"Wahlkampf ist die Zeit der fokussierten Unintelligenz", sagte Michael Häupl, der frühere Wiener Bürgermeister, SPÖ, einmal. Und da wir gerade Wahlkampf haben, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Ebene mancher Bundesländer, werden wieder einmal Themen auf die Schnelle abgehandelt, ohne die nötige Tiefe, wie mir auf den ersten Blick erscheint:

Verschiedene Politiker oder Politiknahe haben sich zum Thema des angeblichen Landärztemangels geäußert.

So forderten zum Beispiel die NÖ-LH Mikl-Leitner und der Jungalt-Kanzler (Jung, weil jung und und Altkanzler, weil das in Österreich Ex-Kanzler bedeutet) Kurz, die Anzahl der Studienplätze für Medizin zu verdoppeln, um den Landärztemangel zu beheben.

Darauf konterten Ärztekammerpräsident Szekeres und andere aus dem Gesundheitssystem, durch die Erhöhung der Studienplätze sei nichts gelöst, weil zahlreiche Ärzte wegen der angeblichen viel besseren Arbeitsbedingungen im Ausland in selbiges gingen.

Hart ausgedrückt sind natürlich beide Positionen falsch oder zumindest unvollständig:

erstens einmal: Studienplätze in Österreich, vielleicht besonders im Fach Medizin, sind wegen der fehlenden Studiengebühren extrem staatszuschussbedürftig (es ist ja erstaunlich, dass die ÖVP, die eigentlich oft mit Kosten-Nutzen-Rechnung und knallharten Rechnungen agiert, hier die Kostenfrage ignoriert, zumindest lait Medienberichten): eine Verdopplung der Studienplätze würde auch zu einer Verdopplung des Staatszuschusses zum Universitätenbudget führen und die Mehrkosten für das Medizinstudium müssen ja irgendwem anderen weggenommen werden, beispielsweise durch Kürzung der Mindestsicherung, durch Erhöhung der Steuern, durch Entlassung von Vertragsbediensteten oder durch sonst eine Massnahme. Oder sie werden durch Erhöhung der Staatsschulden finanziert, was die nächste Finanzkrise mit Bankenzusammenbrüchen und Enteignungen und Massenarbeitslosigkeit bedeuten kann.

zweitens: viele Studenten (insbesondere Numerus-clausus-Flüchtlinge aus Deutschland) hatten und haben nie vor, als Ärzte in Österreich zu arbeiten, weder in der Stadt noch am Land, sondern sie wollten nur in Österreich das Gratisstudium konsumieren und sich dann wieder nach Deutschland vertschüssen, was den österreichischen Steuerzahlern hohe Kosten aufbürdet, aber genau gar nix bringt.

Die populistische oder rechtspopulistische Antwort auf dieses Problem wäre: ´na, dann hau´mer halt die "Piefkes" raus aus unsare Unis.´

Es stellt sich die Frage, warum die FPÖ diesmal eine derartige Position nicht vertritt ! Das kann der politische Einfluss der FPÖ-Ärzte sein, wie zum Beispiel dem früheren Staatssekretär für Gesundheitsfragen, Dr. Waneck, oder der Grazer Ärztin Belakowitsch.

Aber abgesehen davon ergibt sich ein klitzekleines, also in Wahrheit riesiges Problem, nämlich dass Österreich EU-Mitglied ist, und als solches ein Diskriminierungsverbot beachten muss, wenn es nicht austreten will.

Die Tatsache, dass hier die FPÖ die Frage der Numerus-Clausus-Flüchtlinge nicht "spielt", um sich einem EU-Austritt anzunähern, kann man auch als Indiz dafür sehen, dass es die FPÖ mit dem früher versprochenen EU-Austritt gar nicht sooo ernst meint.

Aber zurück zur Frage: wie löst man das angebliche oder wirkliche Problem des Landärztemangels unter Berücksichtigung des EU-Diskriminierungsverbots ?

Eine Möglichkeit, wie man hier "an die Linie spielen" könnte, wie der frühere VfGH-Präsident Korinek das nannte, wäre folgendes:

Das Gratismedizinstudium bekommen nur die, die nach dem Studium in Österreich als Ärzte oder MTA oder Ähnliches arbeiten, für sagen wir 20 Jahre, unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft sie haben.

Ich kann mich nicht erinnern, ob der EuGH so ein Modell schon einmal geprüft hat, aber es wäre möglich. Es gibt ähnliche Situationen auch anderswo in Europa, beispielsweise bei den französischen Studenten, die in Belgien studieren, oder bei den slowakischen Studenten, die in Tschechien studieren. In allen drei Fällen geht der Studentenstrom zum Studium nur oder fast nur in die eine Richtung, aber nicht in die andere. Die Anzahl der Studenten, die aus Deutschland nach Österreich kommen, ist um den Faktor ca. 100 größer, als die Anzahl der Studenten, die aus Österreich nach Deutschland zum studieren gehen.

Ähnlich gehen fast nur slowakische Studenten nach Tschechien studieren, fast keine in die umgekehrte Richtung.

Dennoch bleiben zahlreiche Probleme:

Österreich gehört zu den wohlhabenderen Ländern, und laut meinen Untersuchungen wächst der Anteil des Gesundheitssystems an den Staatsausgaben mit dem Bruttonationalprodukt pro Kopf. Sodass der Pro-Kopf-Anteil der Gesundheitsausgaben mit dem Quadrat des BNP-pro-Kopf wächst.

