H&M - die ideale Flirtzone und warum meine Frau nicht wie meine Jeans-Jacke ist

Ich werde den Tag nie vergessen. Den Tag an dem ich dank meiner pubertierenden Tochter auf eine völlig neue Erkenntnis gekommen bin. Und zwar nur weil sie mich ausnahmsweise doch einmal brauchte. Eines Tages, vor ca. zwei Jahren, kommt sie zu mir und fragt: »Papa, möchtest du mit mir einkaufen gehen?«

Zuerst denke ich, ich habe mich verhört. Hat mich meine 15-jährige Tochter jetzt wirklich gefragt, ob ich mit ihr einkaufen gehe? Nimmt sie jetzt doch Drogen und ist ihr Urteilsvermögen völlig von der Rolle? Normalerweise bin ich als Vater nichts anderes als ein übles Missgeschick der Natur? Es gibt keinen Moment in dem mich meine wunderbare Tochter nicht spüren lässt, dass meine Existenz eine einzige, nicht enden wollende, Peinlichkeit für sie ist.

Allein ihr Blick, wenn sie mit Schulfreundinnen bei uns zu Hause ist, und ich ihr Zimmer – in dem diese Taschengeldempfängerinnen herumlungern – auch nur kurz betrete. Nach einer betont lässigen Begrüßung meinerseits wie: »Hi Mädels, was macht das Liebesleben und die Pubertät?«, kann ich mich glücklich schätzen wenn mich meine Tochter nur mit einem Blick versucht zu töten.

Allerdings achte ich in solchen Situationen immer darauf, dass sie keine Messer oder ähnlich gefährliche Gegenstände in der Hand hat. Ich positioniere mich immer automatisch so, dass ich eine Tür im Rücken habe, durch die ich mich im Ernstfall mit einem Hechtsprung retten kann.

Meine 15-jährige Tochter will mich diesmal gar nicht umbringen. Nein, sie will mit mir einkaufen gehen. Klar, es geht ihr nicht darum ein wenig Qualitätszeit mit Papa zu verbringen, sondern nur um die Tatsache, dass meine Kreditkarte unbegleitet einfach nicht mitkommt. Meine Frau hat an dem Nachmittag auch keine Zeit, also muss Charlotte mit mir Vorlieb nehmen. Für mich ist das Ganze wie ein Schulausflug. Ich bereite mich darauf vor neue Welten zu entdecken. So wie Raumschiff Enterprise und Captain Kirk werde ich in eine unbekannte Galaxie eintauchen und fremde Wesen in ihrer ureigenen Lebensumgebung beobachten.

Ich bin bereit: »Mr. Zulu, Zielkoordinaten eingeben: H&M. Gehen wir auf Warp-Speed.«

Meine Tochter ist sich auch sicher, dass ich auf Speed bin, aber dieses Speed hat ihrer Meinung nach nichts mit Antriebskraft und Sternenreisen zu tun.  Sie sieht mich mit ihren wunderbaren Augen an und ihr Blick sagt klar und deutlich: »Alter, das werde ich so was von bereuen!« Aber der „Point of no Return“ ist überschritten und wir zehen los. Ab zum H&M.

Ich bereue keine Sekunde. Für mich ist das wie ein großer Abenteuerspielplatz. Je geschmackloser ein Textil ist, desto lauter rufe ich durch das ganze Geschäft: »Hey Schatz! Charlott! Das wär’ doch was für dich?! Für die Kinderdisco am Samstag nachmittag wäre das doch perfekt!«. Dabei schwenke ich ein möglichst hässliches Kleidungsstück über meinem Kopf.

Aus irgendeinem Grund versucht meine Tochter von da an möglichst immer zwei Stockwerke zwischen sich und mich zu bringen. Ich muss die Zeit im Geschäft also alleine totschlagen.

Ich beschließe mir selbst Jeans zu suchen. Alle paar Jahre kaufe ich mir ein paar neue Jeans. Und zwar nur um die zu ersetzen, die meine Frau heimlich aus dem Schrank nimmt, um sie in die Altkleidersammlung zu geben.

Das ist so eine Sache in langfristigen Beziehungen, die ich als Mann nie begreifen werde. Immer wieder versucht meine Frau Kleidungsstücke zu entsorgen, die mir aber noch gute Dienste erweisen. Meine Frau sieht das nicht so. Sie versucht es unaufhörlich und in regelmäßigen Abständen.

