Was ist los in unserem Staate?

Spannend ist das, was derzeit passiert am "politischen Markt". Ich frage mich, ob bestimmte Politikerinnen und Politiker nun versuchen, verlorene Wählerstimmen wieder ins Boot zu holen? Homosexualität sei amoralisch, hören wir da, und der Stopp der Asylanträge von Mikl-Leitner verwundert mich ebenso. Panikreaktionen? Oder dem mechanistischen Weltbild einfach sehr treu? Hier handelt es sich doch um gebildete Menschen, nicht wahr?

Die Frage ist: was bedeutet Bildung in einem demokratischen Staat?

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, was Haim Ginott im Vorwort seines Buches "Takt und Taktik im Klassenzimmer" schreibt:

"Am ersten Tag des neuen Schuljahres erhielten alle Lehrer einer Privatschule von ihrem Schulleiter folgenden Brief: Liebe Lehrer! Ich habe ein Konzentrationslager überlebt! Meine Augen haben Dinge gesehen, die kein menschliches Auge je erblicken sollte: Gaskammern erbaut von gebildeten Ingenieren; Kinder, vergiftet von wissenschaftlich ausgebildeten Ärzten; Säuglinge, getötet von erfahrenen Kinderschwestern; Frauen und Kinder, erschossen und verbrannt von ehemaligen Oberschülern und Akademikern. Deswegen traue ich der Bildung nicht mehr. Mein Anliegen ist: HELFEN SIE IHREN SCHÜLERN, MENSCHLICH ZU WERDEN. Ihr Unterricht und Einsatz sollten keine gelehrten Ungeheuer hervorbringen, keine befähigten Psychopathen, keine gebildeten Eichmanns. Lesen, Schreiben und Arithmetik sind nur wichtig, wenn sie dazu beitragen, unsere Kinder menschlicher zu machen."

Was meinen wir also, wenn wir von GEBILDETEN Menschen sprechen? Ich meine, es gibt grundlegende Dinge, die einer Reform bedürfen: die kirchenpolitischen Strukturen wieder ganzheitlicher und allumfassender (also katholischer im Wortsinn) zu machen und die Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen mit Hilfe von tiefenpsychologischen und humanistischen Ansätzen zu verbessern. Leider hat die Kirche vor langer Zeit verabsäumt, sich um die Anliegen von "einfachen" Menschen, sprich des Proletariats, zu kümmern. Sie hat sich auf die Seite der Moralisierer, der Ankläger, der "Verstandesmenschen" gestellt; und auch in der sogenannten Bildung vermisse ich die Hinwendung zum Gefühl, ja, die Beschäftigung mit Gefühlen gilt sogar als marginal, als unzuverlässig. Langfristig bestimmen kognitives Wissen und Verschulung des Denkens unser Leben,  das ist sogar das Ziel von Bildung. Auch ich bin ein Kind einer Zeit, in der alles daran gesetzt wurde,dass nur dieses kognitive Wissen unser Leben bestimmen darf: nicht nur in der Erziehung, sondern auch in der Rechtssprechung und generell in der wissenschaftlichen-kulturellen Lebensansgestaltung.

Jetzt sind viele dieser Kinder groß und wollen sich immer weniger dieser Pseudo-Religion, diesen Systemen unterwerfen, und genauso suchen sie aber Ersatz dafür: in der Politik (mit jenen, die Gefühle wie Angst und Trauer nutzen, um Wählerstimmen zu erhalten), in der Esoterik (die viele neue erleuchtete Gurus und Führer bereitstellt), in Ernährungsdogmen (die Erleuchtung und Reinheit versprechen wenn sie befolgt werden), im Glauben an den Gott des Konsums...Ich unterrichte seit einigen Jahren in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Der Ausgang der steirischen Landtagswahl hat mich nicht überrascht. Viele Menschen sind zornig, viele fühlen sich verraten, viele fühlen sich verarscht. Und ich kann es ihnen nicht verdenken. Leider fehlt uns etwas, was dringend notwendig wäre: Herzensbildung, die Hinwendung zum Menschlichen in Pädagogik und Bildung, echte Empathie (und nicht kognitive, manipulierte via sozialer Kompetenztrainings und spielerischem Lernen schon vom Kindergartenalter an - als ob Kleinkinder unfähig wären, empathisch zu sein!). Wie wird denn mit Erziehern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Elementarpädagogen umgegangen? Vielen fehlt der Mut, sich dagegen zu stellen. Aus Trägheit? Resignation? Überforderung? Oder wurden sie selbst als Kinder schon mit ihren tiefsten Bedürfnissen und Gefühlen nicht ernst genommen? Vielleicht sogar lächerlich gemacht? Wer hat schon das Recht, auf sein Gefühl, auf seine Intuition zu horchen in unserer Kultur? Das durften nur die Mystiker...oder Künstler und Verrückte.

Ich habe erfahren, dass wir durch gegenseitiges Ermutigen mehr erreichen können - ich bin überzeugt davon, dass meine Kinder mehr davon profitieren wenn ich als Mutter meinen Fokus auf die Bedeutung ihrer Gefühle, auf ihre menschliche Entwicklung lege, auf ihre weltanschauliche Bildung. All das verstehe ich als  demokratische, als politische Bildung. Entscheidungen aus "Vernunft" heraus zu treffen gehört dazu - aber nur in VERBINDUNG mit dem persönlichen Empfinden  und den Gefühlen, mit einem Sowohl-Als-Auch. Ich bin überzeugt davon, dass es eine Verbindung zwischen dem Psychischen und Politischen gibt. Sinnlos "Moral" zu fordern (gegen eine "amoralische" Haltung) oder diese enge, ausgrenzende "Scheinmoral" müssen auch in der Politik entlarvt werden und all das darf keinesfalls zum Maßstab genommen werden für unsere heutige Wissens- und ethische Bildung!

Ebenso sollten wir peinlichst genau darauf achten, wo Verstand und Gefühl nicht mehr berücksichtigt werden, ja, wo sogar das Gefühl als "minderwertig", als irrational, als lästig abgestempelt wird. Und den Massenmedien rate ich, sich nicht aus Sensationsgier weiter daran zu beteiligen, Täter und Opfer Kategorisierungen zu betreiben und das Volk aufzuhetzen - um das psychotische Geltungsbedürfnis derer, welche die Kompensations- und Verführungsmechanismen der "Sündenbocktheorien" weiterführen wollen, nicht weiter zu nähren. Immerhin geht es um unsere Demokratie, um Verantwortung, um politische Bildung, um gelingendes Leben. DAS muss endlich auch einfließen dürfen in die Ausbildung und Bildung unserer Kinder und Jugendlichen, sie müssen fähig werden, diese Mechanismen zu entlarven. Sinn-volles Leben kann nur ein Leben sein, das Sowohl-Als- Auch Denken zulässt und uns lehrt angenehme und unangenehme Gefühle auszuhalten, mit Aggression im besten Sinne kreativ umzugehen und beim (manchmal notwendigen lauten) Streiten keine Gewinner oder Verlierer hinterlässt - sondern eine intensive Auseinandersetzung - offen und mit "horchenden" Ohren.

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Daniela Noitz

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