Wenn man aus freien Stücken in eine andere Stadt zieht, tut man dies in erster Linie aus Lust an einer Veränderung. Eine Besserung ist natürlich das Nonplusultra, muss aber nicht für jeden der Antrieb sein. Das komplette Umfeld zu wechseln ist natürlich für viele Menschen auch ein Schritt, den sie ungern wagen, da es auch bedeutet von Vorn anzufangen. Das soziale Konstrukt, das einen immer umgeben hat, erlischt teilweise und verändert sich radikal. Man fühlt sich vielleicht auch ausgesetzt, zu niemandem gehörend. Doch trotz dieser fundamentalen Erschütterung, hat man auch gleichzeitig die Chance, sich - losgelöst von den bisherigen Gegebenheiten - auf eine neue Erfahrung einzulassen. Dadurch kann man nach einiger Zeit auch erkennen, wo man selbst im Leben steht, frei von bisherigen Einflüssen.

Es gibt sehr viele schöne Städte in Deutschland, doch eine zeichnet sich besonders durch ihre Aufnahmebereitschaft aus: Berlin. Als No.1-Zugezogenen-Stadt in Deutschland zeichnet sich diese nämlich durch über 50% Wahl-Berliner aus. Tatsächlich sind die echten Berliner hier nämlich in der Unterzahl, was man wohl in keiner anderen Stadt Deutschlands so hat. Und wenn man mal in Berlin lebt, versteht man auch warum das so ist. Berlin ist eine pulsierende Metropole, die tatsächlich fast gar nicht schläft. Während in anderen Städten ab 20 Uhr höchstens ein Sack Kartoffeln umfällt, trinkt Berlin gerade ihren Morgenkaffee. Hier sind 20/21/22 Uhr an einem Montag kein Ende des sozialen Trubels, sondern für viele erst der Anfang. Egal ob man in Kreuzberg, Wedding oder Schöneberg wohnt, überall sind belebte Restaurants und Bars, die einen auf ein 3€-Bier einladen. Selbst die Spätis holen im Sommer ihre kleinen Bänke und Tische raus, um einen Ort zum Zusammensein zu schaffen. Man braucht also lediglich das Haus zu verlassen, um das pulsierende Leben genießen zu können. Manchmal führt das natürlich auch zur Überfüllung - aber hey, man kann fünf weitere Schritte machen und findet dann halt da ein Plätzchen "zum cornern". Diese Einfachheit Berlins spiegelt sich auch im öffentlichen Nahverkehr wieder. Alle fünf Minuten fährt eine U-Bahn und die Ring- und S-Bahn sogar manchmal noch öfter. Auch unter der Woche hat man nachts immer die Möglichkeit irgendwie von A nach B zu kommen, am Wochenende sowieso. Auch wenn die Stadt flächenmäßig groß ist, kommt man verhältnismäßig schnell überall hin (sofern man das möchte). Denn viele bewegen sich auch hauptsächlich innerhalb ihres Kiezes, weil sie da eigentlich auch alles haben, was sie benötigen. Diese Metropole ist einfach viel menschenfreundlicher als man es aufgrund ihrer Größe erwarten würde.

Berlin ist auch eine dieser Städte, in welcher man auch mal mit etwas durchkommt, was woanders gar nicht gegangen wäre. Politessen helfen einem ein Örtchen in der Nähe zu finden, an dem man kein Parkticket benötigt, Fahrkartenkontrolleure lassen einen Obdachlosen zu winterlichen Monaten auch mal in der U-Bahn weiterschlafen und die Polizei beharrt nicht auf jeder Lappalie so stringent, wie in manch anderen Bundesländern. Auch im alltäglichen zwischenmenschlichen Kontakt erfährt man kleine Gefälligkeiten, die einem das Gefühl geben auch von Fremden freundschaftlich angenommen zu werden. Die Douglas-Verkäuferin durchforstet für einen sämtliche Rabattmöglichkeiten, um den Einkauf günstiger zu machen, die Dame im Autoverleih gibt einem - nur aufgrund von Sympathie - Personalrabatt und der Späti-Typ schenkt einem auch mal einen Schokoriegel oder berechnet etwas günstiger als es ist. Das eiserne Durchsetzen von Regeln und bestimmten Vorgaben wird auch mal einfach fallen gelassen. Es ist sogar möglich einen Burger-Imbiss in einer ehemaligen öffentlichen Toilette zu eröffnen und damit das Geschäft seines Lebens zu machen (Burger-Legende Burgermeister am Schlesischen Tor). Die Menschen sind hier für vieles aufgeschlossener, sei es für einen Smalltalk in der Tram oder für ein Treffen mit der Servicekraft aus dem Lieblingsrestaurant. Wenn man will sind Bekannte nicht nur Fremde, sondern auch Menschen, die man in hilfsbedürftigen Situationen um Hilfe bitten kann. Sogar Obdachlose, die genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben, versuchen einem, sei es nur bei der Suche nach dem nächsten Baumarkt, zu helfen. Die Menschen schauen einfach nacheinander und leben nicht nur allein für sich.

Und aus all diesen Gründen ist der erste Blogeintrag in diesem Jahr Berlin gewidmet worden. Denn trotz des schwierigeren Lebensabschnitts, welcher sich beim Auszug aus dem Elternhaus gestaltet, hat mich Berlin in ihre großen, freundlichen Arme aufgenommen und mir ein neues Zuhause gegeben. Deshalb werde ich sowohl ihre positiven als auch negativen Eigenschaften immer schätzen und hoffentlich auch weiterhin an ihnen wachsen.

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