Aus Landwirtschaft und Amtsgericht - Der Bulle im Wandel der Zeiten

Es ist ein eigen Ding um die verletzte Ehre mancher Menschen und Menschenklumpen. Da gab es einst - zum Beispiel, es ist schon lang, lang her - die Rock-Band "Checkpoint Charlie", welche, wenn sie nicht gerade musizierte, in ihrem Hauptquartier Schweine züchtet. In sich schlüssig also, daß die Buben sich aus Pappe und Pinselstrich eine Sau bauten, diese Papp-Sau dann zu ihrem Wappentier ernannten und - ach ja! - auf den Namen "Franz Josef" tauften. Bei ihren Bühnenauftritten stellten sie ihr Maskottchen jeweils vor der Bühne auf.

Bis sie eines Tages angezeigt wurden und ein Kemptener Staatsanwalt eine Anklageschrift verfaßte, in welcher er schrieb: "Zur Erklärung sagten sie, das sei ihr Maskottchen Franz Josef. Irgendeine Ähnlichkeit mit einem lebenden Schwein sei rein zufällig. Die Angeschuldigten brachten dann einen Textvorschlag, in dessen Refrain es hieß: 'Franz Josef, die Sau, Franz Josef, die alte Sau, Franz Josef, das geile Schwein'. Dies bezog sich, wie für jeden Zuschauer offenkundig (!!!; W. H.) war, auf den bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Franz Josef Strauß." Der Staatsanwalt will mit diesem letzten Satz sagen: "Bleibt mir mit dem allerunvergeßlichsten Bart-Kaiser Franz Joseph vom Hals. Das einzige geile Schwein, die einzige alte Sau, die ich kenne und die auf den Namen Franz Josef hört, ist der bayerische Ministerpräsident." Es bliebe ohne diese staatsanwaltliche Logik der letzte Satz ja ohne Sinn.

In einer aufsteigenden Vision sehe ich den alten Atheisten Sigmund Freud neben dem Lieben Gott sitzend, sehe, wie sie kichern und sich in die Seiten puffen. Amüsiert warten sie darauf, daß der eifrige Staatsanwalt ob seiner respektlosen Assoziationen einen gehörigen Anschiß kriegt. Mag sein, sie warten immer noch.

VON BULLEN UND SUPERBULLEN

Im Sommerloch des Jahres neunzehnhunderteinundachtzig (es ist alles wirklich schon lange her) sprach das Oberlandesgericht Hamm in Sachen "Bulle" Recht und hob durch seinen Spruch ein vorangegangenes Urteil des Gelsenkirchener Jugendgerichtes auf, wodurch ein junger Mann vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen worden war, der 1979 einen Polizisten als "Bullen" bezeichnet hatte. Die Bezeichnung Bulle für einen Polizeibeamten habe "immer noch abwertenden und ehrkränkenden Charakter". Das Wort "Bulle" habe "seine alte Bedeutung im wesentlichen beibehalten und dient in der Regel nach wie vor als Beschimpfung der Polizeibeamten". Mit der Bezeichnung solle "in grob herabsetzender Weise zum Ausdruck gebracht werden, daß diese (Polizisten, W. H.) reizbar und angriffslustig seien und zur blinden und unüberlegten Gewaltanwendung neigten".

In eben jenen Tagen, da die Hammer Landrichter so energisch die verlorene Ehre der Polizei zu wahren wußten, geschah es, daß für einen Film geworben wurde, in Anzeigen, in welchen ein langhaariger, wirrbärtiger und äußerst nachlässig gekleideter Mann zu sehen ist. Der Schmuddel-Herr ist Tomas Milian, der die Titelrolle spielt in dem sicher lustigen Streifen "Der Superbulle schlägt wieder zu".

Das Wort "Bulle" soll bekanntlich - lehrt das OLG Hamm - ausdrücken, daß Polizisten reizbar und angriffslustig seien und zur blinden und unüberlegten Gewaltanwendung neigten; die Wortwahl "Superbulle" wird demnach einen Ausbund an Haudrauf und Knüppel-aus-dem-Sack meinen. Und richtig: Mit "4 Fäuste gegen einen Dampfhammer u. Sie brüllen vor Vergnügen" wird für den Film weiter geworben. Anzeige hat niemand erstattet.