Zum Beispiel ist der Anteil der Gesundheitsausgaben in Polen nur die Hälfte des entsprechenden Anteils in Österreich, obwohl Polen ohnehin schon das ärmere Land ist, mit dem niedrigeren Pro-Kopf-BNP.

Daher spreche ich von angeblichem Landärztemangel, weil im Vergleich zu Polen Österreich mit dem, was es als Landärztemangel empfindet, eigentlich überversorgt ist mit Landärzten, aber gleichzeitig verglichen mit österreichischen Städten unterversorgt ist mit Ärzten.

Was zur Einsteins Relativitätstheorie führt: alles ist relativ, auch der Landärztemangel in Österreich, im Vergleich zu Wien existiert er, im Vergleich zu Polen nicht, so wie Schrödingers Katze gleichzeitig lebendig und tot ist, gleichzeitig in der Kiste und nicht in der Kiste.

Eine weitere Möglichkeit, wäre es, die Zahl der Ärzte in den österreichischen Städten zu senken, und sie aufs Land zu vertreiben, z.B. durch eine Umstellung des Entlohnungssystems, Stadtärzte bekommen wegen des Infrastrukturbonus in österreichischen Städten weniger Betreuungsgeld pro Quartal als Landärzte. Ärzte und Ärztinnen sind natürlich auch eine vielfach verwöhnte und mächtige Klientel und gehen tendenziell (Ausnahmen gibt es durchaus, aber wenige) lieber in die bzw. bleiben lieber in den infrastrukturell gut versorgten Städten und scheuen sich, in die infrastrukturell schlechter versorgten Landregionen zu gehen, auch wenn dort der Bedarf an Ärzten viel höher ist, was man auch als Bruch des Eides des Hippokrates betrachten kann, den alle Ärzte schwören müssen, den sie aber oft nicht einhalten.

Marx hatte schon irgendwie recht, als er sagte "Das Sein bestimmt das Bewusstsein", wenn man Arzt ist oder Ärztevertreter, dann interessieren einen stark die Ärzteeinkommen und weniger stark die Kosten und wo das herkommen soll.

Die deutsche Lösung des Landärztemangelproblems besteht übrigens darin, Landarzt-Fernsehsendungen zu machen, was man dann als Imagepflege bezeichnen kann. Oder darin, Studenten nach Österreich zu vertreiben, wir Österreicher sind ja bekanntlich Pleampln (in etwa Trottel) und lassen uns die Kosten für Ausbildung deutscher Ärzte und Ärztinnen aufs Aug´ drücken, weil Deutschland so groß und mächtig ist und wir Trauminets sind (von Trau-mich-nicht; in etwa Feiglinge, Duckmäuser)

Und wenn wir schon bei den Grausamkeiten sind, dann fielen mir auch welche für Patienten ein: um die Problematik der problematisch-adipösen anzugehen, könnte man Sozialleistungen mit Diätplänen koppeln: alle Fettleibigen mit Risikoprofil bzgl. kardivaskulären Problemen müssen von Ärzten vorgeschriebene Diätpläne, also Gewichtsreduktionsziele innerhalb einer gesetzten Frist, einhalten, ansonsten werden ihr Sozialleistungen gestrichen oder gekürzt, vielleicht je nach Größe der Diätzielverfehlung; und mit dem ersparten Geld hat man ein bisschen Manövriermasse, um den Landärztemangel zu mildern.

Eine Kommission aus Ärzten und sonstigen Experten, z.B. Gesundheitsökonomen könnte einen allgemeinen Leitfaden für die derartige Koppelung von Sozialleistungen an Diätziele ausarbeiten.

Eine weitere Möglichkeit, den Landärztemangel zu verringern, wäre die Einführung von Selbstbehalten, damit die Leute nicht wegen absoluten medizinischen Kleinigkeiten zum Arzt gehen, die sie auch durch medizinische Ratgeber-Bücher, Beratung im Freundeskreis oder Ähnliches lösen können.

Was nix kostet, ist in der Psychologie vieler Menschen auch nix wert. Und wenn der Arzt gratis ist, dann wird er eben wegen jeder Kleinigkeit belästigt, was für den Arzt hohen Arbeitsaufwand und geringe Einkommens- und Erfolgsgefühle bedeutet.

Eine weitere Möglichkeit wäre, Medizinzentren auch am Land zu forcieren, in denen mehrere Ärzte die Behandlungen bündeln. Dadurch könnten sie sich auch bei Bereitschaftsdiensten leichter tun und abwechseln. Allerdings könnten dadurch auch Anfahrtswege für Patienten sich verlängern.

Der größte Haken an der Wartezeitmaximumsgarantie sind aber beispielsweise Epidemien. Um diese Wartezeitmaximumsgarantie in Epidemien einhalten zu können, müsste der Staat schon vorher riesige Überkapazitäten an Ärzten und Ärztinnen beschäftigen, die nichts oder kaum was zu tun haben in Nicht-Epidemiezeiten. Die Kosten für die Steuerzahler wären immens.

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"Bin ich eigentlich eidbrüchig, wenn ich nur wegen der städtischen Infrastruktur nicht aufs Land gehe, obwohl die Leute mich dort viel dringender brauchen würden ?" Nachdenklicher Arzt auf Pixabay.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/wie-unfinanzierbar-ist-oesterreichs-gesundheitssystem-43078

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