Neulich: Ich sitze mit einer Freundin samstagvormittags in einer architektonisch recht gelungenen Innenstadtlokalität, wir nippen an unseren jeweiligen koffeinhaltigen Heißgetränken und widmen uns der Frage, was die Speisekarte denn so hergibt. Irgendwann hörte ich von hinter ihrer Karte einen Seufzer, und die Worte: Ich hätte gerne einen Muffin, aber ich darf nicht. Ich bin ja sooo entsetzlich fett geworden.

Die Zeiten, in denen ich bei einer solchen Aussage irrtümlich meinen Grüntee inhaliert hätte, sind gottseidank vorbei. Ich nehme meiner Freundin sanft die Speisekarte ab, und beginne mal wieder mit einer milden Predigt in Sachen body love, in der leisen Hoffnung, dass meine Worte bei ihr vielleicht dieses Mal einsickern.

Innerlich ist mir aber ungefähr so warm wie der Kochbrigade, die sich gerade den Spiegeleiern und Speckstreifen widmet. Meine Freundin – oder doch nur eine gute Bekannte? – ist nämlich nicht dick. Gut, sie hat keine Größe 34 mehr wie in ihren Zwanzigern, aber sie ist völlig durchschnittsgewichtig und hübsch und überhaupt. Und diejenige, die dick ist, bin ich.

Ich habe inzwischen kein Problem mehr mit meiner Figur, ich mag meine weichen Rundungen wirklich. Trotzdem stört es mich immer noch, wenn schlanke Frauen ihre „ich bin ja soooo fett“-Suadas in meiner Gegenwart loslassen. Weil ich mich frage, warum sie es machen. Was wollen sie von mir hören? Suchen sie nach einer Bestätigung, von wegen „du bist nicht dick, zumindest im Vergleich zu mir?“ Ist ihnen nicht bewusst, dass sie mich mit ihren Aussagen auch gleich abwerten, zumindest in ihren Augen? Soll das vielleicht eine unbewusste Botschaft mir gegenüber sein?“

Wenn sie sich schon als fett betrachtet, was bin ich dann in ihren Augen? Wenn ich die Mädels sanft darauf hinweise, dass ich im Gegensatz zu ihnen wirklich nicht schlank bin, kommt dann irgendein halbherziges „nein, du bist gar nicht fett“, und wir wissen beide, dass das einer Frau gegenüber, die Kleidergröße 50 hat, glatt gelogen ist. (Besonders sensibel ist es übrigens, wenn eine Dame diese Sprüche ablässt, obwohl sie weiß, dass ich lange mit einer Essstörung gekämpft habe, alle feinen Begleiterscheinungen inklusive).

Die gute Nachricht ist, dass solche Aussagen in meinem persönlichen Umfeld gottseidank rar sind, auch, weil ich meine Freundinnen sich in der Regel so mögen, so wie sie sind, und zwar egal, ob sie Kleidergröße Weidenzweiglein oder Urzeitgöttin haben. Dennoch begegne ich immer wieder schlanken Frauen, die sich gezwungen fühlen, in meiner Gegenwart ihre „ich bin ja sooo fett“-Sprüche abzulassen. Nun ist mir natürlich klar, dass es viele, viele Dünne mit Selbstwertproblemen und Selbstwahrnehmungsstörungen gibt, und dass ich in Sachen Body Love einiges weiter bin als die meisten. Dazu kommt, dass es unter vielen Frauen richtiggehend ein Bonding-Ritual darstellt, seinen eigenen Körper abzuwerten. Trotzdem wünsche ich mir, dass die schlanken Frauen, die sich in Gegenwart anderer als „fett“ bezeichnen, endlich damit aufhören. Dass sie merken, was sie den anderen – und sich selbst – mit diesem Giftgerede antun. Und über etwas anderes sprechen. Über Wordpress-Plugins zum Beispiel. Oder die Weltwirtschaftkrise. Oder meinetwegen auch über Muffins. Konstruktiver (und gesünder) wäre es auf jeden Fall …

(Foto (C) Rhea Krcmarova)

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fischundfleisch

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Susanne

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Kristallfrau

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