Ich habe da z.B. so eine uralte Jeans-Jacke. Ausgewaschen, am Kragen und den Ärmeln schon verschließen und zerfranst. Ich kann mich noch gut erinnern wie ich sie mir damals in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gekauft habe. Auslöser war der damalige Filmhit „La Boum - die Fete“ mit Sophie Marceau. Wie alle Jungs damals war auch ich in dieses Mädchen völlig verknallt. Der Junge, der Sophie im Film abschleppen durfte war ein Kampfsportler mit genau so einer Jeans-Jacke. Also musste ich so eine Jacke haben.

Inzwischen sind ich, Sophie und meine Jeans-Jacke über dreißig Jahre älter. Dabei bin ich selbst (zeitweise) und die Jeans-Jacke in regelmäßigen Abständen von einer permanenten Abschiebung durch meine Ehefrau bedroht. Die Argumente meiner Frau sind dabei immer die Gleichen: »Die ist schon kaputt. Was willst du mit dem alten Ding? Kein Mensch trägt so etwas mehr.«

Ich empfinde das immer als unfair. Ich liebe diese Jacke. Sie begleitet mich seit über dreißig Jahren. Sie ist treu, passt immer besser und selbst die Fransen, die genähten Stellen und die durchgewetzten Bereiche haben sie nur noch liebenswerter und besser gemacht. Sie ist so wie sie ist perfekt und deshalb will ich sie nicht aufgeben. Das letzte Mal (vor knapp einem Jahr), als ich die Jacke wieder aus dem — mit dem Etikett „Altlkleider“ etikettierten — Müllsack zerre habe ich dann vielleicht etwas überreagiert.

Ich sage zu meiner Frau: »Warum machst du das? Lass die Jacke leben.«

»Geh bitte, die ist völlig kaputt und zerschließen. Gib sie endlich auf.«

So leicht nicht. Und dann passiert das, was uns Männern leider oft passiert. Ich rede mich um Kopf und Kragen.

»Warum? Das ist nicht fair. Ich trage sie noch immer gerne. In Wahrheit ist die Jacke ein wenig wie du.«

»Wie ich? Wirklich? Wie meinst du das denn?«, zischt es mir gefährlich entgegen.

»Ähhh, öhhhh, also im übertragenen Sinn. Ha, ha, das ist jetzt witzig, oder? Übertragen! Verstehst du?«

»Nein, verstehe ich nicht. Im übertragenen Sinn würde ich sagen du bist schon drei unvorsichtige Schritte in ein Minenfeld gegangen.«

»Ähhh, schau Schatz, ich liebe diese Jacke seit 30 Jahren. Ja, sie hat natürlich auch schon ihre Verschleißerscheinungen, aber für mich ist sie noch immer perfekt. Im Gegenteil, sie ist jetzt erst so richtig perfekt. Verstehst du?«

Da hätte ich aufhören sollen. Aber meine Frau lässt nicht locker.

»Was hat das mit mir zu tun? Kannst du mir das erklären?«

Ich fange vielversprechend an.

»Ich liebe dich auch schon seit fast dreißig Jahren.«

Da war wieder der ideale Ausstiegspunkt, aber ich marschiere los und springe mit beiden Füßen voll auf die nächstgelegene Splittermine.

»Schau, ich geh ja auch nicht hin, packe dich in einen Müllsack und stelle dich zur Altfrauensammlung. Oder? Da gibt es ja auch schon neuere Modelle am Markt. Moderner, schicker und trendiger, aber die will ich nicht. Ich will dich, nur dich — und meine Jeans-Jacke.«

Ich bin sicher, dass meine Frau spätestens sechs Monate nach diesem Satz wieder mit mir gesprochen hat. Über das Schicksal meiner Jeans-Jacke will und kann ich jetzt nicht sprechen. Das nimmt mich zu sehr mit.

Ich glaube da hat meine Frau damals etwas überreagiert - mit dem Grillanzünder.

Jetzt beim Einkaufen mit meiner Tochter im H&M bin ich fest entschlossen mir ein Paar neue Jeans zu besorgen. Überhaupt nachdem meine Tochter beschlossen hat meine Existenz im Geschäft zu bestreiten und kein Wort mehr mit mir zu wechseln.

