Wenn wir zurückliegende Epochen verstehen wollen, also etwa die Zeit Maria Theresias oder des Prinzen Eugen, dann ist es hilfreich, sich die Kunst und Architektur dieser Zeit anzusehen. Das Barock war damals die prägende Stilrichtung in der Baukunst, der Gartenkunst, der Malerei, der Literatur oder der Musik und der Mode. Wir erkennen etwa in den barocken Gartenanlagen die Struktur einer Gesellschaft, die auf absolutistische Herrscher ausgerichtet war, in den Bauten den strengen, aber doch verspielt und heiter wirkenden Prunk, mit dem sich die Herrscher umgaben. Dem Kundigen und Sensiblen offenbart sich in der Betrachtung der Kunst, das Lebensgefühl und der Zeitgeist einer Epoche.

So ist auch die Wiener Ringstraße ein ziemlich genaues Abbild ihrer Zeit und ihre formalen Merkmale finden sich auch in der zeitgenössischen Malerei, der Literatur usw.

Wenn es also bei den alten Stilrichtungen funktioniert, dann klappt die Methode ja vielleicht auch bei Betrachtung der heutigen Architektur und Kunst. Dann ist es eben kein Zufall, dass die jüngste ausgeprägte Stilrichtung, die sich in Architektur, Malerei und Literatur feststellen und beschreiben lässt, Dekonstruktivismus genannt wird.

Der Begriff taucht zunächst in der Literatur auf (Jacques Derrida) und ab 1980 in der Architektur (Frank O. Gehry, Peter Eisenmann, Zaha Hadid, Coop Himmelblau oder Günther Domenig.) und löst dort die Postmoderne ab.

Die Frage lautet, ob diese Architekten und ihre Bauten für unsere Zeit repräsentativ sind und ob sie das Lebensgefühl und den Geschmack der heutigen Menschen abbilden. Und wenn ja, welcher Gruppe von Menschen?

Ich weiß, dass ich eine solche Frage in einem Architekturjournal nicht stellen dürfte. Von der fachkundigen Kritik werden diese genannten Namen als unangefochtene Genies gehandelt und ich habe auch nicht die Absicht, an diesem Status zu rütteln. Allerdings frage ich mich, ob sich die Meinung der Kritik noch mit der Meinung der betrachtenden Konsumenten deckt.

Gemessen an den Besucherzahlen von Schloss Schönbrunn, dem Belvedere oder Schlosshof, scheint die Kunst des Barock ja noch immer zahlreiche Anhänger zu haben und dabei nehme ich an, dass die wenigsten dieser Besucher die gesellschaftlichen Gegebenheiten des Absolutismus bewundern. Was die Formensprache anlangt, werden diese Bauten aber von vielen als besonders schön und kostbar bewundert.

Gilt ähnliche Bewunderung auch für das Haus Frank Gehrys in Santa Monica, oder das Guggenheim-Museum in Bilbao? Würde jemand im Steinhaus von Günther Domenig wohnen wollen?

Ich stelle diese Fragen, weil ich vermute, dass nicht nur die Einkommen und Lebensbedingungen der Menschen, national und international, weit auseinanderklaffen, sondern eben auch die kulturellen Interessen und der Geschmack. Ich glaube, dass sich die Kluft zwischen „denen da oben“ und den „vielen da unten“ rasant vergrößert und dass sich dieses unheilvolle Gefälle durch falsche und mangelnde Bildung ständig verstärkt.

Gibt es eigentlich noch kulturelle Werte und kulturelle Angebote, die uns allen gemeinsam sind? Gibt es noch so etwas wie eine Kulturlandschaft, die uns alle repräsentiert? Oder bastelt sich eine zahlenmäßig kleiner werdende Oberschicht ihre Kultur, ihre Mode, ihre Kunst, ihre Musik…und der große Rest der Bevölkerung kann mit all dem schon längst nichts mehr anfangen?

Der Zeit ihre Kunst

Der Kunst ihre Freiheit

So steht es in goldenen Buschstaben am Gebäude der Wiener Secession. Aber wen interessiert so ein Spruch noch?

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