Novemberwerktag, grau, unfreundlich, nass und kalt, ein Tag zum vergessen. Für mich ein Nachtdiensttag mit begrenzter Freizeit, Freizeit? bei diesem Wort holte mich mein innerer Grimm ein, denn meine Freizeit gab es nicht.

Ich machte Überstunden mit dem Ziel bald genug Geld für eine bescheidene Wohnung zu haben, eine kleine Wohnung nur für mich, fernab der Herbststraße, in einem anderen Bezirk. Im Nochzuhause ließ meine Mutter Arbeit, die sie machen sollte einfach liegen, um mir nach dem Aufstehen am Morgen zu sagen, du musst heute das Haus putzen, ich habe gestern nicht gekonnt. Sie hatte es nicht getan, weil sie wieder einmal total betrunken war und um acht Uhr abends, als ich von meinem Dienst heimgekommen war, schon schlief. Ich hielt meinen Zorn zurück, unterdrückte ihn und wandelte ihn in diese innere Bitterkeit, die mich gefangen nahm und mich in eine Isolation trieb. Ich wollte niemanden sehen, keine Wortwechsel führen, einfach Ruhe haben. Langsam wurde die Stimmen über mich lauter, unfreundlich und arrogant sei ich und er wird es zu nichts bringen flüsterten sie. Sollten sie doch, ich musste niemanden etwas beweisen. Ja ich war kein Sohn aus gutem Hause, na und? Ich werde werden was ich will und dazu bin ich fähig, waren meine Gedanken. Ich hielt viel von mir, weil ich einiges schon erreicht hatte und überall mit sehr gut abgeschnitten hatte, ja ich war auf mich stolz und trug die Bitterkeit weiterhin mit mir. Sie lebte auf, wenn ich die schmutzige verrauchte Wohnung betrat, wenn Mutter nach der Monatsmitte mich um Geld bat, Geld für ihren Wein. Ich machte die Überstunden für mich, mein Geld, meine Zukunft nicht für ihre Räusche. Wieder diese Bitterkeit auf der Zunge, so als lief meine Gallflüssigkeit hoch und wieder ab.

Zweihundert Meter Kiesweg die ich schlenderte und dachte, Freiheit ist nicht an Umstände, nicht an Zustände gebunden, Freiheit entzieht sich jeder Bindung, sie muss in mir sein, dann ist das Alltagspflichtengefängnis auch ein Ort der Freiheit.

Das Heizhaus Stadlau war am Ende seiner Pflichtlebenszeit, mühsam zusammengeflickt, irgendwie am Leben erhalten und noch funktioniert hier alles inklusive mir. Ich war Lokheizer hier, ein Ausbildungsmosaikstein am Weg zum Lokführer und ich machte diese Dienste leidenschaftlich gerne, ja es machte mich stolz alle Handgriffe, alle Pflichten zu erledigen, ich war wichtig, ich wurde gebraucht.

Eine Stunde vor Dienstbeginn war ich bereits hier, besser als Mutter zuzusehen wie sie sich in ihren täglichen Rausch trank, wie sie sich und uns unaufhaltsam zerstörte, mich und meinen jüngeren Bruder. Nur wegen ihm blieb ich noch, aber ich fuhr jede mögliche Schicht, Arbeit war besser als zuhause zu sein. Zuhause wartete Arbeit in vielfältiger Form auf mich, Wäschewaschen, die Hausbesorgerobliegenheiten und ich musste Teile ihrer Heimarbeit machen, sie fertig stellen, ich hatte einfach keine Ruhe.

Gemütlich trank ich beim Oberheizer Kaffee um einen Schilling, eine Tasse schwarzer starker bitterer heißer Kaffee und wartete im Heizhaus mit seiner ganz eigenen Luft, seinem Halbdunkel, den Wasser und Ölflecken. Ich erlebte wie ich mich gut fühlte, wie ich mich gut fühlen konnte. Daheim fand ich keine Spur davon. Eigentlich war es gar kein Daheim, es war eine Schlafstelle und eine Brutstätte meines Hasses. Sie trank wie ihr Vater, ihr Weg war der gleiche, der Unterschied war, sie trank Wein, ihr Vater Rum. Sein Tod war für ihn eine Erlösung von den Schmerzen der Leber.

Ein feiner dünner Pfiff, eine kaum zu sehende Dampfrauchfahne, meine Lok kam ins Heizhaus und Werner mein Lokführer bog um die Ecke. Wir gingen der Lok entgegen, übernahmen sie. Nur Kohlefassen war noch ausständig, alles andere hatten die Kollegen gemacht, so hielten wir es, die wir auf der 52er Dienst machten, bei der Übergabe waren die Stangenlager gefüllt, die Luftpumpe geschmiert nur die Unterlager waren zu kontrollieren. Kohle und Öl waren gefasst, der Führerstand geputzt wir waren schon bereit zur ersten Zugleistung.

Während ich im Kanal meinen Zeigefinger in die Schmiervasen der Unterlager steckte, fiel mir ein, morgen ist Donnerstag. Donnerstag war der Tag an dem die fertige Heimarbeit geholt wurde, Papiertragtaschen zu hundert und die neuen Papierbögen wurden geliefert.

Sie hatte wie einige Frauen in dem Haus mit der Herstellung von Papiertragtaschen begonnen, da ja unser Geld nie reichte und durch den Weinkonsum noch stärker schrumpfte, aber ich war der Schuldige, ich brauchte viel Waschmittel, weil einmal die Woche meine Schlosseranzüge gewaschen wurden, ich brauchte zu viel Geld für mein Essen im Dienst obwohl ich mir die Würste selbst kaufte und überhaupt war ich Schuld. In ihrem umnebelten Hirn, das nach dem Mittagskaffee schon nach Alkohol schrie kamen keine klaren Gedanken zustande, nur die Wut war deutlich, wenn die Flasche wieder leer war. Ich lebte dort wie ein Fremder, der am Absprung war und nur noch von selbsterdachten Pflichten gehalten wurde. Dort war es bitter und finster in mir, aber wenn ich bei Seitenfenster des Führerstandes hinaussah, die Dampffahne in den Nebel sich mischte, die Lokomotive stampfte und rollte, der Kesseldruck fast immer am Höchststand war, dann spürte ich meinen Stolz, die andere Seite meines Lebens.

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