Annette Richter

Wer kennt sie nicht, die schönen Sätze „Meiner macht sowas nicht.“, „Meiner frisst das nicht!“ oder „Meiner tut nix.“?

Hundebesitzer können diese Worte rückwärts lachen.

Der eigene Hund ist immer ein Ausnahmehund, immer ein besonders braver, würde garantiert niemals egal was.

Bis dann plötzlich – von einer Sekunde auf die andere!, der Hund, der zuhause kein Steak anrührt, niemals Essen vom Teller stiehlt, Hundefutter angewidert ablehnt und bei Fisch und Bratwurst die Augen zum Himmel verdreht, seine Ochsenziemer nur an hohen Feiertagen beknabbert, also genau der, für dessen „Meiner frisst das sicher nicht!“ ich die Hand ins Feuer gelegt hätte, doch was frisst, was er nicht hätte sollen.

Und das kam so.

Es regnete und wir waren draußen auf den Feldern vor den Toren der großen Stadt, weit weg von Autos und Fahrrädern und genossen den Regen. (Bei Regen ist es nämlich wie bei Schnee: all die Hunde, die bei 40 Grad im Schatten neben den Rädern herlaufen müssen oder stundenlang joggen, sind bei Schlechtwetter plötzlich verschwunden. Oft frage ich mich, wieso das so ist, aber das ist eine andere Geschichte.)

Wir machten also einen Regenwalk und tanzten und sprangen wie Fred Astair und Ginger Rogers es nicht besser hinbekommen hätten, um anschließend schlittenhundenass ins trockene Auto zu steigen. Ich nahm von unterwegs zwei Äste von einem hübschen Strauch am Wegrand aus Nirgendwo mit, er hatte so schöne rote Beeren (nein, keine Hagebutten!) und ich wollte den Herbst mit ins Haus bringen.

Weil das Gebüsch so nass war legte ich die Äste auf der Hutablage des Autos ab, statt sie einfach in den Kofferraum zu werfen.

Direkt dort, wo auf der umgebauten Rücksitzbank der Hund mitfährt.

Der Hund, der nichts anrührt, der mäkeligste Fresser vor dem Herrn, der, den ich zu Sonntagsbraten überreden muss und den manchmal nicht einmal ein frischer Hamburger hinter dem Ofen hervorlockt. Er frisst einfach nicht gerne. Sein Ding sind andere Sachen, Köter anstänkern, Pferde anpöbeln, Autos und Fahrräder stellen und verbellen, fremde Menschen anknurren, aber Fressen gehört ganz sicher nicht dazu.

Deshalb, und weil es so regnete, legte ich die zwei abgebrochenen Äste mit den grünen Blättern und den roten Beeren völlig arglos ins Auto zum Hund und dachte keine Sekunde daran, dass mein Hund auch nur auf die leiseste Idee kommen könnte, sie anzurühren oder zu zerlegen, geschweige denn, sie mit Putz und Stingel aufzufressen.

Und genau das geschah.

Während ich in die heimatlichen Gassen einbog, war es verdächtig still hinter mir im Auto und als ich mich umdrehte, sah ich meinen Hund genüsslich gerade das letzte Blatt kauen und die allerletzte rote Beere verschlucken. Auch das Gehölz war verschwunden. In seinem Magen.

Mein Herz blieb fast stehen. Ich bin zwar Tierarzt, aber kein Botaniker, so wie ich auch kein Koch bin. Gärtnern und kochen sind anderer Leute Metier, ich schreibe Geschichten.

Während ich reflektorisch weiterfuhr spulten sich in meinem Hirn üble Szenen ab. Ich sah meinen Hund bereits in einem Zwinger der Intensivstation krampfend und mit blauen Schleimhäuten an einer Infusion hängend um sein Leben ringen, ich sah ihn schäumen und sein Herz stillstehen, sah ihn erbrechen und blutigen Kot absetzen während er innerlich verblutete und ich nichts, gar nichts, dagegen machen konnte.

Das ist der Fluch des Tierarztes, der holt dich immer wieder ein, du spulst alles, was dir an Verdachtsdiagnosen in den Sinn kommt, ab dem Moment der Gefahr ab, ob du willst oder nicht. Niemand will das. Ich wäre in dem Moment lieber Friedhofsgärtner gewesen, dann hätte ich wenigstens gewusst, ob der verdammte Strauch giftig oder ungiftig ist.

Ich wusste es zu dem Zeitpunkt nicht und ich wusste auch nicht, was zu tun war, denn wenn es um die eigene Brut, um enge Angehörige geht, schaltet der Verstand komplett ab, meiner jedenfalls, und Panik bricht aus allen Poren.

Gut, wenn man da einen lieben Verwandten oder Freund bei der Hand hat, der einem eine schnalzt oder einen sonstwie aus der Situation herausholen kann, egal wie, und sei es durch einen Plan, egal welchen.

Das ist auch der Grund, warum Ärzte und Tierärzte niemals Verwandte, Freunde, Familie oder eigene Tiere behandeln können, wenn es wirklich ernst ist. Bist du emotional in eine Sache verstickt, wird es nichts mit rationalem Verstand, der macht eine kleine Pause und du wirst hysterisch oder panisch, je nach Neigung.

Langer Rede kurzer Sinn: der Hund atmete und stand selbstständig als ich ausstieg. Meine menschliche Rettung neben mir nahm ein Gartenlexikon zur Hand, während ich tierischen Puls fühlte, Schleimhäute kritisch betrachtete und die Schuhe anließ, für alle Fälle. Eine liebe Freundin war auf Facebook online (nie wieder werde ich über Facebook schimpfen, ich schwöre) und befrug eine andere Freundin, die alle Pflanzen intus hatte. (Danke, Marlies, von ganzem Herzen!) Während ich mich schon in der geschlossen Anstalt einchecken sah fielen zeitgleich online und in Echtwelt die erlösenden Worte: Nicht giftig.

Mein sonst eigentlich sehr intelligenter Hund fraß einen halben Meter langen Weißdornast mit Blätter und Beeren in drei Minuten. Weißdorn also, schmeckt angeblich wie Apfel, stärkt das Herz, man könnte auch Marmelade draus machen. (Wenn man Marmelade machen könnte.)

Hallelujah.

Nicht giftig.

Ich wollte Ihnen diese Geschichte nicht vorenthalten, es könnte auch die Ihres Hundes sein, denn der Teufel schläft bekanntlich nie.

Sagen Sie deshalb nie „Meiner macht dies oder das nicht.“, niemals!

Einmal ist immer das erste Mal und ich wünsche Ihnen keinesfalls diese Ungewissheit, ob sich der Hund wirklich vergiftet hat oder einfach nur ein schmackhaftes Horsd’œuvre zu sich nahm, weil ihm grad langweilig oder einfach nur so danach war- obwohl er das sonst nie gemacht hat.

Erwarte das Unerwartete, wenn du einen Hund hast.

Immer.

Herzlichst Bela Wolf,

Tierarzt, Autor und Tiergesundheitsjournalist

www.tierarzt-wien.com/

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