ein paar gänzlich unpolitische Gedanken ... oder etwa doch nicht?

Oft kommt es mir so vor, als lebten wir mit unseren Kindern in einer Parallelgesellschaft. In dieser unserer Welt gibt es festgelegte Urlaubszeiten, die sich nach den Schulferien richten. Sonderangebote oder Off-Season-Urlaub abseits der Touristenströme? Nicht für uns. Das gesamte Jahr über fahren kinderlose Paare in ihre Urlaube. Wir Eltern fahren im Juli und August, quasi geballt. Es muss von außen wirken wie eine Invasion der Autobahnen, Campingplätze, Flughäfen und Familienhotels.

Überhaupt, Hotels. Hier tut sich gleich eine weitere Paralleldimension auf. Während viele Paare mit einem oder zwei Kindern noch normale Hotels buchen können, ist die bezahlbare Auswahl bei dreien eher beschränkt. So bleibt man im Urlaub schön unter sich. Kinderlose oder ältere Generationen in den „Ab 18“-Hotels, Familien mit 1-2 Kindern in Clubs und Hotels mit abendlichem Animationsprogramm, und Menschen wie wir zusammen mit anderen Kinderreichen auf Campingplätzen, auf denen die Lautstärke niemanden stört.

Alles schön homogen

Immer mehr Familien wohnen auch im Alltag, abseits des Familienurlaubs, in homogenen Einheiten. Die kinderreichen Familien ballen sich in Vierteln, die genügend Parkplätze, ein paar Spielflächen und vielleicht sogar ein handtuchgroßes Stück Garten aufweisen. Glück ist, wenn die benachbarten Kinder das gleiche Alter haben wie die eigenen, und wenn das Bildungsniveau der anderen Eltern in etwa mit dem eigenen übereinstimmt. Dann lässt es sich gemütlich leben: Konflikte halten sich in überschaubarem Maß, man ist im Alltag nicht allzu oft mit einer gänzlich anderen Meinung konfrontiert, und echte Rücksicht zu nehmen braucht man auch kaum, denn die Bedürfnisse der Nachbarn decken sich mit den eigenen. Der ständig meckernde, einzige kinderlose Alte ist der Störfaktor, den das Viertel braucht, und alles, alles ist schön. Das gilt natürlich auch für alle anderen homogenen Einheiten um uns herum: Die kleinen Studentenbutzen mit der Kneipe und dem Dönerladen unten drunter, die schicken Altstadtwohnungen für die besserverdienenden DINKs, die freistehenden Häuserchen am Rand der Stadt oder sogar gleich im nächsten Dorf, wo der Mann noch arbeiten geht und die Frau Torte backt und alles seine Ordnung hat.

Unsere parallelen Welten erstrecken sich auch auf das abendliche Kultur- und Unterhaltungsprogramm. Familien mit Kindern wissen genau, wo sie erwünscht sind, und für welches Restaurant sie einen Babysitter brauchen. Welche Freizeitbeschäftigung gerade kollektiv auf Billigung stößt, (Info: Es sind die Kletterparks!) und was von der Gesellschaft (™) außerhalb der eigenen Einheit als unpassend empfunden wird. Artikel, Kolumnen und Bücher lassen uns das auch keinen Moment vergessen: Eltern, die auf einem Klettergerüst herumturnen? Schaden ihren Kindern. Mütter, die das Baby stundenlang bei einem Latte Macchiato stillen? Machen das Café-Geschäft kaputt. Und das sind nur zwei der immer noch sehr aktuellen Themen im Prenzlauer Berg, dieser merkwürdigen Parallelgesellschaft, die mit uns so überhaupt nichts zu tun hat – oder etwa doch?

Störfaktor „Anders Leben“

Ich kann die Gelegenheiten, zu denen Eltern und Kinder auf die ein- oder andere Weise stören, nicht mehr zählen. Parallelgesellschaft im Beruf, wenn ein Meeting auf sechs gelegt wird, und die Mutter im Team leider ihr Kind aus der Kita abholen muss. Wenn morgens ein wichtiges Telefonat ansteht, das der Vater aufgrund seines kranken Kindes direkt beim Kinderarzt annehmen muss und lautstark das gesamte Wartezimmer unterhält. Wenn die Straße völlig zugeparkt ist, weil ein Elternabend ansteht, zu dem beide Eltern für Einzelgespräche erscheinen mussten und der Babysitter unter der Woche nicht kommen kann. Beim Einkauf, wenn die Kinder an der Kasse quengeln und das Paar dahinter aufstöhnt: „Kann man die Kinder nicht zuhause lassen?“ Und an Samstagvormittagen in so ziemlich jedem Einkaufszentrum dieses Landes, wenn niemand mehr durchkommt vor lauter Kinderwagen, weil das die einzige Zeit ist, in der Familien alle gemeinsam wichtige Besorgungen machen können. Überall nerven sie, diese Eltern mit ihren nie leisen Kindern.

