„Was machst du am Nachmittag?“„Ich geh erstmal nach Hause, was fressen, dann pennen und später Kche.“ (immer leiser werdend)

„Wohin später?“

„Kche.“ (sehr leise)„Alter. Wohin?“

„Man, in die Kirche!“ (jetzt lauter und energisch)

„Wat willst du denn da?“

„Na da lesen so Kinder und wir sind da mit der Familie und so.“

„Achso. Das ist gut. Echt gut.“

In Berlin trifft man so allerlei kuriose Leute in den S- und U-Bahnen. In besonderer Erinnerung ist mir dieser Dialog zweier Jugendlicher geblieben mit denen ich mir einen Sitzbereich teilte. Während einer der beiden am Nachmittag in die Kirche ging, war der andere auf dem Weg zu seinem Läufer, um zu schauen wie viel Drogengeld er in der letzten Woche gemacht hatte. Am Abend würden beide wieder in die JVA Moabit einkehren.

Während mir die beiden Typen total fremd waren und unsere Leben wohl nicht unterschiedlicher hätten sein können, fühlte ich mich doch in einem Punkt mit dem Kirchengänger verbunden. Seit Jahren, ja eigentlich schon mein ganzes Leben gehe ich jeden Sonntag in die Kirche. Ich wurde dort reingeboren, wie man so schön sagt. Das macht es wunderbar einfach. Im weiteren Gesprächsverlauf muss man keine Gründe nennen warum man dort wirklich jeden Sonntag hingeht. Ganz nach dem Habe-ich-immer-schon-so-gemacht-werde-ich-auch-weiterhin-so-machen-Prinzip.

Verbunden fühlte ich mich mit dem Typen, weil wir wohl beide nicht gerne mit anderen darüber reden. Aber warum eigentlich nicht?

Früher in der Schule da wurde ich komisch angeschaut oder gar gehänselt. So sind Kinder eben. Heute schauen die Freunde und Bekannten auch komisch. Aber nur, wenn man nach einer durchzechten Partynacht oder am Neujahrstag früh morgens aufsteht, um freiwillig zur Kirche zu fahren. Ansonsten findet das kaum einer komisch. Selbst der Kollege aus der JVA Moabit fand es ja „echt gut“. Warum rede ich trotzdem nicht gerne darüber?

Über diese Frage habe ich mir in der letzten Woche den Kopf zerbrochen. Ich schäme mich nicht dafür und stehe auch zu meinem Glauben. Denn an etwas glauben ist doch etwas tolles und nicht schlimmes. In meinen Überlegungen gefangen, erinnerte ich mich an meine Zeit in Uganda. Im Jahr 2002 waren nur 0,9% der Bevölkerung Ugandas konfessionslos. Heute sind es nicht viel mehr. Über den Glauben und Gott, Allah oder Baha'ullah zu reden ist in Uganda Gang und Gebe und völlig normal. In Deutschland macht man das weniger. Seit 1960 (11,6 Millionen) nimmt die Anzahl der Besucher katholischer Gottesdienste ab. Im Jahr 2013 waren es durchschnittlich nur noch 2,6 Millionen Kirchengänger pro Sonntag. Und da fällt bei mir der Groschen. Wir sind inzwischen eine Minderheit – zumindest in Berlin und den Neuen Bundesländern.

Eine Minderheit = ein kleinerer, zahlenmäßig unterlegener Teil einer Gruppe. Und Minderheiten äußern sich weniger. Das hat schon Noelle-Neumann in den 1970ern mit ihrer Kommunikations-Theorie der Schweigespirale formuliert. „Widerspricht die eigene Meinung der der Mehrheit, gibt es Hemmungen, sie zu äußern, und zwar umso stärker, je ausgeprägter der Gegensatz wird.“

Ich finde, dass ich diese Theorie auch auf mein Kommunikationsproblem mit meinem Glauben anwenden kann. Und damit, ja liebe Gläubigen, schaufeln wir unseren Religionen und Kirchen ihr eigenes Grab. Um mit der Theorie der Spirale weiterzumachen, werden die Mitgliedszahlen in den Kirchen immer weiter sinken, wenn wir nicht endlich damit anfangen über unseren Glauben zu reden.

Ich kann für mich behaupten, dass mich mein Glauben und der sonntägliche Gottesdienstbesuch glücklicher macht. In der Kirche finde ich Ruhe nach einer Woche, sehe bekannte Gesichter und erhalte Zuversicht, Stärke und Zufriedenheit für die nächste Woche. Es tut mir gut. Wie gut es mir tut, habe ich jedoch erst nach längerer Abwesenheit erfahren. Und ob es das richtige für jemanden ist – muss jeder für sich selbst entscheiden. Genauso, wie jeder selbst entscheiden muss, ob sein Gott nun Allah, Buddah oder einfach nur „lieber Gott“ heißt.

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Veronika Fischer

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Bernhard Juranek

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Silvia Jelincic

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