Es lässt sich nicht mehr beschönigen: Die AfD ist im Aufwind.

Der Populismus der Rechtsnationalen, er verfängt in den Köpfen derer die sich abgehängt sehen oder wahlweise in Angst und Panik verfallen bei dem Gedanken an ein Deutschland, das sich „abschaffen“ könnte. Kein rein deutsches Phänomen, eher ein Produkt zunehmender Wohlstandsschieflage, eine systemimmanente Problematik. Gerade auch die etablierten Parteien haben lange genug an eben dieser Angst gearbeitet, spielten mit Ängsten, wenn sie Armutsdrohkulissen etablierten, die Schlangen vor den Tafeln lang und länger werden ließen, Bilder von Alten und Armen salonfähig machten, die sich mit dem Wühlen nach Pfandflaschen im Müll ein paar Euro zum Aufstocken oder gar dem zusammengekürzten Existenzminimum ein paar Euro dazuverdienten und als Reaktion höhnisch Pfandringe forderten. Das Damoklesschwert der drohenden Not, es fand sich in den Beteuerungen, die Rente sei nur noch sicher so man denn selber Vorsorgen träfe (und nicht zuletzt damit Geld in die Taschen der Privatwirtschaft spülte), ohne auch nur annähernd ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass zehn Prozent der Bevölkerung am Existenzminimum leben und Vorsorge keine Willens- oder Entscheidungsfrage darstellt. Ein Mensch mit einem Tagesbudget von durchschnittlich 7 Euro am Tag ist froh, wenn am Ende des Monats noch etwas Essen im Kühlschrank ist. Den quälen vielleicht des Nachts diffuse Altersängste, aber ihm scheint wichtiger, dass die Kinder auch morgen früh noch ein Frühstück auf dem Tisch haben. Das Spiel mit der Angst war dauerpräsent in den unzähligen Polit-Talk-Sendungen, den BILD -,Welt-, SZ-Artikeln (um nur einige zu nennen), die mal mehr mal weniger subtil ihren Abscheu und Ekel vor Arbeitslosen kundtaten, selbstverständlich nie den Hinweis vergessend, dass diese grundsätzlich eher „bildungsfern“ seien, „sozial schwach“. Breite Teile der Presse, Politiker und Moderatoren übernahmen diesen Duktus. Dass es einen Unterschied zwischen „sozial schwach“ und „finanziell schwach“ geben könnte schien niemandem aufzufallen, so er denn nicht selber betroffen war. Sprache formt Bewusstsein, Bewusstsein Sprache. Die Verachtung, die so gekonnt gesponnen und etabliert wurde, sie traf die, die sie treffen sollte. Wer einen Job hatte, egal wie unterbezahlt, er wollte ihn dennoch um jeden Preis behalten. Politiker wie Arbeitgeber begannen, Hand in Hand die Mittel zur Gegenwehr - Gewerkschaften, Betriebsräte, Streikrecht – einzudämmen, während sie mit dem Job als Status an sich, mit der Drohkulisse „Arbeitslosigkeit“ und „Verachtung“ zeitgleich den Willen unterbanden, an diesen Mitteln festzuhalten. Politik, die man im schlimmsten Falle von der FDP und konservativen Teilen der CDU/CSU erwartet hätte, sie wurde vorrangig von Grünen und Roten vorangetrieben, den Parteien, die man üblicherweise im „linken“ Spektrum verortet hätte, vormals für die Stellvertreter der Arbeitnehmerschaft hielt.

Der „kleine Mann“, wie er so despektierlich genannt wird, er mochte die eigene Ausbeutung in Zeiten wachsenden Bruttoinlandsproduktes nicht mehr mittragen. Er sah sich in einer Politik der „Alternativlosigkeit“ nicht mehr repräsentiert, sah die Sozialdemokraten seine Interessen unterwandern, sah in einem Klima wachsender Existenzangst die „Fremden“ noch um einen Platz am Futtertrog bitten, der am unteren Ende der Nahrungskette, unter Geringverdienern, Rentnern, Aufstockern schon umkämpft genug schien. Und selbstverständlich hatte auch die Mittelschicht zu fürchten begonnen. Die Mittelschicht schrumpft, trotz aller Bekenntnisse der Parteien, in ihr die „Mitte“, die „Leistungsträger“, eine relevante Wählerschaft zu verorten. Auch an ihr ist die Drohung, möglicherweise irgendwann, bei mehr Konkurrenz, mehr Menschen, die beschäftigt, untergebracht, versorgt werden wollen, vielleicht selbst ins Prekariat abzurutschen nicht spurlos vorübergegangen. Auch sie spürt seit Jahren wachsenden Druck und damit das Bedürfnis, einen Schuldigen auszumachen. Und dann ist da noch die Gruppe an Menschen, die auch den Kern der AfD ausmacht. Wirtschaftsliberale Geister, die eine Entpflichtung der Besserverdiener anstreben. Abkehr vom Solidaritätsprinzip zulasten der Wählerschaft, die man mit markigen Parolen um Patriotismus und „Wir-das Volk“- Parolen geködert hat. Abschaffung der Erbschaftssteuer, Einschränkungen im Sozialwesen – Die AfD kann in ihrem Positionspapier all dies fordern, solange sie es nicht kommuniziert. Sie fasst an radikalen Ideen zusammen, was SPD, CDU, Grüne, FDP in den letzten Jahren begonnen haben: die Abkehr vom Sozialstaatsprinzip. Ihre Wähler nicken zustimmend, solange sie dafür einen Sündenböcke geliefert bekommen, Schuldige am Verlust dessen, was „verdient“ schien, Schuldige für die veränderte Gesellschaftslage, für den Verlust von Sicherheiten. Inklusive der Erlaubnis, Dinge von sich geben zu können, die man „wohl noch sagen dürfen muss“. Schießbefehle, Schuldzuweisungen, Menschenverachtung werden postuliert und unter dem Deckmäntelchen der „Meinungsfreiheit“ versteckt.

