Langsam ist zwar wirklich mehr als genug über die schrecklichen Ereignisse zu Silvester in Köln (und anderen Städten) geschrieben worden, aber eine Sache würde ich gerne noch loswerden: Zumindest nach meinem subjektiven Empfinden stürzt sich die größte Empörung darauf, dass rechte Kreise das Geschehene für ihre Hetze gegen Flüchtlinge, Ausländer, Muslime usw. instrumentalisieren könnten oder es auch tatsächlich tun.

Das ist schlimm, keine Frage. Aber warum ist diese Empörung größer als die Empörung darüber, dass mindestens hundert Frauen gezielt und auf ekelerregende Weise gedemütigt werden (und ihnen niemand hilft)? Oder darüber, dass es mehrere Tage gedauert hat, bevor die Öffentlichkeit überhaupt davon erfahren hat? Ist sexualisierte Gewalt weniger schlimm als die (potentielle) Diskriminierung junger Männer, die zufällig einen Migrationshintergrund haben?

(Kleine Anmerkung: Gläubige Muslime werden sich übrigens weder einen antrinken noch Frauen belästigen!)

Wie selten vergewaltigten Frauen im allgemeinen Glauben geschenkt wird, ist hoffentlich nicht nur unter Feministinnen bekannt. Sehr aufschlussreich beschreibt zum Beispiel Laurie Penny, dass es meistens um die Frage geht, ob die Frau überhaupt die Wahrheit sagt – „es sei denn, sie ist weiß und er nicht“ (Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution, Edition Nautilus 2014, S. 163).

Als ich diesen Satz zum ersten Mal las, bekam ich automatisch Mitleid mit dem armen Mann, der im Ernstfall aus rassistischen Gründen zu Unrecht beschuldigt wird (und ich wage zu behaupten, dass es nicht nur mir so geht). Es dauerte mindestens ein paar Sekunden, bis mir bewusst wurde, wie abstrus, ja pervers diese Gedankenfolge ist: Sollen wir dieser Frau nun auch nicht glauben, nur weil wir dann vielleicht verkappte Rassisten sind?

Ich möchte nicht behaupten, dass niemand die Vorfälle ernst nehmen würde, das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Es geht mir darum, dass real existierende Probleme wie sexualisierte Gewalt, die scheinbar oder nach Meinung mancher Herren eben „Frauenthemen“ sind, nicht so ernst genommen werden wie andere Themen, die (unter anderem oder hauptsächlich) Männer betreffen:

Als in Irland die Homo-Ehe eingeführt wurde, stieß ich auf einen lesenswerten Artikel, der erklärt, warum es einfacher ist, Homosexualität zu entkriminalisieren als Schwangerschaftsabbrüche (http://www.thenation.com/article/theres-reason-gay-marriage-winning-while-abortion-rights-are-losing/hile-abortion-rights-are-losing/.com/article/theres-reason-gay-marriage-winning-while-abortion-rights-are-losing/): unter anderem wird darin argumentiert, dass die Homo-Ehe (nicht nur, aber eben auch) ein Anliegen von Männern ist. Das zeigt auch der englische Begriff „gay marriage“, der sprachlich darauf hinweist, dass es um die Interessen homosexueller Männer geht – homosexuelle Frauen sind in der Debatte medial und in den Köpfen weniger präsent.

Natürlich sind Rassismus, Homophobie und Konsorten existierende Probleme, die wir ernst nehmen und bekämpfen müssen. Das gilt aber auch für Sexismus: Sexismus gibt es in allen Kulturen: bei uns, in arabischsprachigen Ländern und im Rest der Welt. Sexismus betrifft ALLE Frauen, JEDE kann zum Opfer werden. (Manche Frauen leiden sogar unter doppelter und dreifacher Diskriminierung, wenn sie zum Beispiel einen Migrationshintergrund oder eine Behinderung haben – aber allen Frauen kann es passieren, dass sie wegen ihrem Geschlecht benachteiligt werden.)

Wir Frauen sind nicht eine von vielen Minderheiten, die die ihnen zustehenden Rechte einfordert und in einer liberalen Gesellschaft auch erhält: Wir sind DIE HÄLFTE DER MENSCHHEIT, wir sind MENSCHEN, für die eigentlich von vornherein die gleichen Rechte gelten sollten wie für die Menschen ohne Gebärmutter. Und trotzdem ist es immer noch nicht selbstverständlich. Das ist der wahre Skandal.

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Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 11.01.2016 15:42:11

Erkrath

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