Das unsichtbare Kunstwerk oder Künstlerscheiße

Manzo ist das italienische Wort für Rindfleisch, es wird auch gerne als Familienname verwendet. Ein manzone ist nach den Regeln der italienischen Wortbildung einer, der wahnsinnig viel Rindfleisch ißt oder zumindest so ausschaut, als täte er es. Der Familienname Manzone ist auch verbreitet, meistens jedoch schreibt man Manzoni, die Mehrzahlform, denn - der Italiener ist schlau - eine Familie besteht immer aus mehreren Personen.

Die Einleitung ist gesucht, ich geb's zu, denn ich wollte auf Deibel komm raus an Piero Manzoni erinnern.

Dieser italienische Künstler hat 1961 eine Kunstaktion gestartet, die berühmt geworden ist. Er hat seine eigenen Exkremente in Dosen abgefüllt und als merda d’artista, das heißt Künstlerscheiße verkauft. Ich weiß nicht, ob Manzoni seine Aktion bierernst gemeint hat oder ob er den Schalk im Nacken sitzen hatte. Einträglich war seine Idee in jedem Falle. 90 Dosen mit je 30g wurden abgefüllt, geruchsdicht versiegelt und zum damaligen Goldwert des Gewichtes verkauft. Das entsprach damals etwa 30.000 € pro Stück. Sämtliche Dosen wurden verkauft, sie befinden sich heute in Kunstsammlungen und haben einen deutlich höheren Wert. Bei einer Auktion im Hause Sotheby's erzielte eine Dose den Preis von 97.250 britischen Pfund.

Die Aura des unsichtbaren Kunstwerks

Bei den Dosen von Manzoni handelt es sich um unsichtbare Kunstwerke, zu sehen ist lediglich die Dose. Die eigentliche Kunst ist nicht zu sehen, gottlob auch nicht zu riechen. Der Käufer des Werkes muß darauf vertrauen, daß sich in der Dose tatsächlich die Exkremente von Signor Manzoni befinden und nicht irgendwelche gewöhnliche Scheiße, oder gar Schmalzfleisch. Es bleibt ihm nichts anderes übrig als Vertrauen, denn er hat weder Piero Manzoni bei der Verrichtung seines Stuhlgangs beobachtet, noch war er beim Befüllen und Versiegeln "seiner" Dose dabei.

Ein mißtrauischer Käufer könnte zwar die Dose öffnen und einen - mittlerweile möglichen - DNA-Abgleich mit einer eventuell noch vorhandenen Vergleichsprobe machen lassen. Dann aber wäre - selbst wenn sich die Exkremente als echt erwiesen - der Handelswert der Dose schlagartig auf Null gesunken. So verrückt sind selbst Kunstsammler nicht, daß sie für offene Scheiße aus dem Jahr 1961 knapp 100.000 Pfund Sterling hinblättern.

Es sei denn, ein Künstler macht aus dem zerstörten Kunstwerk Manzonis seinerseits wieder ein Kunstwerk und gießt die offene Dose (mit inzwischen beglaubigtem Original-Stuhlgang) in Kunstharz ein. Vielleicht habe ich damit ja einem Original-Genie eine wertvolle Anregung für ein Kunstwerk gegeben, das ihn berühmt und reich - lechz! sabber! gier! - machen wird. Alleine die unvermeidlicherweise sich ergebende leidenschaftliche Diskussion darüber, ob ein Künstler das Kunstwerk eines anderen Künstlers zerstören darf, um damit seinerseits ein Kunstwerk zu schaffen, wird dem Sekundärkünstler einen Platz in der Kunstgeschichte sichern.

In früheren Zeiten wurden Kunstwerke oftmals als Gegenstand religiöser Verehrung geschaffen. Einige dieser Kunstwerke wurden so hochgeschätzt, daß sie im Allerheiligsten des Tempels verborgen und damit den Blicken der allermeisten Menschen entzogen waren. Die Aura des unsichtbaren Kunstgegenstandes war dennoch vorhanden, wahrscheinlich wurde die Aura durch die Unsichtbarkeit sogar noch erhöht - solange nur der Nicht-Betrachter an das Vorhandensein des Gegenstandes glaubt. Die Aura des Heiligen Gegenstandes ist lediglich im Kopf des religiös Gläubigen vorhanden.

In profaner Form, abseits des religiösen Kultes, wirkt, wie gesagt, die Aura des Unsichtbaren immer noch. Das gilt nicht nur für Manzonis sündhaft teure Konserven.

Walter De Maria bohrte zur documenta 1977 auf dem Friedrichsplatz von Kassel den Vertikalen Erdkilometer und füllte das Loch mit massiven Messingstäben von 5 cm Durchmesser, die zu einem Kilometer ineinander gesteckt, dauerhaft in die Erde eingelassen wurden. Von oben sieht man auf dem Friedrichsplatz nur eine Platte und in deren Mitte den runden Querschnitt des Stabes.

(ein Kunstkritiker bei der Begutachtung des Werkes von Walter De Maria)

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Margaretha G

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