"Elisabeth!" donnert es durch die Wohnung. Der Name des Teenagers erfüllt in einer unheilschwangeren Intonation jeden Winkel des Kinderzimmers, in welchen sich die junge Frau zurückgezogen hatte. Sie hielt es einfach nicht mehr aus, mit anhören zu müssen, wenn ihre Eltern ständig stritten. Papa hatte vor Wochen verkündet, die Scheidung zu wollen. Scheidung. Und seither war das Unvorstellbare eingetreten: noch mehr dicke Luft als zuvor, noch weniger Platz für sie und ihre Sorgen. Was Elisabeth besonders unerklärlich war: ihre Erzeuger stritten seither sogar schon darum, bei wem sie zukünftig wohnen sollte. Die haben sie doch nicht mehr alle. Es war ihnen doch eh wurscht, wie es ihr geht. Weder hatten sie mitbekommen, dass Mark mit ihr Schluss gemacht hatte, noch, dass sie die Schule einfach nicht mehr erträgt. Und dieses mitleidige Geschau der Lehrer, die offenbar bereits Wind von ihrer Familiensituation bekommen hatten - einfach zum Kotzen. Die haben alle keine Ahnung und wollen ständig reden. Sie aber nicht. Sie will ihre Ruhe. Vielleicht kommt sie dann drauf, wie es weitergehen soll - denn gerade fühlt sie sich einfach nur, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Und für ihre Eltern ist sie derzeit offenbar ohnehin nur das fünfte Rad am Wagen - einem kaputten Wagen.

"Elisabeth - komm sofort her und sag Deinem Vater, dass Du mit ihm nicht in den Urlaub fahren wirst!" Pah. Wieder mal ist also sie der Grund dafür, dass sie zoffen.

Situationen wie diese prägen oftmals den in den letzten Zügen liegenden Familienalltag. Wenn sich zwei Menschen dazu entscheiden, die Arbeit an ihrer Beziehung, welche sie sich doch eigentlich gegenseitig für gute wie auch schlechte Zeiten versprochen hatten, aufzugeben und fortan getrennte Wege zu gehen, dann misslingt es viel zu oft, die Perspektive der betroffenen Kinder mit im Auge zu behalten. Zu groß ist der Schmerz, die Wut und und Verzweiflung der Noch-Eheleute. Zu sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt und ihrer Angst, wie es denn gelingen könne, wirtschaftlich wie auch emotional den Neustart in ein Leben allein zu schaffen. Und selbstverständlich trägt doch der oder die andere Schuld daran, dass es so weit gekommen ist. Nie wäre man der Versuchung erlegen, diesen Seitensprung zu begehen. Nie wäre es so weit gekommen, dass man einander nichts mehr zu sagen hat. Nie wäre die gespürte Wohnungstemperatur bei Betreten des beziehungsweise der heimkehrenden Anderen schlagartig in den Minusbereich gerutscht.

Auch das soziale Umfeld spielt bei dieser Dynamik eine bedeutende Rolle: rasch sind Ratschläge zur Hand, wie denn nun vorzugehen ist. "Pass auf, dass er Dich nicht über den Tisch zieht." "Gib bloß acht, dass sie Dir die Kinder nicht wegnimmt - beim Max war es nämlich so und er hat sie nie wieder gesehen, immer nur zahlen dürfen." Es hagelt förmlich mahnende Anektoten und daraus abgeleitete dringende Handlungsempfehlungen für das in Trennung befindliche Paar. Erinnerungen daran, unbedingt auch auf das Gefühlsleben der Kinder zu schauen, sich mal in sie hineinzufühlen, kommen leider viel zu selten. Im Gegenteil - es beginnt meist ein Wettlauf um die Gunst des Kindes. Wobei Kinder unterschätzt werden: diese spüren ganz genau, ob die Zuwendung wirklich ihnen gilt oder bloß verwendet wird, um im Kampf mit dem anderen Elternteil eine effektive Waffe in der Hand zu haben.

Der Gesetzgeber hat versucht, in Österreich etwa in § 138 ABGB, "Kindeswohl" zu definieren um den Rechten der Kinder ein wenig mehr Stellenwert einzuräumen. Damit dies nicht nur Gerichte, sondern auch die Betroffenen selbst dazu animiert, den Bedürfnissen des Nachwuchses jene Bedeutung zu schenken, die sie haben müssen, wurde auch der Wunsch festgelegt, dass Eltern sich in dieser Situation bei einer geeigneten Person oder Einrichtung beraten lassen müssen "über die spezifischen aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse ihrer minderjährigen Kinder" (§ 95 Abs. 1a AußStrG). Keine Mediation, in welcher wirklich die konkreten Themen behandelt werden - nein, einfach nur eine Art verspätete Unterrichtseinheit.

Netter Versuch. Doch bewirkt er wirklich das Gewünschte? Reicht so eine Schnellsiedeaufklärung? Elisabeth aus unserem Beispiel würde wohl nein sagen. Sie kommt sich überflüssig vor, nicht beachtet. Dass es Mama oder Papa auch um sie geht, darum wie sie mit dem allen fertig werden soll, kann sie nämlich gerade so gar nicht spüren. Was kann unsere Gesellschaft dazu beitragen, dass diese Schicksale weniger werden?

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Herbert Erregger

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