Nun könnten die „etablierten“ Parteien zurückrudern, könnten bemerken, dass Rechtsruck und Ängste, Abkehr von Demokratie und Volksparteien auch hausgemacht sind. Könnten sich auf einen sozialeren Kurs rückbesinnen, auf die Frage nach gerechteren Löhnen und Sicherheiten für Angstbürger, auf Hilfeinfrastrukturen und einen unaufgeregteren Diskurs in Flüchtlingsfragen. Sie könnten, um die Wogen zu glätten, auf rechtsstaatliche Prinzipien vertrauen, wo Integration auch mal misslingt.

Nichts davon scheint dem Gros unserer Volksvertreter dieser Tage in den Sinn zu kommen. Was jedoch wahrgenommen wird, ist der drohende Verlust von Zustimmung und Macht. Da folgt eine Umfrage der nächsten, eine Statistik der anderen und die Panik unter den Polit-Karrieristen greift um sich.

Was tun? Was sagen?

Und wieder folgt einem komplexen, multikausalen Problem das Bedürfnis nach einfachen Antworten. Denn hier sind Politiker nicht anders gestrickt als ein Großteil der Bürger.

So überschlugen sich, auch angesichts der Ergebnisse der letzten Landtagswahlen und der bevorstehenden Bundestagswahlen 2017, die Stimmen von Rot über Grün, von Schwarz über Dunkelrot, man möge doch bitte die AfD nicht „dämonisieren“, stattdessen lieber das inhaltliche Gespräch mit ihr suchen. Man hoffte wohl, die abtrünnige Wählerschaft in dieser Form gnädig stimmen zu können.

Nun mag es vor lauter Trubel nicht jedem Abgeordneten aufgegangen sein, aber egal wie diskursfreundlich unsere Gesellschaft sein mag, es gibt Dinge, die nicht zur Debatte stehen.

Grundrechte gehören dazu, ebenso Menschenrechte.

Wie sähe so ein „inhaltliches Gespräch“ also wohl aus?

Von Storch/Petry: "Wir müssen im Notfall auch schießen können" - Grüne/CDU/SPD/Linke: "Könnten Sie uns kurz differenziert darlegen, wie Sie dies umsetzen wollen, damit wir eine Konsenslösung zustande bringen können?"

Wahlweise:

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland, Muezzinrufe verboten, Frauen sollten drei Kinder bekommen“ – „Klingt spannend. Verfassungsrechtlich zugesicherte Religionsfreiheit wird sowieso überbewertet und freie Entscheidung über den eigenen Lebensentwurf ist nun wirklich irrelevant. Lassen Sie uns reden“.

Oder vielleicht:

„Lassen Sie uns das Grundgesetz verändern: Das individuelle Grundrecht auf Asyl soll in eine institutionelle Garantie des Asylrechts umgewandelt werden.“ – „Oh sicher. Vergessen wir einfach bindende Vorgaben des Völkerrechts. Tolle Idee.“

Schön wäre auch

dies: „Inklusion ist ideologisch motiviert und zeigt keine generelle positive Wirkung“ - „Wie schön, dass Sie uns darauf aufmerksam machen. Wir werden physisch und psychisch Behinderte sofort in die ihnen zustehenden Grenzen weisen“.

Keine Frage: Der Diskurs gehört zu einer Demokratie. Ebenso gehört zur Demokratie aber auch ein Mindestmaß an Rechtsverständnis, Respekt vor individuellen Freiheitsrechten, Respekt vor verfassungsrechtlichen Aspekten, Verständnis für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und seiner Grundrechte. Die AfD hat dies nicht verstanden. Und es bleibt zu befürchten, dass auch die Populisten (denn Populismus ist mitnichten der AfD vorbehalten) unter den ambitionierten Mitgliedern der etablierten Parteien, die gerade ihre Felle davonschwimmen sehen, diese Grundwerte aufzugeben bereit sind, wenn der Druck der Umfragewerte, die Angst vor Macht- und Einflussverlust groß genug wird.

Die Aufgabe dieser Grundwerte jedoch, auch wenn sie bisher nur rhetorischer Natur ist, ist der Sieg der AfD, lange vor ihrem Einzug in den Bundestag.

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