19.00 Uhr. Vor dem Eingang von „magdas Hotel“ beim Wiener Prater läuft ein rotbehoster Mann Zigarette rauchend auf und ab. Drinnen sitzen zwei ältere Damen auf den Sofas und blättern schweigend die Hotel-Broschüren. Ein Mittdreißiger drückt auf seinem Smartphone herum. Man kann die Anspannung beinah riechen.

Eine Stunde später ist diese abgelöst worden. Vom Klappern der Teller beim Abendessen, vor allem aber vom Stimmengewirr und Lachen im Raum. Der Handytipper - syrischer Asylwerber - unterhält seine Sitznachbarn mit intellektuellen Anekdoten. Eine der älteren Damen - Wiener Sinologin - erzählt vom Leben in China. Und der Rotbehoste entpuppt sich als entspannter Tourist aus Berlin.

Seit März treffen bei magdas Social Dinner monatlich bis zu fünfzig Wiener, Asylwerber und Reisende aufeinander. Heute bin ich einer von ihnen. Wir alle wollen Menschen außerhalb unserer Community kennenlernen und bei Speis und Trank einen nicht alltäglichen Abend verbringen. Dass das gelingt, dafür sorgt Eugene Quinn, der mit seinem Team von „space and place“ seit einiger Zeit Reisende mit Wienern zusammenbringt. Als Eisbrecher serviert er eine Karte voller Fragen, die zum besseren Verständnis des Gegenübers einladen: „Wann hast du zuletzt getanzt?“ lautet eine davon. Gebraucht werden diese Fragen heute an unserem Tisch zumindest nicht. Der Gesprächsstoff geht uns auch so nicht aus, sind doch viel zu spannende Charaktere beim Essen versammelt. Wie die 19jährige palästinensische Asylwerberin, die gemeinsam mit ihrer Mutter – einer Journalistin – vor drei Jahren aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen musste. „Österreich ist gut zu uns gewesen“, meint sie in nahezu perfektem Deutsch und schwärmt dabei vor allem von einer Lehrerin in Oberösterreich, die sie gefördert hat. Jetzt wohnen sie und ihre Mutter seit einem Jahr in Wien, in einem Caritas-Asylheim. Arbeiten dürfen sie bei uns nicht, in unsere Gesellschaft einbringen wollen sie sich aber sehr wohl. Gemeinsam mit anderen Frauen haben sie sich zusammengeschlossen, um neue Flüchtlinge zu unterstützen und sich gegenseitig zu helfen. „Während des Ramadan sind wir nach Traiskirchen gefahren“, berichtet sie, „und haben dort den Flüchtlingen Essen gebracht. Das ist ganz selbstverständlich, schließlich wissen wir, wie man sich in dieser Situation fühlt.“ Was für das Mädchen zu seiner Geschichte zählt, das können wir uns gar nicht vorstellen und merken wieder, wie wenig wir eigentlich davon wissen, wie es Flüchtlingen bei uns geht. Dass sie zum Beispiel im Asylheim nur an einem Tag Besuch empfangen können, sonst für einen solchen eine Genehmigung brauchen. Oder dass viele von den Mitbewohnern im Heim seit 12 Jahren auf eine Arbeitserlaubnis warten.

Es ist dieses Kennenlernen von unterschiedlichen Lebenssituationen, die beim magdas Social Dinner nicht nur passieren, sondern erwünscht sind. Es geht dabei um Begegnungen auf Augenhöhe, um das – ganz beiläufige - Auflösen von Missverständnissen. Auf beiden Seiten. „Flüchtlinge können ihr Deutsch praktizieren und über die Stadt erfahren, in der sie jetzt leben“, weiß der selbst ernannte „rebellious optimist“ Quinn und fordert im Gegenzug die Wiener auf, ruhig neugierig zu sein und Fragen zu stellen: „Es ist faszinierend, von einem Syrer über seinen Alltag zu hören, vom Chaos, dem Wahnsinn, aber auch der Liebe.“

Eine passendere Location als das magdas Hotel gibt es dafür kaum. Nicht nur weil dort Flüchtlinge arbeiten, das Hotel möchte außerdem ein Haus der Begegnungen sein. Beim Social Dinner geht das Konzept jedenfalls auf: Berliner Tourist ist schon am nächsten Tag als Abschluss seines Wien-Besuchs zum Kaffeetrinken geladen. Bei der palästinensischen Flüchtlingsfamilie im Caritas-Asylheim.

Das nächste Social Dinner findet am 29. August statt, und ich kann es nur wärmsten Herzens empfehlen: http://spaceandplace.at/msd/2015

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