Ein Plädoyer für eine Europäische IT-Stiftung

Die vier großen IT-Megatrends „Soziale Netzwerke“, „Mobile Plattformen“, „Analyse von Big Data“ und „Cloud Computing“ (SMAC) werden aus internationaler Marktforschungssicht die mächtigsten Umsatztreiber der kommenden Jahre sein. IDC geht für 2020 von einem globalen Marktvolumen von 225 Milliarden US-Dollar für SMAC aus. Dieses Quartett der modernen IT-Wirtschaft begründet vielfach neue Dienstleistungen und Business-Modelle, die nur mit einer hohen Innovationsdynamik erfolgreich gestaltet werden können. Wie sehr Informationstechnologien in den konkurrierenden Weltwirtschaftsregionen USA, dem Pazifischen Raum und in Europa mit zielgerichteter Forschung und Entwicklung elaboriert und in Wertschöpfung übergeführt werden können, hängt davon ab, welche Rahmenbedingungen kreative IT-Startups für die Umsetzung ihrer Produkt- und Geschäftsideen vorfinden.

High Tech-Talente in Europa, die vorne mitmischen

Europäische IT-Jungunternehmer haben enorme technologische Kompetenzen. Leider gelingt den besten Entwicklern in der EU nur selten, mit ihren Lösungen das volle Marktpotenzial abzuschöpfen. Viele bahnbrechende europäische IT-Erfindungen gehen bei den ersten Anzeichen eines Markterfolgs unmittelbar den Weg über den Atlantik und fließen als „gesuchte“ IT-Puzzlesteine in Produktstrategien der Giganten des Silicon Valley ein.

Nahezu alle IT-Riesen aus den USA waren in den letzten Monaten auf Beutezug quer durch Europa. So erwarb Microsoft das französische Startup „Syntax Tree“ (visual studio plugin for unity game-development), Facebook fischte sich „Moves Exercise Diary App and Pedometer“ und Warner Music übernahm „ShareMyPlaylists“, einen UK-basierten Spotify Playlist-Spezialisten. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Befunde über die „Schnäppchen-Touren“ der amerikanischen IT-Industrie zum Aufkauf europäischer IT-Intelligenz bestätigen, dass die Risikokapital-Kultur und die Funding-Strukturen in Europa vor allem nach der Frühphase der Umsetzung einer IT-Business-Idee so unterentwickelt sind, sodass die Developer-Szene ihr Heil sehr schnell in Kalifornien sucht oder sich mit Finanzierungen außerhalb der EU behilft.

Die Briten sind eine Ausnahme in der EU. UK hat mit seinem „Seed Enterprise Investment Scheme“ (SEIS) die Investitions-Blockade in Richtung echte Startup-Wirtschaftsförderung aufgebrochen. Bei dem Programm bekommt ein Investor, der bis zu 100.000,- Pfund Sterling als Beteiligung in ein SEIS-qualifiziertes Unternehmen investiert, die eingebrachte Summe als Gutschrift auf die Einkommenssteuer angerechnet. Und die Kapitalerträge, die der Risiko-Investor mit seinem Engagement erwirtschaftet, sind zudem von der Kapitalertragssteuer befreit. Die Londoner Tech-Firmen haben 2014 in den ersten neun Monaten rund eine Milliarde Pfund an Venture Capital für sich lukriert.

Europäische IT-Stiftung für Entwicklungsförderung

Europa weiß um die Gefahr Bescheid, die ein laufender Talente-Drain und ein mittelfristiger Kapitalabfluss auf die Weiterentwicklung der universellen Querschnittstechnologie IT für den Kontinent haben. Seit 2013 versucht man mit einem von Experten verfassten „Manifest für Entrepreneurship und Innovation zur Wachstumsförderung in der EU“ gegenzusteuern. Der Aufbau eines Technologie-Eco-Systems und damit einhergehend die Anhebung der Gründerquote basiert auf verbesserter Ausbildung, den Zugang zu Talenten, einer intakten Datenschutzpolitik, verbessertem Zugang zu Kapital und auf strategischer Führung.

Die dort erarbeiteten Empfehlungen zielen grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber wir brauchen in Europa ein noch viel stärkeres gemeinsames Bekenntnis zur Etablierung von IT-Intelligenz und von marktfähigen Zukunftslösungen, mit denen wir eine europäische IT-Wertschöpfungskette realisieren können.

Mir schwebt die Vision einer europäischen IT-Stiftung vor.

Diese kann nach dem Modell der „European Bank for Reconstruction and Development“ (EBRD) oder der „European Investment Bank“ (EIB) auf Basis staatlicher Stakeholder (nationale Finanzministerien) positioniert werden. Denkbar wäre auch die Form einer privaten Stiftung nach dem Vorbild der österreichischen B&C-Stiftung, die wie eine private ÖIAG agiert und erfolgreich Beteiligungen an österreichischen Industrieflaggschiffen wie Lenzing oder Semperit managt. Die Idee ist, dass eine solche Organisation von den großen IT-Playern in der Europäischen Union und auch den Anwendern und Profiteuren fortschrittlicher IT-Lösungen aus hochgradig IT-abhängigen Branchen wie Verkehr (z.B. Automobilindustrie), Gesundheit, Maschinenbau oder Umwelttechnik anteilig zu ihrer Marktgröße finanziell dotiert wird, um kreative Startups zu fördern.

Für einen solchen europäischen IT-Fonds brauchen wir freilich eine stabile europäische Kernaktionärsstruktur, die geeignet ist, europäische Interessen zu schützen und wesentliche Wertschöpfungspotenziale dieser Zukunftsindustrie zu bündeln. Ein europäischen Interessen verpflichteter IT-Fonds kann überdies die erforderlichen Entwicklungsstrategien auf die Megatrends ausrichten und Entwicklungsleistungen auf die Bedürfnisse unserer europäischen Industrie 4.0-Gesellschaft abstimmen. Parallel können auf einer „Plattform für strategische IT-Entwicklungen“ die europäische IT-Forschung, die IT-Startup-Szene und die großen industriellen Anwender nicht nur in Bezug auf die Entwicklungsfinanzierung, sondern auch im Hinblick auf die globale Markterschließung für europäische IT-Errungenschaften verschränkt werden.

In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Abschaffung der Wachstumsbörse „Neuer Markt“ retrospektiv ein schwerer Fehler war. Erfolgreiche Technologiefirmen hätten ihr Wachstum samt Wirtschaftsleistung in ihrem Heimatland wohl nicht anders finanzieren können. Dafür sind die globalen IT-Giganten in die Bresche gesprungen. Mit den bekannten Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Europa.

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Silvia Jelincic

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Isabel

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