Abgeschobenes Denken und entschleierter Rassismus

Dialektisches Denken – Kunst und Notwendigkeit im Postcolognialismus. Wo ist es bloß geblieben?

Die sexuellen Übergriffe betrunkener, vermutlich nordafrikanischer Jugendlicher in Köln haben eine weitere Reihe pogromartiger Überfälle auf Migranten durch Rechtsradikale stimuliert, ein Schwimmbadverbot für Flüchtlinge in Bornheim, und sie werden zu Verschärfungen der Asylgesetze führen – das Schlimmste aber: Sie verleiteten auch bislang vernünftige Leute zu Ausschreitungen gegenüber der einzigen Instanz, die sie vorm Ressentiment bewahren könnte: dem kritischen Denken. Was führt bei gebildeten Menschen dazu, dass sie ein Denken, das es sich schwerer macht, beschimpfen, es sich zu einfach zu machen?

Ein Sturzbach von Emotion verwechselt sich dieser Tage mit Aufklärung. Dabei ist die Emotion durchaus berechtigt, sie merkt nur nicht, dass sie sich, ihres Korrektivs, des kritischen Denkens, entledigt, in genau jene Kanäle ergießt, die für sie ausgehoben wurden. Und da gerechte und zornige Emotionen nur zwei Pole kennen, ein Dafür und ein Dagegen, empfinden sie jedes Dazwischen als feigen Kompromiss und jedes Darüber als Abgehobenheit, die sich den wahren Problemen unserer Zeit nicht stellen will. Ein wirklich wahres Problem unserer Zeit aber sind falsche Polarisierungen.

Wäre ich gläubig und glaubte ich ans Christkind, würde ich mir von ihm den diskursiven Sieg eines Denkens wünschen, das folgendermaßen aussähe: Es bräuchte zunächst kein Islamkenner sein, um zu erkennen, dass nicht der Islam die Ursache der aktuellen Probleme ist, sondern diese die Ursache eines militanten Islams sind.

Ein solches Denken wäre radikaler Universalist, und trotzdem würde es sich über so viele kulturelle Differenzen schlau machen wie nur möglich, bloß um argumentative Ohrfeigen für den stets vereinfachenden politischen Missbrauch kultureller Differenz parat zu haben.

Dieses Denken würde die Errungenschaften von Säkularisierung und Frauenrechten mit dem Mut einer Löwin gegen alle Anfechtungen verteidigen. Aber auch gegen jede Vereinnahmung durch falsche Gemeinschaften, als die Gesellschaften sich über ihre internen Spaltungen, Konflikte und Ungleichheiten zwingend hinweglügen müssen.

Es würde dem nichtmigrantischen Grapscher wie dem migrantischen eines hinter die Löffel geben. Es würde aber die kulturellen Aspekte von Frauenfeindlichkeit ebenso beim Namen nennen, wie es zugewanderte Individuen vor kulturellen Zuschreibungen beschützen würde. Und um der Ehre des Feminismus willen würde es mit dem Mut einer Leopardin überall dort dazwischenfahren, wo Feminismus von der Asyldebatte zur Legitimation der Abwertung von Flüchtlingen missbraucht wird.

Ein solches Denken würde schließlich nicht müde, zu verhindern, emanzipatorische Errungenschaften in kollektive, in „unsere“ Werte umzulügen, weil ebendiese Werte erst vor kurzem gegen den Widerstand derer, die sie nun gegens Morgenland rüsten, erkämpft werden mussten, und mit solch Zwangskollektivierung ein weiteres Mal das Phantasma eines harmonischen Gesellschaftsganzen gestiftet wird, dessen innere Disharmonie in äußere Feinde projiziert werden soll. Und wer sich solch ein Denken inständig wünscht, bekommt es auch, und zwar nicht vom Christkind, sondern von der ägyptischen Feministin Mona Eltahawy, die der deutschen Zeitung „Freitag“ auf die Frage, wie man den unterdrückten Frauen in der islamischen Welt helfen könne, zur Antwort gab: „Ihr könnt uns indirekt helfen, indem ihr den Feminismus bei euch unterstützt. Die Menschen in westlichen Ländern haben oft diese Selbstgefälligkeit. Sie denken, das mit dem Feminismus wäre für sie erledigt. Ist es nicht! Verdienen Frauen in Deutschland das Gleiche wie Männer? Sind häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung Vergangenheit?"