Um die Fakten schnell auf den Tisch zu legen: ja, ich war auch allein dazu fähig zwei Jeans zu finden, die mir

a) passen und

b) nicht zu peinlich aussehen.

Für einen Mann meines Alters durchaus ein erfolgreicher Ausflug.

Als ich mich dann aber mit den Jeans, und den 23 Einzelkleidungsstücken die sich meine Tochter ausgesucht hat, in die unglaublich lange Schlange an der Kasse einreihe fällt es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. Ich wäre so gern heute ein Teenager. Da hätte ich mich nicht in eine französische Schauspielerin verlieben müssen, sondern eine Auswahl der hübschesten und nettesten Mädchen direkt hier im Geschäft gefunden.

Während wir damals immer versucht haben in dunklen, verrauchten und viel zu lauten Diskotheken Kontakt zum weiblichen Geschlecht herzustellen, wäre das hier viel einfacher. Der H&M ist eigentlich die perfekte Flirtzone. Weit besser als jede Disco und jedes Clubbing. Es sind einfach unglaublich viel mehr junge Frauen als Männer im Geschäft. Von so einem Verhältnis Mädels/Burschen hätten wir in der Disco nur träumen können.

Dieser Umstand ist natürlich auch schnell erklärt und eigentlich logisch. Welcher Mann, oder auch Teenager-Fast-Mann, geht schon freiwillig mit seiner Partnerin shoppen? Hier sind sie fast alle allein, die Mädels. Und da stehen sie dann, allein und verlassen in der Schlange an der Kasse. Glücklich, dass sie gerade Beute gemacht haben, hormonell im Gleichgewicht, aber trotzdem einsam und allein. Der perfekte Moment, um einen ersten schüchternen Kontakt zu wagen.

Mit einer unschuldigen Bemerkung, kann man genau dort, in der Warteschlange im H&M, perfekt eine Kontaktaufnahme wagen und auch gleich wichtige Zusatzinformationen erhaschen. Z.B.: »Hallo, also dein Freund muss ein glücklicher Mann sein, wenn er so ein attraktives Mädel in diesem Outfit (Geste auf die Kleidungsstücke die sie ausgesucht hat und in den Armen trägt) sehen darf.«

Mit ein wenig Glück bekommt man sofort den Beziehungsstatus mitgeteilt, sogar ohne Facebook zu nutzen, und steht als Mann mit Geschmack und gesundem Urteilsvermögen da. Neunzig Prozent der so angesprochenen Frauen und Mädels fangen dann auch sofort an in ihren Erinnerungen zu kramen, wann denn ihr eigener Freund das letzte Mal so was Nettes gesagt hat? Und 90% derer, die darüber nachdenken, werden schnell merken, dass sie sich nicht daran erinnern können. Und schon hat man den Fuß in der Tür.

Im Gegensatz zu Clubs, Discos oder Clubbings ist der H&M gut und relativ neutral ausgeleuchtet. Man kann also ziemlich gut beurteilen, ob das weibliche Wesen am nächsten morgen ungefähr genauso aussehen wird wie im Moment der Kontaktaufnahme. Zugegeben, dabei hilft nicht nur das Licht. Auch die Tatsache, dass man in einem H&M meist noch keine 12 Wodka-Red-Bull und 13 Caipirinhas runtergekippt hat ist nicht unerheblich.

Auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Angesprochene vor ihrem Einkausfausflug auch nur halb so viel Zeit und Energie für optisches und kosmetisches Tuning aufgewandt hat, wie vor einem Mädelsabend in der Clubszene, ist auch gering. Wir sinnd im H&M also viel näher an der Realität.

Das ist gut. Denn wer hat das als junger Mann nicht mindestens einmal erlebt?

Man wacht am nächsten Morgen im Bett auf, dreht sich um und fragt sich: »Wer ist das da neben mir? was habe ich da wieder gemacht? Und warum verdammt noch mal ist sie tot?«

Das ist wirklich unangenehm und wird nach einer völlig nüchternen Anbaggerung im H&M nicht passieren. Ein gutes Argument für die Flirtzone H&M.