SCHWELLKÖRPER IM STAATSDIENST

Gucken wir uns doch mal an, was "Bulle" eigentlich bedeutet. Die weibliche Form - die Bulle: Kapsel, für Urkundensiegel; das Siegel selbst; Urkunde mit Metallsiegel; (bes.) päpstlicher Erlaß - lassen wir dabei getrost beiseite. Verzeihung, Schwestern!

Nun denn: der Bulle.

1. "geschlechtsreifes, männliches Rind, Zuchtstier"

Ein landwirtschaftliches Qualitätsprodukt also; kein Wald- und Wiesenrind, dem man die Wonnekugeln nimmt und zum Arbeiten auf's Feld schickt, sondern eine Art Deck-Offizier im Rinderstall.

2. "(fig. umg.) großer, starker Mann"

Kann es sein, daß irgendwer sich dadurch beleidigt fühlt?

3. "(derb) Polizist"

Wissen wir, klar.

Ableiten tut sich das Wort aus dem englischen Wort "bull", was dasselbe bedeutet und seinerseits zurückgeht auf das indogermanische "bhel", was heißt: "aufblasen, schwellen (!!!), strotzen."

Mein Gott, muß Beleidigtwerden schön sein!

1 BULLE GIBT ACHT, 8 BULLEN GEBEN EIN BALLETT

Das hatten sich damals auch so etliche Polizisten gesagt. Hauptkommissar Werner Schwab von der Kripo Bonn z. B., sein Polizeipräsident H. W. Fritsch und der Bund deutscher Kriminalbeamter sowieso.

Alljährlich nämlich, so lasen wir in der "Süddeutschen Zeitung", verlieh (verleiht?) der Bund deutscher Kriminalbeamter auf einer Karnevalssitzung in Bonn an Persönlichkeiten, die sich um die Innere Sicherheit verdient gemacht haben, den 'Bullenorden'. Träger waren seinerzeit unter anderem der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, der frühere GSG-9-Chef Ulrich Wegener und der weiland Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher.

Und weil professionelle Spaßmacher für diese Karnevalssitzung zu teuer waren, hat man in Bonn ein "Bullenballett" gegründet. 8 "große, starke Männer" - wie man "Bulle" wohl übersetzen muß - schweben dort über's Parkett, treten häufig in der Öffentlichkeit auf, auch im WDR-Fernsehen, und ziehen auf solch "abwertende und ehrkränkende Weise" (OLG Hamm) das Ansehen der Polizei in den Dreck.

VON BULLEN UND LUMPEN

Im Sommerloch des Jahres neunzehnhundertdreiundachtzig wurde abermals Recht gesprochen in Sachen "Bulle". Der 4. Strafsenat des Kammergerichtes Berlin sprach einen Redakteur der Berliner "tageszeitung" (taz), welcher Leserbriefe, in denen das schlimme Wort auftauchte, hatte abdrucken lassen, vom Vorwurf der Beleidigung frei. Es sei, meinten die Berliner Richter, die Bezeichnung "Bulle" im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr unbedingt als Beleidigung zu verstehen; es sei vielmehr im Laufe der Zeit eine Entwicklung eingetreten, die das Wort "Bulle" nicht mehr automatisch als Beleidigung erscheinen ließe. In diesem Zusammenhang verwies das Gericht dann auch auf den polizeiinternen Sprachgebrauch, auf das "Bullenballett" und den "Bullenorden".

Es wäre damit für den "Bullen" eine Entwicklung gerichtsnotorisch, die in ähnlicher Weise schon andere Begriffe durchgemacht haben.

Die spanischen Herren der Niederlande im 16. Jahrhundert pflegten die Widerstandskämpfer des flachen Landes geringschätzig als "Les Gueuses" zu bezeichnen, was im Französischen nichts anderes bedeutet als "Bettler", "Lumpen", "Strolche". Die Strolche, ihrerseits nicht faul, griffen den Vorschlag auf und nannten sich fortan selber "Geusen". Das Schimpfwort war unbrauchbar geworden, die Bettler hatten ihr Lumpensein in den semantischen (1) Adelsstand erhoben (und haben - notabene - dann auch die hochgeborenen Spanier aus ihrem flachen Lande vertrieben).