Und dann werde ich sauer. Ich werde sauer auf all die anderen Menschen in ihren homogenen Lebenseinheiten, die zwischendurch mit einer parallelen Gesellschaft konfrontiert werden und uns dann am Wochenende das Leben schwer machen. Oder sich über die Autos vor der Schule beschweren. Oder über den Lärm auf dem Sportplatz am Sonntag. Oder darüber, dass der Strand schon wieder so voll ist und Kinder über das eigene Handtuch rennen. (Sorry übrigens dafür, aber ein Weltuntergang war es doch auch nicht!) Ich wünsche mir plötzlich, dass mal jemand unser Paralleluniversum betritt und sich anschaut, wie das so ist, das Leben mit Kindern. Und dann merke ich, dass auch ich nicht gerade viel Verständnis für die anderen und ihre Bedürfnisse habe. Sie nicht für meine, ich nicht für ihre. Ich erfahre kurzfristig eine andere Lebenswirklichkeit, schüttele den Kopf, fahre nach Hause und freue mich, zurück in meine eigene Hood zu kommen.

Und möglicherweise ist genau das das Problem.

Konflikte haben einen schlechten Ruf

Wir leben alle in parallelen Welten. Manchmal, nicht sehr häufig, prallen diese Welten aufeinander und es gibt Konflikte. Konflikte haben einen sehr schlechten Ruf, die meisten unter uns vermeiden sie daher weitgehend. Aber nur da, wo unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Biographien, Träume und Lebensentwürfe aufeinandertreffen, entsteht neben der Reibung auch Verständnis. Nur da erkenne ich, dass nicht alle auf dieser Welt so ticken wie ich selbst. Und auch wenn es angenehm und konfliktarm ist, sich in homogenen Kreisen zu bewegen – tun wir uns damit wirklich einen Gefallen? Immerhin nehmen wir die Lebenswirklichkeit von anderen damit erschreckend wenig zur Kenntnis. Und können umgekehrt auch nicht allzu viel Verständnis für unsere Situation erwarten. Wir leben nicht mehr zusammen, wir unterschiedlichen Menschen, Schichten, Lebensentwürfe. Wir sehen uns nur noch gelegentlich und ignorieren uns dabei im besten Fall.

So bequem und wunderbar sie ist, die eigene kleine Parallelwelt: Im Grunde sind verschiedene, nebeneinander existierende Gesellschaften die perfekten Echokammern, mit allen Nachteilen derselben. Wir wollen von Vielfalt profitieren, sagen wir und meinen damit, dass wir sowohl griechische als auch türkische Oliven im Supermarkt bekommen möchten. Wir sind divers, rufen wir und meinen damit, dass wir auch ein lesbisches Pärchen mit zwei Kindern in der Nachbarschaft haben. Wir haben überhaupt keine Ahnung von den Parallelwelten der anderen und in Wirklichkeit gefällt uns das ganz gut. Wir haben keine Lust, mit dem ständig schimpfenden Nachbarn zu reden, und wundern uns über den großen Zulauf von Parteien, die Abschottung statt Dialog wollen und Angst vor allem Neuen haben. Vor kurzem sagte eine Politikerin, dass man auch dann Gespräche führen und aufrecht erhalten müsse, wenn alles danach aussehe, als ob diese Gespräche nicht das Geringste brächten. Dieses pausenlose Konfrontieren, dieses Einlassen auf einen anderen Menschen, eine andere Gruppe, einen anderen Kulturkreis – für sie ist das das wichtigste Mittel zur Herstellung und Bewahrung des Friedens. Aber wer von uns bringt schon die Energie dafür auf? Ich habe sie nicht.

Zumindest sehe ich ein Problem. Das ist doch auch schon mal was.

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