Es ist 14 Jahre her, dass ich zu rauchen aufgehört habe. Und trotzdem fehlt mir heute noch die absolute Tiefenentspannung beim Rauchen einer Zigarette. Ich sitze im Arkadencafé der Uni Wien: Ich beneide die Studenten, die hier gemütlich sitzen und eine rauchen. Mir fehlt dieses Gefühl der Entspannung, dieses Innehalten, den Rauch tief einziehen, das Loslassen, das Gefühl grenzenloser Entspannung. Warum geht das bloß nicht so… Bei einem Kaffee…

Und dazu hier diese feschen Studenten. Zumindest ist jetzt eines anders: Es ist immer noch ein verstohlener Blick, den ich ihnen zuwerfe, aber ich steh mir gegenüber voll dazu. Mein inneres Coming out schlägt voll durch. Ja, das bin ich. Ich stehe nun mal auf fesche Männer und genieße es, mich dabei wohl zu fühlen.

Bei Alex ist das noch eine Stufe mehr. Auf den ersten Blick fällt er mir nicht auf, ist nicht mein klassischer Traummann, auch wenn er nicht so schlecht aussieht. Aber es ist ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. "Schmetterlinge im Bauch" trifft´ s nicht annähernd. Mir bleibt einfach die Luft weg, wenn ich ihn sehe. Alles andere tritt in den Hintergrund, verschwimmt in einem Meer unscharfer Bedeutungslosigkeit, wer immer sonst noch redet, wird auf stumm geschaltet. Ich habe nur noch Augen und Ohren für Alex. Ein Gefühl unendlichen Glücks und unfassbarer Lebensfreude macht sich in mir breit. Es ist wie der Patronus gegen meine Dementoren des Selbstzweifels, der Angst und Hoffnungslosigkeit, der Unzufriedenheit mit mir und meinem Leben, der ungewissen Zukunft und Verzweiflung. Es ist seine Nähe, das Gespräch mit ihm, sein Anblick, der mich zu einem anderen Menschen macht. Ja, das Leben kann einfach toll sein, wie konnte ich bloß je auf den Gedanken kommen, mich umbringen zu wollen?

Der gestrige Tag mit dem Debakel bei der Präsentation hat mir wieder eines klar gezeigt: Freiwilliges Engagement, Nächte durchhackeln, liegt mir. Aber wenn ich das nicht mit entsprechendem Networking, Dauerkontakt und Lobbying mache, bringt´s gar nichts. Einmal mehr frage ich mich: Was bringt das alles? Wozu tu ich mir das alles an? Die Antwort ist für mich klar: Es macht Spaß. Ernsthaft jetzt? Der ganze gestrige Abend war das Gegenteil von Spaß. Es war Enttäuschung, Blamage, Verlassen sein. Wozu also das alles?

Ich habe meine Ziele oder muss sie finden. Ich will privat glücklich sein. Dazu ein bisschen engagieren ist ja ganz nett. Aber nur bis zu der Grenze, wo es in spaßbefreite Arbeit ausartet. Bis jetzt haben sich die anderen die Rosinen herausgepickt und ich durfte die Drecksarbeit machen. Das wird jetzt anders. Ich hol mir die Rosinen raus und wenn´s den anderen was bringt, sollen sie sich drüber freuen. Wenn nicht, hab wenigstens ich meinen Spaß.

Wenn ich mit Alex zusammen bin, ist mir alles andere egal. Ich brauche kein Internet, kein Handy. Es ist mir egal, was im Rest der Welt los ist, wenn mich niemand erreichen kann. Dann zählen meine Gefühle, dann zähle ich für mich. Und warum sollte ich mir das nicht auch einmal gönnen? Warum sollte ich weitere Jahrzehnte für nichts und wieder nichts und wieder nichts hackeln? Warum für alles und jedes rechtfertigen? Tun die anderen ja auch nicht! Ich will einfach ich sein, kein Vorsichtl, kein Rücksichtl. Ich will mir auch mal einen gesunden Egoismus gönnen. 30 Jahre lang ist es immer um andere gegangen. Jetzt bin ich auch mal dran!

