Und wie wird man so Trans? Persönliche Einblicke zur Trans Awareness Week

Myself

Immer wieder werde ich gefragt, wie und wann ich wusste, dass ich Trans bin. Eine sehr gute Frage. Und nicht so einfach, vor allem nicht ganz eindeutig, zu beantworten. Vorauszuschicken ist, dass ich ein Kind der 70er/80er-Jahre bin. Ich wuchs Social Media- und Googlefrei auf. Und Smartphones waren Stoff für Science-Fiction-Filme. Transsexualität war in der noch prüden Öffentlichkeit alles andere als allgegenwärtig. Daher waren keinerlei Berührungspunkte damit vorhanden. Es wurde schlicht nicht darüber gesprochen.

Was mich zunächst nicht sonderlich kümmerte. Die ersten Anzeichen, dass bei mir vermutlich ein bissl was anders ist als bei den meisten anderen Jungs, poppten trotzdem bereits im Kindergarten auf. Dort spielten wir Familie. Vater, Mutter, Kind. Und schon damals verspürte ich das Verlangen, die Rolle der Frau zu übernehmen. Wir hatten auch einen kleinen, aber feinen Kleiderfundus. Ich hatte keine Scheu, bei diesen Rollenspielen einen Rock anzuziehen und die Frau zu sein. Interessanterweise kann ich mich nicht erinnern, jemals von einem anderen Kind verspottet oder ausgelacht oder von einer Kindergartentante (heute heißen die glaub ich Kindergartenpädagoginnen) daran gehindert oder zurechtgewiesen worden zu sein. Vermutlich wirkte noch der Geist der 68er-Generation nach. Und um allen Schnellspritzern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen – selbst, wenn mich damals jemand daran gehindert hätte, wäre ich trotzdem die gleiche Person geworden, die ich heute bin. Nur mit einem frühen traumatischen Erlebnis.

Als kleines Kind macht man sich diesbezüglich noch keinerlei Gedanken. Damals war es für mich noch nichts außergewöhnliches, für diesen kurzen Zeitraum die Frau sein zu wollen. Weil auch von niemandem Widerspruch gekommen ist. Und außerhalb dieser Rollenspiele war ich noch recht zufrieden mit mir.

Was sich in der dritten oder vierten Klasse Volksschule geändert hat. Ich war immer ein recht dünnes und zierliches Kind (obwohl ich, laut meiner Mutter, gefressen habe wie ein Scheunendrescher) und nannte damals auch längeres Haar mein Eigen. Das einzige mal in meinem Leben. Deshalb kam es öfters vor, dass ich von Erwachsenen für ein Mädchen gehalten wurde. Und hier trat erstmals die Diskrepanz zwischen Sein und Schein zutage. Innerlich fühlte es sich überraschend gut an, für ein Mädchen gehalten zu werden. Nach außen musste ich natürlich protestieren. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Unter den Kindern wäre ein Bub, der einen Rock trägt oder sich mädchenhaft gibt, (was auch immer das heißen mag), definitiv Ziel von Hohn und Spott geworden.

Mit Beginn meiner Gymnasiums-Zeit begann ich, wenn der Rest der Familie außer Haus war, den Kleiderschrank meiner Mutter zu durchforsten. Zu dieser Zeit passten mir ihre Kleider perfekt. Und ich machte mir Gedanken, ob ich wohl der einzige Mensch auf der Welt war, der dieses merkwürdige Bedürfnis hat. Wie schon anfangs erwähnt, Dr. Google konnte ich noch nicht fragen. Und mich jemandem anzuvertrauen, das wagte ich noch lange nicht. Mit ungefähr 15 Jahren las ich zufällig in einem Magazin einen Artikel über eine transsexuelle Person – und erkannte mich auf Anhieb wieder. Einerseits war eine Erleichterung spürbar. Ich wusste, dass diese „Sache“ einen Namen hat. Und ich war nicht der einzige Mensch auf der Welt, die so fühlte. Andererseits wurde in diesem Artikel auch erwähnt, dass Transsexualität als psychische Abnormalität, also als psychische Krankheit, gelistet war. Somit war für mich klar: never ever durfte irgendjemand davon erfahren. Denn das letzte, was ein 15jähriger, völlig verunsicherter Teenager, möchte, ist als psychisch krank zu gelten.

So lebte ich also mein Leben weiter. Wann immer ich allein zu Hause war, verwandelte ich mich in die Frau, die ich eigentlich war. Nach außen hin versuchte ich, jegliche Anzeichen, die darauf hindeuten könnten, zu verbergen.