Und dann ist da auch noch der erträgliche Hintergrundlärmpegel in einem durchschnittlichen H&M. Der lässt tatsächlich Gespräche zu, bei denen man den Gesprächspartner auch versteht. Ich kann mich an meine Discotage erinnern, in denen ich meist irgendwann aufgegeben habe zu versuchen die Worte meiner Angeflirteten akustisch zu verstehen. Ich habe dann immer einfach auf alles mit einem breiten Grinser und den Worten: »Ja, aber klar doch!« reagiert. Diese Taktik hat sich bis heute bewährt. Fast immer. Sogar in meiner Ehe.

Noch ein Argument für die Flirtzone H&M. Eine junge Frau, die von einem charmanten jungen Mann mit geschmackvoller Kleidung am Arm in einer Warteschlange im H&M angesprochen wird, wird grundsätzlich positiv reagieren. Immerhin ist das ein Mann, der nicht nur selbst einkaufen geht, nein, er goutiert ihre eigenen Kaufentscheidungen und ist dabei auch noch entspannt. So was kennt sie von ihrem Partner sicher nicht. Solche Männer gibt es ja eigentlich gar nicht. Und im Gegensatz zu den Typen, die sich im Bier- und Long-Drink-Rausch in Clubs endlich genug Mut angesoffen haben um überhaupt den ersten Schritt zu wagen, wird der Mann im H&M ihr weder flüssig ins Ohr lallen, noch — natürlich rein zufällig — die Hand auf ihren Oberschenkel, Hintern oder andere Körperteile ablegen.

Grundsätzlich kann man außerdem davon ausgehen, dass Mädels die im H&M einkaufen, auch kostenbewusst sind. Meine Tochter ist das typische Beispiel. Klar, auch sie sucht sich Sachen aus, die ein klarer Beweis der Einsteinschen Relativitätstheorie „es ist relativ was schön und sinnvoll ist“ sind. Aber wenigstens bekommt man diese relative Schönheit und Sinnhaftigkeit um einen günstigen Preis.

Eigentlich ein Traum für alle jungen Männer, die regelmäßig mit der Frage nach adäquaten Geschenken für ihre Angebetete überfordert sind. Sowohl intellektuell als auch finanziell. Eine Frau in der Warteschlange im H&M anzusprechen ist bei weitem kostengünstiger als jede andere Variation des Spiels. Wenn der Versuch erfolgreich ist und man das ausgesuchte Kleidungsstück tatsächlich kaufen muss, ist es meist billiger als die fünf Runden Cocktails und Long-Drinks in einem überteuerten Club, die nötig sind, um in ein ernsthaftes Gespräch zu kommen. Und wenn es finanziell wirklich eng wird, kann man das Teil ja später wieder zurückbringen.

Und der absolute Hammer im H&M ist die unglaublich gute Konkurrenzsituation. Man ist dort weit und breit allein auf der Pirsch unterwegs. Der ganze Konkurrenzkampf mit coolen Posen, schlechten Tanzschritten, dummen Anmachsprüchen und großspurigen Lokalrunden, um sich gegen weitere Hormonkipferln in üblichen Clubbing-Locations durchzusetzen, fällt weg. Die Wahrscheinlichkeit wegen eines Flirtversuchs in einem H&M in eine wüste Prügelei zu geraten ist quasi nicht existent.

Da stehe ich also im H&M umringt von jungen Frauen, die quasi wie reife Früchte am Obstbaum baumeln. Meine Tochter wartet hinter einer Säule versteckt, bis ich die erlegte Textilbeute bezahle. Ich trauere still meiner Jugend nach, in der ich nie ein derart grandioses Biotop zum Flirten gehabt habe. Ich bin so in meine Tagträume verloren, dass mich eine junge Frau anstupsen muss, als ich an der Kasse an der Reihe bin.

»Entschuldigung, sie sind dran.«

Ja, das ist klar. Sie sagt „sie“ und nicht „du“, denn ich bin für sie ein alter Sack. Das ist ja das Problem. Ich bin ja schon ein gepflücktes Obst und auch nicht mehr im frischesten Zustand. So gesehen muss ich mich glücklich fühlen, dass mich meine Frau noch nicht zu Most verarbeitet hat oder mich gar in den Altherrencontainer zur 14-tägigen Abholung steckt.

Aber ein wenig wehmütig bin ich dann doch. Wenn es denn H&M schon damals in meiner Jugend gegeben hätte, ich wäre permanent freiwillig shoppen gewesen.

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