Als Mediator bin ich darin geübt, Menschen aus Konflikten herauszubegleiten, welche für sie etwas Bedrohliches zu bekommen drohen. Aber nicht nur Menschen, die hier rechtzeitig, bevor nachhaltiger Schaden droht, Unterstützung suchen, kommen in meine Praxis. Oft hat der Konflikt bereits ein Eigenleben entwickelt und scheint das Leben der Betroffenen zu dominieren: bereits der Gedanke an den anderen Menschen bereitet Bauchschmerzen. Die ersten Minuten in meiner Praxis sind dann oft begleitet von einer Mischung aus der Frage, was man denn eigentlich hier mache, der Hoffnung, dass doch alles wieder gut wird und dem instinktiven Liebäugeln mit der Tür, um zu flüchten. Aber selbst dann hat man noch die Wahl: das Gegenüber bekriegen und dabei, weil es eh schon wurscht ist, zu immer härteren Bandagen greifen - oder vielleicht doch eine Mediation versuchen.

In dieser Artikelreihe wird anhand einiger Beispiele veranschaulicht, wie weit verbreitete Szenen aus Konflikten aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können. So, wie es unter anderem auch in Mediationen gemacht wird. Es handelt sich dabei meist um wenige Worte, die aus langen Geschichten herausgegriffen sind und dennoch stellvertretend für sie erahnen lassen, welche Sprenkraft darin liegen kann: der eine Leser oder die andere Leserin wird sich vielleicht sogar dabei ertappen, Ähnliches schon selbst erlebt zu haben oder auch als vollkommen unbeteiligte Person nach dem Lesen des Beispieles ein Urteil zu fällen, wie denn das zu verstehen ist. Wer da im Recht ist - und wer im Unrecht. Eine Falle, in die man sehr leicht tappen kann - und aus welcher Mediation wieder heraushilft, um doch noch zu konstruktiven Lösungen zu kommen.

Heute eine weitere Geschichte aus dem Alltag vieler Familien: Die Schwiegermutter ist zu Besuch. Ungefragt fängt sie in der Wohnung an zu putzen – mit den Worten: „Ach Kind, wo du so wenig Zeit hast, nehme ich dir das gerne ab. Ihr wollt es doch ordentlich haben!“

Ein Klassiker. Mit unendlich vielen theoretischen Möglichkeiten, damit umzugehen.

Gehen wir es systematisch an: was will die Schwiegermutter damit aussagen? Soll das ein Seitenhieb sein auf die Qualitäten der Hausarbeit, welcher sich dann allerdings nicht bloß auf die Schwiegertochter, sondern auf den eigenen Sohn genauso bezieht? Soll daraus eine Demonstration der eigenen Vorstellungen von Ordnung und Sauberkeit werden? Ist es ein getarnter Versuch, mal die Kästen durchstöbern zu können um so an mehr Informationen über das Familienleben zu gelangen? Oder handelt es sich tatsächlich um das, was die reine Wortbedeutung hier ausdrückt: selbstlose Unterstützung?

Rein nüchtern betrachtet: was gibt es Schöneres, als jemanden zu finden, der tatsächlich freiwillig den vielleicht auch schon selbst als notwendig erkannten Osterputz anzugehen? Wie wäre es daher, wenn man sich bedankt für diese Unterstützung, selbst auch zum Putzlappen greift und miteinander das bewerkstelligt, woran man mit Grauen gedacht hat? Das Ziel ist dann schneller erreicht, es machen die Kaffeepausen dazwischen vielleicht sogar mehr Spaß und man kann sich ein Stück näherkommen.

Tja, ganz so leicht ist das allerdings in den wenigsten Fällen. Weil der Schwiegertochter vielleicht doch Zweifel aufkommen – und ihr Bauchgefühl ihr im Wege steht dabei, diese Unterstützung anzunehmen: der Stolz verlangt, das auch ohne Einmischung zu schaffen, die Angst weist auf die Gefahr hin, danach als faul und schlampig ausgerichtet zu werden, das Misstrauen erkennt da wieder eine Allianz mit dem Partner betreffend die Aufteilung der Aufgaben im Haushalt … Und dann kommt vielleicht noch die Erfahrung hinzu, die gezeigt hat, wie unterschiedliche Vorstellungen man zu vielem im Leben hat – und schon versteht man das Angebot als einen Versuch der Schwiegermutter, einem Ordnung nach deren Vorstellung in den eigenen vier Wänden aufzuoktroyieren …

Auf die Gefahr, mich zu wiederholen: einander zuhören, eine Portion ehrlicher Neugier auf die Erfahrungen und Herausforderungen der anderen Seite mitnehmen und sich gegenseitig Wertschätzung zu schenken kann so vieles erleichtern. So zum Beispiel auch das aufrichtige Angebot und die dankbare Annahme von gegenseitiger Unterstützung – nicht nur bei der Erledigung von Kleinigkeiten im Haushalt, auch bei der Unterstützung in der Kinderbetreuung, wo ja auch viel zu oft die Angst mitschwingt, es würde dann ungefragt eingegriffen in die Kindererziehung. Auf diese Weise kann dann das bekannte Sprichwort, dass gut gemeint der Vorbote von bösem Streit sei, außer Kraft gesetzt werden.

Man hat es selbst in der Hand – wobei es eigentlich vollkommen gleichgültig ist, wer den ersten Schritt setzt. Natürlich gibt es unzählige Gründe, dies vom Gegenüber zu fordern – doch Hand aufs Herz: wem Frieden und glückliches Miteinander wirklich wichtig ist, der wird das doch nicht allen Ernstes abhängig machen wollen von jemand anderem. Das wäre ja so, wie wenn man in den Hungerstreik treten würde, weil der Partner nicht von sich aus erkennt, was man gerne zu essen hätte und erwartet, er muss es auch besorgen …

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