Meine ersten eigenen vier Wände waren auch Anlass, erstmals bei Versandhäusern eigene Frauenkleidung zu bestellen. Damals begann eigentlich schon das Switchen. Zu Hause war ich Frau, sobald ich jedoch die Wohnung verließ, wurden sämtliche Kleidungsstücke und Accessoires sorgfältig verstaut und ich spielte wieder den Mann. Eines der härtesten und schwierigsten Dinge bei einer Genderdysphorie ist übrigens nicht die Akzeptanz des Umfeldes. Natürlich spielt das eine Rolle, aber zunächst geht es um die Selbstakzeptanz. Sich einzugestehen, dass man Trans ist. Nicht nur einmal habe ich sämtliche weibliche Kleidungsstücke in einen schwarzen, großen Müllsack gepackt und entsorgt – nur um mich spätestens zwei Tage danach am liebsten dafür zu ohrfeigen. Auch meine Berufswahl war ein, natürlich missglückter Versuch, die Genderdysphorie loszuwerden. Ich dachte allen Ernstes, wenn ich einen männlich dominierten Beruf wie Polizist ergreife, verschwindet vielleicht dieses Bedürfnis, Frau zu sein. Verschwunden ist nichts. Im Gegenteil, das Gefühl, im falschen Geschlecht zu leben, wurde immer stärker. So stark, dass ich schließlich mit 25 Jahren wagte, mich meiner Mutter anzuvertrauen. Sie reagierte empathisch, meinte, wenn es mich glücklich mache, wäre es auch für sie ok. Heute weiß ich, dass die Nachricht für sie ein ziemlicher Schock war. Aber sie ließ sich das nicht anmerken.

Die nächsten 20 Jahre verzeichneten einen stetigen Anstieg jenes Anteils an meinem Leben, den ich als Frau verbrachte. Zunächst waren es zwei bis drei Anlässe im Jahr, zu denen ich es wagte, als Frau das Haus zu verlassen. Meist einschlägige Veranstaltungen wie Fetisch-Bälle oder ähnliches. Die Anzahl steigerte sich mit den Jahren. Trotzdem grübelte ich nach wie vor selbst. Negierte meine Genderdysphorie, schwankte zwischen den Extremen. Von völliger Ablehnung meines Transgender-Daseins bis hin zum „nur-mehr-ganz-als-Frau“ leben können.

Irgendwann gestand ich mir ein, dass es eben so ist, wie es ist, und akzeptierte die Realität. Das war der Zeitpunkt, zu dem ich begann, ein Doppelleben zu führen. In der Arbeit, die ich inzwischen gewechselt hatte, trat ich nach wie vor als Mann auf, privat war ich fast ausschließlich als Frau unterwegs. Das funktionierte eine Zeitlang recht gut. Das hin-und herswitchen ist wie einen Schalter umlegen. Aber wie es eine Freundin so treffend formuliert hat – irgendwann geht dieser Schalter kaputt. Und dann ist man drauf und dran, an diesem switchen zugrunde zu gehen. Und muss etwas unternehmen. Die Alternativen: irgendwann an einem Seil im Wohnzimmer zu baumeln. Oder sein Leben so zu ändern und einen Weg einzuschlagen, der natürlich das eine oder andere Risiko birgt, der einem aber auch als einziges die Möglichkeit bieten kann, ein glückliches Leben zu führen.

Also den Schritt in die Ungewissheit wagen. Privat war ich bereits komplett geoutet. Ohne auf nennenswerten Widerstand gestoßen zu sein. Interessanterweise war ich auch in der Arbeit geoutet. Ein offenes Instagram-Profil, auf dem ich mich als Frau präsentierte, wurde recht bald entdeckt und die Nachricht hat sich damals, wie ein Lauffeuer verbreitet. Und passiert ist - nichts. Zu meiner Verwunderung. Trotzdem ist es eine Sache, darüber Bescheid zu wissen, aber eine ganz andere, damit von Angesicht zu Angesicht konfrontiert zu werden. Deshalb habe ich zu Beginn noch gezögert. Die Interessensvertretung für queere Angestellte an meinem Arbeitsplatz hat mir jedoch vollste Unterstützung zugesichert und mich auf meinem Weg der Transition in der Arbeit tatkräftig begleitet. Ohne sie hätte ich nicht gewusst, wo ich anfangen oder an wen ich mich wenden sollte. Parallel dazu begann ich den Prozess der offiziellen Personenstandsänderung mit Besuchen bei den sogenannten psychologischen Fachkräften (Psychiater, klinische Psychologin, Psychotherapeutin). Mit der Konsenserklärung begab ich mich auf das Standesamt. Und im November 2021 war es schließlich so weit: Ich hielt die Geburtsurkunde, ausgestellt auf Jessica, Geschlecht weiblich, in der Hand. Dieses Ereignis stellt definitiv meinen zweiten Geburtstag dar.

Heute, vier Jahre später, kann ich behaupten, dass ich den Schritt noch keine einzige Sekunde bereut habe. Ich bin glücklich, fühle mich authentisch und auch akzeptiert. Klar gibt es immer wieder Menschen, die in erster Linie aufgrund von Unwissenheit und Angst Blödsinn schwafeln und ablehnende Haltung einnehmen – wiewohl nicht von Angesicht zu Angesicht. Aber das ist für mich ohnehin vollkommen belanglos. Das einzige, was für mich wirklich zählt, ist mein unmittelbares Umfeld. Familie und Freunde. Die weiß ich hinter mir. Bedingungslos. Das können ein paar Trolle nicht zerstören.

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