Wenn unsere Politikerinnen und Politiker öffentlich in den Ring steigen

Diese Woche waren wieder einmal zwei Plenartage des österreichischen Nationalrates. Eines Organes unserer Demokratie, welches sicherstellen soll, dass die in der Gesellschaft vorhandenen verschiedensten Interessen einen gemeinsamen Rahmen erhalten in Form einer Rechtsordnung. Einen Rahmen, welcher über die gewählten Abgeordneten von der Gemeinschaft (demos) in selbst wahrgenommener Herrschaft (kratia) selbst bestimmt wird. Und damit allen die Möglichkeit geben soll, jene Sicherheit vorzufinden, derer es bedarf, sich in seinen eigenen Vorstellungen entfalten zu können.

So weit die Theorie. Schaltet man als an Politik sehr interessierter Mensch den Fernseher ein, um eine solche Sitzung life mitzuverfolgen, so wird man viel zu oft Zeuge doch nachdenklich stimmender Bilder: da sieht man Großaufnahmen von Zeitung lesenden Abgeordneten, in der Nase bohrenden Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volkes oder gähnende Leere in den Sitzreihen. Gleichzeitig hört man sehr viel Streit, bei welchem einander mal sarkastisch, mal anklagend, mal auch einfach nur herabwürdigend ausgerichtet wird, ohnehin keine Ahnung zu haben. Das also ist das öffentliche Bild, welches Politikerinnen und Politiker von sich formen. Schade, denn wenn man bedenkt, wie konstruktiv und lösungsorientiert in vielen nicht öffentlichen Sitzungen außerhalb des Plenarsaales miteinander Lösungen gefunden werden können, dann hätte sich die Politik für ihre wertvolle Arbeit eigentlich ein anderes Image verdient.

Das schlimme an dieser öffentlichen Inszenierung der strittigen Standpunkte zu jenen Themen, welche dazu auserkoren werden, den Dissenz öffentlich darzustellen, ist, dass hier ohne weiteren Zwang dieser Streit in die Gesellschaft übertragen wird. Paradox, wenn man bedenkt, dass die Menschen doch eigentlich darauf vertrauen, dass die Politik es zustandebringt, alle Interessen berücksichtigende und einschließende Lösungen auszuarbeiten, damit genau dieser Konflikt nicht innerhalb der Gesellschaft ausgetragen werden muss. Statt dieses friedenssichernden Elements von Demokratie wird solchermaßen der Konflikt jedoch sogar noch angereichert um die Stilmittel der Eskalation bis hin zu wechselseitigen Beleidigungen und Drohungen, bevor er in die Wirtshäuser und social media rückübertragen wird von unseren Mandatarinnen und Mandataren. Und schon befetzen sich die Anhängerinnen und Anhänger der Parteien zu den jeweiligen Themen - in den meisten Fällen sogar ohne die genauen Hintergründe zu kennen und damit die Chance zu haben, selbst konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Während dessen vertragen sich die bei laufender Kamera oder anderen öffentlichen Gelegenheiten scheinbar zersterittenen Politikerinnen und Politiker wieder sehr gut und plaudern durchaus wertschätzend miteinander über Parteigrenzen hinweg: eine Studie aus dem Jahr 2013 hatte unter anderem das Ergebnis hervorgebracht, dass die Nationalratsabgeordneten gegenseitige Angriffe in der Öffentlichkeit durchaus als legitim erachten und dass sie diese, auch wenn sie Ziel solcher sind, in der eigenen Befindlichkeit nicht stören. Die Emotion der Empörung ist somit eine symbolische.

Ein schönes Beispiel dafür war im Zusammenhang mit den dieswöchigen Sitzungen des Nationalrates zu beobachten: Ein Abgeordneter fotografierte die Kollegin eines anderen Parlamentsklubs dabei, wie sie während der laufenden Diskussion von zur Abstimmung auf die Tagesordnung genommenen Gesetzesvorhaben die Füße hochgelagert hat und mit einem Smartphone beschäftigt war. Dieses Foto wanderte prompt in die social media mit der Anmerkung, dass dies einen Sittenverfall symbolisiere. Natürlich entbrannte dazu gleich eine hitzige Diskussion, in welcher bei manchen Kommentaren ebenfalls auf die guten Sitten vergessen worden sein dürfte von Anhängerinnen udn Anhängern des Aufdeckers. Der Gegenschlag ließ dann nicht lange auf sich warten: im Gegenpost der bloßgestellten Abgeordneten wurde der als Fotograf sich ausprobiert habende Kollege öffentlich beleidigt, was natürlich ihre Fangruppe sofort mit einstimmen ließ in den Reigen an zum Teil auch herabwürdigenden Kommentaren. Nachzulesen ist der Schlagabtausch zwischen Sigrid Maurer und Christian Höbart übrigens in einem von Sigrid Maurer öffentlich gemachten Post auf facebook.

"Braucht unsere Demokratie Mediation" ist der Untertitel des erst jüngst erschienenen Buches "Politische Machtspiele - Schlachtfeld oder Chance?", in welchem auch die Ergebnisse der zitierten Studie Berücksichtigung finden. Ja, sehr dringend, wie es aussieht.

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Bernhard Juranek

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Hansjuergen Gaugl

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