Ja, meine Mutter geht mir nach wie vor ab, dass es mir oft das Herz zerreißt. Aber der Schmerz wird weniger, drängt sich vor allem in meine Träume, in den seltsamsten Formen. Aber meine Mutter wird immer Teil meiner Lebensgeschichte sein. Sie war glücklich, ich habe ihr viel zurückgeben können. Ich habe wieder zu ihr gefunden, sie hat gesehen, was sie mir wert ist. Ich habe nicht alles möglich machen können und das tut weh. Aber das werde ich nicht mehr ändern können. Das Wichtigste habe ich ihr erfüllen können. Und DAS war entscheidend. Wenn wir uns wiedersehen, wird es ein Moment des Glücks, nicht des Vorwurfs oder der Vergangenheitsaufarbeitung. Es wird unser Moment, egal, wann er kommt.

Jetzt aber bin ich in der Erwachsenenrolle. Ich wollte immer selbständig sein dürfen, machen was ich will, auch wenn ich Verantwortung übernehmen muss. Ich habe mich auf die Zeit gefreut, wenn ich selbst ein Erwachsener bin. Und was habe ich daraus gemacht? Sicher, viel (selbst)verwirklicht, viele Dinge, die mir Spaß gemacht haben. Aber mehr und mehr, immer sind Andere im Vordergrund gestanden, habe ich empathisch nur ihre Gefühle empfangen, mitgetragen, gedeutet, ausgeglichen. Meine Gefühle hatten keinen Platz, waren unnötig, nur im Weg. Funktionieren, funktionieren, zeigen, dass ich wer bin, was kann, alles schaffe, alles aushalte. Egal, ob ich dabei zugrunde gehe.

Dabei kann das Leben so schön sein. Warum darf es das auch nicht? Warum darf ich kein schönes Leben haben?

Das ist genauso wie mit dem Geld ausgeben. Wenn ich Geld ausgebe, dann will ich auch was davon haben, nicht jedes Mal gleich mit einem schlechten Gewissen herumlaufen. Warum soll ich nicht auch einmal ausgehen dürfen, Spaß haben dürfen, auch wenn mich das einiges kostet? Ganz einfach: Weil ich kein Geld dafür habe. Und warum? Gute Frage. Sehen wir das doch einfach einmal so: Wie viel Geld gebe ich aus, ohne darüber glücklich sein zu können? Ich glaube, dass ich genau da ansetzen muss, genau da überlegen muss. Weniger Geld ausgeben heißt nicht weniger Glück. Weniger Geld ausgeben heißt, mehr Geld für das haben, was mir wirklich Spaß macht. Was bringt es mir, zig Euro für Abos auszugeben, die ich kaum nutze? Wie viel mehr hätte ich davon, wenn ich um das Geld mit Alex ausgehe!

Ok, ich hasse es, Geld auszugeben, dass dann einfach so ersatzlos weg ist. Jedes technische Gerät habe ich dann bei mir und einen Gegenwert. Aber beim Weggehen? Hab ich nur einen Kater! So habe ich bis jetzt gedacht, aber je mehr ich mir das durch den Kopf gehen lasse, umso mehr wird mir klar: Falsch gedacht. Das technische Gerät ist vielleicht schnell abgelegt und verursacht ein schlechtes Gewissen. Wenn ich weggehe, habe ich wieder Lebensfreude, Glücksgefühle, Spaß. Wenn ich weggehe und die richtigen Leute treffe, entwickelt sich vielleicht Freundschaft, vertieft sich manche Freundschaft, wird eine Beziehung daraus. Und das ist mehr wert, als alles Geld, das ich ausgeben kann.

Ich sehe mich auf einer virtuellen einsamen Insel inmitten des Alltagstrubels, er in all seiner Hektik an mir vorüber rauscht. Nur unscharf sehe ich das Drumherum und nehme es kaum war, sitze ich doch mit Alex zusammen und genieße das Leben, spielen die Gefühle mehr Rolle als jede Mühe des Alltags. Hier steht die Zeit fast still, draußen rauscht sie vorbei. Tand, der vergeht, Aufregung, die schon morgen nichts mehr wert ist, Erfolge im ewigen Wettstreit der Karriereleitern, die dann doch niemanden glücklich machen.

Amariotti https://en.wikipedia.org/wiki/File:CampusLife_sm.jpg

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 20.04.2016 20:17:17

3 Kommentare

Mehr von Phoenix