„Restlos – das Wort, das jetzt gegen sie arbeitet.“

Sie wollte es anderen um den Hals legen, jetzt hängt es wie ein Mühlstein an ihrem eigenen.

Es ist eine der verlässlichsten Naturgesetze in der politischen Fauna: Wer den moralischen Zeigefinger erhebt, wird ihn früher oder später im eigenen Auge wiederfinden. Saskia Ludwig, CDU, ist nur das jüngste Beispiel einer alten Tragikomödie. Vor kaum mehr als einem Wimpernschlag politischer Zeit stand sie da, aufrecht, ernst, entschlossen, und verlangte von der Juristin Brosius‑Gersdorf, sie möge doch bitte ihr Amt am Lehrstuhl ruhen lassen, solange „Plagiatsvorwürfe nicht restlos ausgeräumt“ seien. Restlos – dieses antiseptische Lieblingswort der Tugendwächter, das klingt wie eine Garantie für Reinheit, hat nur einen Haken: Es funktioniert in beide Richtungen.

Denn nun prüft die Universität Potsdam ausgerechnet Ludwigs eigene Dissertation. Nicht wegen einer Fußnote zu wenig, sondern wegen 86 verdächtiger Stellen – fast eine ganze Symphonie aus kopierten Tönen. Offiziell nennt sich das „Anfangsverdacht“, politisch bedeutet es: Der Bumerang ist zurück. Und wie immer trifft er härter als geworfen.

Natürlich gilt die Unschuldsvermutung, aber in der Arena der öffentlichen Moral zählt nicht das Urteil, sondern der Verdacht. Genau darauf hatte Ludwig selbst gesetzt, als sie Brosius‑Gersdorf öffentlich unter Druck setzte. Das Verfahren? Nebensache. Der Imageschaden? Ziel erreicht. Nun steht sie selbst dort, wo sie andere hingestellt hat – und spürt, dass „restlos“ ein Maßstab ist, der keine Gnade kennt.

Das Lehrstück ist so alt wie die Politik selbst: Wer mit dem moralischen Schlagstock austeilt, darf sich nicht wundern, wenn er ihn irgendwann als Galgenstrick vorfindet. Brosius‑Gersdorf ist inzwischen durch ein Gutachten entlastet worden, doch Ludwigs Worte hängen noch in der Luft – nur dass sie diesmal auf sie selbst fallen.

Und hier liegt die wahre Komik, die nicht zum Lachen ist: Es geht nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um die peinliche Gewissheit, dass man Opfer der eigenen Rhetorik geworden ist. Die Bühne, die man für den Skandal des anderen gebaut hat, steht noch – nur dass der Name am Schild über dem Eingang gewechselt hat.

Moral der Geschichte: Wer im Glashaus steht, sollte nicht nur keine Steine werfen – er sollte vorher prüfen, ob die Fenster nicht schon Risse haben.

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