Chancen und Gefahren einer "Ausländer-Partei"

Keine 100 Tage mehr bis zur Wien-Wahl, und es gibt einen Kracher nach dem anderen. Nach dem „Blaubuch“ der SPÖ und dem entsprechenden Verhalten der FPÖ mit einem Korruptionsskandal um Generalsekretär Herbert Kickl wurde gestern bekannt, dass eine „türkische Liste“ zur Wien-Wahl antreten will.

Was ist die „türkische Liste“?

Verantwortlich dafür soll ein gewisser Turgan Taşkiran sein, der in der türkischen Community gut vernetzt sein soll – unter anderem mit der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Diese wiederum steht dem türkischen Präsidenten Erdogan nahe und hat ihn nach Wien geholt.

Das alles geht auf einen Exklusiv-Berichtder „Presse“ zurück. Dieser betont auch gleich die Wahlchancen der möglichen Liste – in Wien gebe es 45.000 stimmberechtigte türkische Migranten, 38.000 Stimmen waren für den Einzug in den Gemeinderat 2010 nötig. Die Chance lebt allerdings nicht nur durch türkischstämmige, sondern durch Migranten generell.

Denn wenn es schon so weit ist, dass türkische Migranten ihre eigene Partei gründen, weil sie keine der „heimischen“ zufrieden stellen kann und für sie eintritt, kann sie sich definitiv auch auf Stimmen anderer Migranten verlassen. Ob das allerdings wirklich gut ist, ist eine andere Frage.

Was dafür und was dagegen spricht

Für eine neue Parteigründung spricht die schlichte Notwendigkeit. Wäre Umweltschutz ein politisches Anliegen gewesen, hätte es die Grünen nie gebraucht und nie gegeben. Wäre die ÖVP eine (wirtschafts-)liberale Partei, gäbe es vermutlich keine Neos. Bräuchte man keine Plattform für Protestwähler, könnten Eintagsfliegen wie das Team Stronach nicht existieren. Eine Partei, sofern sie bei Wahlen erfolgreich ist, artikuliert die Interessen ihrer Wählerschaft und ist daher vom demokratischen Prinzip her immer zu begrüßen.

Ein bitterer Beigeschmack allerdings ist das Profil der neuen Partei. Die türkische Liste, die noch keinen echten Namen hat und auch nur zu 50 Prozent sicher bei den Wahlen antreten wird, definiert sich quasi über Herkunft. Sie möchte nicht Sprachrohr für alle in Wien sein, sondern für die Migranten in Wien. Das bestätigt den Eindruck von Parallelgesellschaften nun auch auf politischer Ebene – auf der einen Seite „die Österreicher“, auf der anderen „die Ausländer“. Ob das zur viel beschworenen Integration beiträgt, wage ich zu bezweifeln.

Der Einzug der potentiellen Liste könnte knapp werden. Allerdings ist klar, wer daraus politisches Kapital schlagen könnte – und auch ganz sicher wird. Die FPÖ wird sich nun wieder über die unerträglichen Zustände in Wien beschweren können – jetzt gründen sie sogar schon ihre eigene Partei und wir werden fremd im eigenen Land, so die Argumentation. Viele bisher Unentschlossene, die eine gewisse Skepsis gegenüber den zahlreichen Migranten in Wien haben, werden sich nach dieser Wendung wohl eher der FPÖ zuwenden – diese plakatiert auch schon längst mit „der Einzige, der unsere Sprache spricht“.

Strache profitiert

Sollte sie nicht antreten, bleibt die türkische Liste wohl wieder eine Eintagsfliege und wird schnell durch die nächste Wendung im Wien-Wahlkampf ersetzt. Wenn sie allerdings antritt, verschärft sich dadurch eine neue Dynamik: Jeder gegen jeden, aber vor allem gegen Blau. Die Grünen sind ohnehin die Erzfeinde der FPÖ – nun allerdings geht auch die SPÖ gegen sie in die Offensive. Und auch die Neos haben ihr neues Lieblingsfeindbild in der FPÖ gefunden. Ob das wirklich ihre Klientel ist, darf man wiederum anzweifeln.

Eine „Ausländer-Partei“ würde sich nur ins Anti-FPÖ-Lager eingliedern und die „Jetzt erst recht!“-Mentalität der Freiheitlichen und ihrer Wähler untermauern. Möglicherweise erreicht die Partei somit genau das Gegenteil dessen, was sie eigentlich will – einen erneuten Rechtsruck in Österreich.

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