VON SCHWULEN UND WORTBESETZERN

In den sechziger und siebziger Jahren noch - um auch ein aktuelleres Beispiel zu nennen - war die Bezeichnung "Schwuler" für einen Homosexuellen noch allgemein im schimpflichen Gebrauch. Seit es überall Schwulengruppen, Schwuleninitiativen gibt, ist das griffige Schimpfwort sichtlich in Schwulitäten geraten. Es vermag nicht mehr recht zu verletzen.

Es ist jeweils derselbe Mechanismus: eine beschimpfte Gruppe greift sich - nachdem sie den allgemeinen Gebrauch des umgangssprachlich gewordenen Wortes doch nicht mehr verhindern kann - das anrüchige Wort und besetzt es für sich mit neuem Inhalt, legt neue Obertöne auf die alte Wortbedeutung; gibt das Wort dann an die Sprachgemeinschaft zurück und zwingt auch sie - nach und nach - das alte Wort in der neuen Bedeutung zu gebrauchen (2).

MENSCHEN, TIERE, SENSATIONEN

Es könnte sich nun - nach der wiesen Entscheidung des Berliner Kammergerichtes - das Bullenproblem in Wohlgefallen auflösen, wäre da nicht...

Wäre da nicht der Berliner Polizeipräsident - vulgo-ethologisch: Alpha-Bulle (3) -, welcher das Urteil scharf ver-urteilte: Es sei um das Zusammenleben in einer Gesellschaft schlecht bestellt, wenn mit der Sprache moralische Schranken niedergelegt würden. In das Horn des Polizeipräsidenten blies auch der Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). (Das mit dem Horn möchte ich als musikalische Metapher (4) verstanden wissen, nicht als pornographische.) Es sei ein "außerordentlich schlimmer Vorgang, wenn die Gerichte der allgemeinen Verrohung der Sprache Vorschub" leisteten. Die GdP werde auch künftig deutlich machen, daß das Wort "Bulle" eine "zutiefst ehrkränkende Bezeichnung" sei. (5) Polizeibeamte nämlich seien kein Freiwild (6), sie seien Menschen und keine Tiere.

Spricht's und geht nach Hause; gibt seiner angetrauten Maus einen dicken Schmatz und läßt sich - "Mahlzeit, mein Kater!" - das Abendessen servieren, welches er mit tierischem Appetit verschlingt.

Es ist - mit Verlaub - ein Affentheater um diese Bullen.

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(1) SEMANTIK = Lehre von den Wortbedeutungen.

(2) In diesem Zusammenhang sage ich den "Zigeunern" eine semantische Bruchlandung voraus; es wird sich ihre - uralte, ich geb's zu - Selbstbenennung "Sinti" nicht im deutschen Sprachgebrauch durchsetzen. Man wird auch in künftigen Zeiten einen rastlos umherstreifenden Menschen figurativ einen "Zigeuner" nennen, wird von rumzigeunern" sprechen und nicht von "sintisieren". Linguistisches Jiu-Jitsu nach Geusen-Art ist allemal erfolgreicher als verbissenes Anrennen gegen die beinharten Mauern sprachlicher Konvention; wegspülen mag eher gelingen als niederreißen. In diesem Land der Freizeit-Nomaden dürfte es nicht schwierig sein, dem Wort "Zigeuner" auch den Rest von Anrüchigkeit zu nehmen.

(3) ETHOLOGIE = Lehre vom menschlichen und - vor allem - tierischen Verhalten. Mit Alpha-Männchen bezeichnet man dort das - männliche; (nochmals eine Bitte um Verzeihung, Schwestern!) - Leittier einer Herde.

(4) METAPHER - sprachliches "Bild" (selbst eine Metapher)

(5) Ich freu' mich schon auf die deftigen Prügeleien auf den Polizeirevieren, wenn die Leute vom Bund deutscher Kriminalbullen mit den Kollegen von der Gewerkschaft der Polypen über Semantik diskutieren.

(6) "Freiwild" war damals in konservativ-reaktionären Kreisen ein sehr beliebtes Wort. "Unsere Frauen sind doch kein Freiwild", rief man, weil man "unsere Frauen" von Italienern, Spaniern und anderen Katzelmachern bedroht sah. Das Wort "Freiwild" erlebt derzeit in rechten Kreisen eine Renaissance.

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Don Quijote

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