Das Willendorf ist nicht mehr - Ein Nachruf

Ende Februar geisterte eine Meldung durch die sozialen Netzwerke, die geeignet war, ein Erdbeben in der Wiener queeren Community auszulösen. Das Cafe Willendorf sperrt zu. Und tatsächlich war auf der Facebook-Seite des Cafes die Meldung zu lesen: „Ab 1. März ist das Cafe Willendorf bis auf weiteres geschlossen. Wir möchten uns im Namen der gesamten Belegschaft für euer langjährige Treue herzlich bedanken.“

Na Bumm. Das hat gesessen. Eine Institution soll also tatsächlich Geschichte sein? Für diejenigen, die mit der LGBT-Szene eher wenig am Hut haben: Das Cafe Willendorf war seit den 80er Jahren DER Szene-Treff schlechthin. Gelegen im Erdgeschoss der Rosa Lila Villa, dem bekannten Lesben-, Schwulen- und Transgenderzentrum auf der Linken Wienzeile, war das Willendorf ein Lokal, in dem man sich nicht verstecken musste. Hier konnte man, ohne komische Blicke zu ernten, einfach sein, wie man war, ohne sich zu verstellen. Keinen störte es, wenn sich ein Männerpaar verliebt anlächelte und Händchen hielt, oder wenn Mädls sich küssten. Und auch für so manche Transe war das Willendorf die Location, die für einen ersten Ausflug, en femme, in die Öffentlichkeit genutzt wurde. Auch ich habe vor vielen Jahren meine ersten Ausflüge bei Tageslicht, zum legendären Sonntagsbrunch, ins Willendorf gewagt. Ohne angestarrt zu werden, als wäre man gerade aus einer Freakshow ausgebrochen, konnte man hier Selbstvertrauen für weitere Schritte tanken. Der Wohlfühlfaktor war auch eines der Erfolgsgeheimnisse des Cafes. Und das, obwohl das Publikum bunt gemischt war. Denn nicht nur von Szene-Angehörigen wurde das Willendorf besucht. Dazu beigetragen hat auch die ausserordentlich gute Küche. Man konnte hier nämlich tatsächlich sehr gut essen, oder am Abend spontan auf ein Feierabendbier oder ein edles Gläschen Wein vorbei schauen. Und der bereits angesprochene Sonntagsbrunch war ohnehin eine Klasse für sich. Köstlichkeiten genießend und mit Freunden plaudernd, vergaß man das eine oder andere mal völlig die Zeit. Das stets freundliche und tolerante Personal tat ein übriges dazu.

Im Herbst 2014 wurde das Cafe, etwas überraschend, von neuen Pächtern übernommen. Man hat sich zunächst nicht viel dabei gedacht. Qualitativ konnte kaum eine Veränderung wahrgenommen werden. Und auch der Sonntagsbrunch war nach wie vor sehr gut besucht. Wenn man ohne Tischreservierung im Lokal aufgetaucht ist, konnte man nur mit Glück einen freien Tisch erhaschen. Umso größer war die Überraschung, als plötzlich die Mitteilung der Schließung auftauchte. Angeblich hatten sich die neuen Pächter finanziell verspekuliert, und das Willendorf, mehr oder weniger, an die Wand gefahren. Es ist mir, ehrlich gesagt, rätselhaft, wie so etwas möglich ist. Denn als Besucher hatte man eigentlich den Eindruck, dass das Willendorf ein Selbstläufer war. Immer gut besucht, man hatte einfach sein fixes Publikum, ohne viel Werbeaufwand dafür betreiben zu müssen. Nun gut, über die wahren Hintergründe der Schließung kann man derzeit nur spekulieren, wer weiß, was sonst noch dahinter steckt. Aber sollten tatsächlich wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend gewesen sein, ist das schon eine reife Leistung. Entsprechend fielen auch die Reaktionen in den sozialen Netzwerken aus.

Jedenfalls hat der Verwaltungsverein des Gebäudes, „Rosa Lila Villa“, kryptisch angekündigt, an einer konzeptuellen Neuausrichtung des Lokals arbeiten zu wollen. Was auch immer darunter zu verstehen ist, wird die Zukunft zeigen. Es bleibt nur zu hoffen, dass am Gastronomiekonzept festgehalten wird, denn alles andere wäre ein allzu herber Verlust für die Wiener LGBT-Szene.

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