Als ich noch jung und mein Ältester noch klein und der Einzige war, wohnte bei uns im Haus eine Familie, die eine Tochter in Sebastians Alter hatte, die Judith. Deren Vater war Historiker, Mittelalter, mitten in der Promotion, allerdings vom Niederrhein stammend. Die Mutter studierte Kunstgeschichte [1] und kam aus Bad Reichenhall, nach der Traditionellen Chinesischen Medizin eine unheilbringende Kombination.

Eines Tages erzählte sie, es zögen aus aller Herren Länder - Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Köln, Krähwinkel - Menschen, kaum daß sie Rentner geworden seien, nach Reichenhall. Wegen der Alpen und dem Bergwandern, dem Schifoan und weil dort das Salz (Reichenhall!) so billig wäre.

Aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen kamen damals keine Rentner, weil es erstens Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder gar Sachsen noch gar nicht gab und weil gewisse administrative Maßnahmen den Reiseverkehr doch sehr behinderten.

Auffallend sei jedenfalls, daß nicht wenige dieser Rentner binnen weniger Jahre nach ihrem Umzug stürben. Der Grund hierfür sei weder das eh schon fortgeschrittenere Alter noch die Reichenhaller Mafia, sondern vielmehr der Föhn [2]. Die Neubürger seien ihn schlicht nicht gewöhnt, in fortgeschrittenem Alter gewöhne man sich auch nicht mehr so leicht an ihn und so würden sie vom heißen, trockenen Fallwind aus dem Gebirge dahingerafft.

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[1] Von Bismarck - dem Erfinder des Herings - stammt der Spruch: "Die erste Generation erwirbt das Vermögen, die zweite verwaltet und vermehrt es, die dritte Generation studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt völlig."

[2] "Es gibt nichts föhneres als den Föhn" sagen die, die nichts verstehen.

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