglichst lange aufrechterhalten wollte.

Die politische Situation nach dem zweiten Weltkrieg war für Deutschland (und Österreich) in gewisser Hinsicht sehr bequem: von diesen Ländern wurde als Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus erwartet, dass sie sich aus dem Militärischen weitgehend heraushielten, was dazu führte, dass sie beide sehr niedrige bis gar keine Verteidigungsausgaben hatten, wodurch sie das Geld für Anderes ausgeben konnten, und sich auf die Wirtschaft konzentrieren konnten. Daher auch der "Sicherheitsschmarotzer"- und "Trittbrettfahrer"-Vorwurf gegen diese Staaten, also der Vorwurf, Deutschland und Österreich würden durch diese Sondersituation profitieren, ohne einen angebrachten Sicherheitsbeitrag zu leisten, den alle Anderen leisten mussten.

Im Unterschied zu praktisch allen anderen Ländern wären die Umstellungskosten für Deutschland (und Österreich) von Null- oder Fast-Null-Verteidigungspolitik zu einer normalen Politik, die auch Sicherheitsausgaben beinhält, sehr hoch gewesen und sind es auch.

Eines der Resultate dieser deutschen Neigung, die für Deutschland sehr angenehme Situation möglichst lange aufrechtzuerhalten, mag die deutsche Weigerung gewesen sein, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Hier tat Deutschland genau das, was Putin wollte, der vermutlich damals schon den Gedanken hatte, die Ukraine zu überfallen.

Auch mit dem Minsk-Abkommen von 2015 taten Deutschland und Frankreich in etwa das, was Putin wollte - eben deswegen stimmte Putin ja trotz einigen Vorbehalten dem Minsk-Abkommen zu, während aus USA, GB, Polen und Baltikum massive Kritik am Minsk-Abkommen und Deutschland/Frankreich/Merkel/Hollande kam.

Auch bei der Syrienflüchtlingsaufnahme machte Merkel genau das, was Putin wollte: der Syrienkrieg, bzw. Syrienbürgerkrieg war sehr wesentlich ein Krieg zwischen einer Allianz Putin-Assad-Iran-Alawiten-Schiiten auf der einen Seite gegen Sunniten-Saudi-Arabien-Türkei auf der anderen Seite gewesen.

Wenn Deutschland nicht zahlreiche syrische Sunniten aufgenommen hätte, dann hätten Putin-Assad-Khamenei viel größere Probleme gehabt, die Situation in Syrien unter Kontrolle zu bekommen, dann hätte es in Syrien mehr Krieg oder mehr Terror gegeben, und Putin hätte nicht den leichten Sieg erzielen können, den er letztlich erzielte, auch weil Merkel die syrisch-sunnitischen Flüchtlinge aufgenommen hatte.

Es stellt sich nun die Frage, was Merkel mit dieser Politik bezweckte: glaubte sie, man könne mit dieser Kooperation/Unterwerfung unter Putin/Russland Putin zufrieden stellen und für ewig zu einem Partner machen (in diesem Fall wäre ihre Politik wohl eher gescheitert) ?

Oder glaubte sie, man könne mit dieser Kooperation/Unterwerfung unter Putin/Russland den Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ein bisschen (von 2000 bis 2022?) verzögern, und solange noch den Wirtschaftsbonus, den Deutschland durch diese Sondersituation genoss, verlängern ?

(in diesem Fall wäre ihre Politik erfolgreich, bzw. eher erfolgreich)

Auf jeden Fall war Merkel in der konkreten Situation von 2015/2016 auf ihre sehr gemäßigte Art "angefressen" (unzufrieden mit) auf ihren österreichischen Parteifreund/Parteifeind Aussenminister/Kanzler Kurz, und das nicht völlig zu Unrecht. Österreich war von der Interessenslage her ähnlich die Deutschland: stark abhängig von russischem Gas, Profiteur der Sondersituation nach dem Zweiten Weltkrieg, wirtschaftlich stark mit Russland verflochten.

So gesehen wäre es plausibel gewesen, wenn Kurz Merkels Politik unterstützt hätte, hat er aber nicht, sondern ganz im Gegenteil Merkel scharf dafür kritisiert, dass sie eine Politik betrieben hatte, die auch Österreich genutzt hatte, die es Österreich ermöglicht hatte, ohne Verteidigung zu leben, und Profiteur der Sondersituation zu sein.

Aber Kurz dachte vermutlich so: "Wenn schon die mächtige Merkel das sachlich für uns Richtige, aber wahlpolitisch für sie Falsche macht, dann können wir als international-machtlose ÖVP genau das Gegenteil machen: nämlich das Sachlich-Falsche, aber Wahlpolitisch-Richtige. Und so entstand eine Situation, in der Merkel die Wahlen verlieren musste, hingegen der Merkel-Politik-Profiteur Kurz die Wahlen gewinnen konnte, und das gleich zwei mal (2017 und 2019).