Dies Denken, man nennt es auch dialektisch, würde nichts entschuldigen, aber vieles verstehen, es würde die Brutalität, Frauenfeindlichkeit und gesellschaftliche Barbarei innerhalb und außerhalb der sogenannten islamischen Welt ohne kulturelle Rücksicht erfassen, aber in seinem Urteil niemals zu den Schablonen der westlichen Superiorität greifen. Nicht weil es etwa die Überlegenheit bestimmter Werte einer nie vollendeten Aufklärung gegenüber traditionsgeprägteren Gesellschaften nicht einbekennen würde, sondern weil es schlicht nicht erlaubte, dass die politischen Repräsentanten der westlichen Staaten sich daran vergreifen, deren Väter am Scheitern von Moderne und Säkularisierung in der islamischen Welt ebenso Mitverantwortung tragen wie deren Söhne am islamischen Fundamentalismus unserer Tage.

Dieser hat bereits einen fatalen Sieg errungen, als er das riesige Spektrum unterschiedlicher Auslegungen des Islam, unterschiedlicher Bezüge zu ihm zu einer homogenen Schreckenslehre schmolz. Er wird einen weiteren erringen, indem sich der Westen nach seinem Feindbild homogenisiert. Denn wie der Nationalismus Gegennationalismen fördert und nichts mehr hasst als Identitäten, die quer zu seinem Identitätsangebot verlaufen, braucht der politische Islam einen berechenbaren Westen, dessen Freiheiten metaphysisch festgefroren sind. Dem Westen ist’s gerade recht. Würde ich den auch in Europa virulenten Zerfall der Demokratie, den Rückbau des Sozialstaats und das systemische Ende der Arbeitsgesellschaft verwalten müssen, wäre mir jede Ideologie recht, die mir künstliche Zerrbilder des Eigenen und des Fremden verschaffte. Keine Verschwörungstheorie, sondern politologischer Common Sense und empirisch tausendfach bestätigt ist diese Funktion der Mobilisierung gegen klar umrissene Feinde. Meistens führt es zu lukrativen und auf lange Sicht wachstumsstimulierenden Kriegen.

Universalistische Werte zu verteidigen, die nicht dem Westen gehören, sondern der Welt, und dem Andenken jener, die auch dieser Westen verbrennen und steinigen ließ, gegen orientalische Chauvinisten, westliche Rassisten sowie gegen ihre Schändung durch kathartische Verallgemeinerungen, das muss ein Denken, wie ich es mir wünsche, leisten. Dem Vorwurf, dass zu viel Differenzieren zur Vernebelung führe, würde es entgegenhalten, dass es au contraire den Bühnennebel der Simplifizierung kläre. Und mit ebendieser unbeirrbaren Differenzierungsgabe wäre es überall zur Stelle, wo die Vernunft sich durch zu konsistente Märchen von uns und denen da, die es als Gruppen nicht gibt, einlullen lässt.

Das Christkindkind hingegen gibt es wirklich. Das ist die gute Nachricht. Es ist gerade mit meinem Wunsch gen Himmel geflattert. Schlechte Nachricht: Dunkel angemalte Männer mit Baströckchen haben es abgeschossen, ihm die Federn gerupft und dabei mit bayerischem Akzent „Allahu akbar“ gerufen.

Dieser Text erschien bereits in der „Presse“ (http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/4909440/Abgeschobenes-Denken-entschleierter-Rassismus)

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Watzlawick

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