Allerdings scheiterte Kurz an seiner eigenen Hinterfotzigkeit oder der Hinterfotzigkeit seiner Entourage (mit der man Parteikollegin Merkel ins offene Messer laufen liess), als aufflog, dass die Kurz-Clique auf Steuerzahlerkosten falsche Umfragen in Medien gekauft hatte, um innerhalb der ÖVP gegen Mitterlehner putschen zu können. Und geht nicht nur um die Hinterfotzigkeit, sondern auch um die Erfolgschancen einer solchen Politik, Putin zu besänftigen: mit Unterstützung von Kurz wäre eine solche Politik, zu versuchen, den Ukrainekrieg zu verhindern, chancenreicher gewesen als ohne ihn, so gesehen kann man die These vertreten, dass Kurz ein gewisses Maß an Kriegsschuld beim Ukrainekrieg trifft, was nicht bedeuten soll, Putin sei schuldlos - ganz im Gegenteil: ihn trifft der Hauptteil der Schuld.

Aber zurück zu Merkel: war es eine für Deutschland nützliche Politik, den Ukrainekrieg hinauszuschieben, bzw. zu verhindern zu versuchen ?

Unter Berücksichtigung aller Umstände erscheint das durchaus plausibel.

Im politischen Diskurs und in den Medien dominiert immer nur das Negative, immer nur die Skandale, während das Gute verschwiegen wird, frei nach dem Motto: "Wenn man Dir gibt, dann nimm. Wenn man Dir nimmt, dann schrei!" Und dieses Geschrei beim Negativen beim gleichzeitigen Verschweigen des Positiven im politisch-medialen Diskurs ist einer der Gründe, warum man an der Demokratie (ver)zweifeln kann, warum man die Demokratie als ungeeignete Regierungsform empfinden kann, zumindest in einer momentanen Stimmungslage, frei nach Churchills Sager: "Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem normalen Wähler".

Hier spricht Churchill den "Normalitäts"-Begriff an, der in den letzten Wochen ein so umstrittener Begriff war in der Inner-Regierungs-Debatte zwischen ÖVP und Grünen: die ÖVP bezeichnete sich selbst als normal, hingegen die Klimakleber und Rechtsextremisten als nicht-normal, während der grüne Vizekanzler Kogler diese "Normalitäts"-Rhetorik als "präfaschistoid" bezeichnete.

Dieses "Präfaschistoid" wurde oft verfälscht, so als hätte er "präfaschistisch" oder "faschistisch" gesagt, was er aber nicht hat.

"Präfaschistoid" bedeutet entweder "Vor dem, was so ähnlich ist wie der Faschismus" oder "So ähnlich, wie das, was vor dem Faschismus kommt".

Auf jeden Fall kann eine derartige Ähnlichkeit auch eine sehr entfernte Ähnlichkeit sein, so gesehen ist der Begriff relativ harmlos.

Auch der Begriff der "Normalität", so wie die ÖVP ihn verwendet, ist relativ harmlos, wenn man ihn mit der "Corona-Wahn", "Gender-Wahn", "Multikulti-Wahn"-Rhetorik der FPÖ vergleicht (es gibt in der FPÖ-Rhetorik noch so ein paar "XY-Wahn"-Elemente, die mir momentan nicht einfallen).

So gesehen ist sowohl Kogler "präfaschistoid" die Mäßigung von "präfaschistisch" oder "faschistisch", ebenso wie "Normal" die Mäßigung von "Corona-Wahn"-"Gender-Wahn"-"Multikultiwahn" ist.

So gesehen erscheint der "Streit" zwischen ÖVP und Grünen als typische Sommerloch-Debatte, als Sturm im Wasserglas.

Der Normalitätsbegriff ist insofern legitim, als jede Extremismus-Definition logischerweise auch das Nicht-Extreme, das Normale definiert.

Und üblicherweise sind es oft extremistische Parteien, die den Extremismusbegriff und den Normalitätsbegriff verbieten wollen.

Aber noch einmal zurück zu Churchill: sein Normalität-Begriff läuft darauf hinaus, dass der normale Wähler ein Grund sei, an der Demokratie zu zweifeln, bzw. die Demokratie für ungeeignet zu halten. Allerdings kann oder muss man unterscheiden zwischen normaler Basis und normaler Elite: wenn auch die politische Basis, der normale Wähler, der kleine Mann oder die kleine Frau, völlig ungeeignet sein mag zur Staatsführung, so trifft das auf normale politische Eliten nicht zu.

Weil unsere Gesellschaft arbeitsteilig ist, und die Experten für Geschichte und Politik und Staatsführung eben mehr davon verstehen als der "normale" Wähler oder die "normale" Wählerin.

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