Es hat in der letzten Woche ein bemerkenswertes Urteil des Bundesgerichtshofes gegeben. Geklagt hatten drei Mütter aus Leipzig. Sie hatten ein Jahr nach der Geburt ihrer Kinder nicht gleich einen KiTa-Platz bekommen, obwohl sie beizeiten darum gebeten hatten. So mussten sie denn notgedrungen noch einige Monate zu Hause bei ihrem Nachwuchs bleiben und konnten sich nicht so schnell wie gewünscht wieder in das Berufsleben stürzen.

Ist es schon Strafe genug, sich nun weiter selber um die lieben Kleinen kümmern zu müssen, so kam noch der Verdienstausfall hinzu. Doch nach dem Urteil des BGH können die Mütter hoffen, ihnen steht womöglich Schadenersatz durch die Stadt Leipzig zu. Es geht um Summen von 2.200 bis 7.300 Euro. Pro Mutter versteht sich. Denn der BGH gab ihnen in der Sache recht. Eltern, die zum Wunschtermin keinen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind bekommen, haben Anspruch auf Schadenersatz. Das Kind sozusagen als Schadensfall.

Was für die Mütter eine Katastrophe war - die Kleinen haben es vielleicht genossen. Es sei denn, ihre Mütter haben sie allzu deutlich ihren Frust über dieses Missgeschick spüren lassen. Man weiß nicht so recht. Oft hört man ja, dass manche Kinder in der KiTa besser aufgehoben sind als zu Hause. Für mich galt das nicht. Als ich mit drei Jahren in den Kindergarten musste - wenn auch nur halbtags - fand ich das schrecklich. Vormittags der Kindergarten war öde, nachmittags mit Freunden herumzutoben toll. Aber das ist lange her und viele Mütter arbeiteten damals nur halbtags, so wie meine, oder gar nicht, wie die meiner Freunde.

Noch länger her ist es, dass die ersten Kindergärten entstanden, im 19. Jahrhundert. Sie hießen damals noch - vielleicht ganz treffend - Kinderbewahranstalten. Dieser schreckliche Terminus ist längst verschwunden, obwohl es doch im Grunde immer noch um das Be- oder Verwahren der Kinder geht, während die Eltern arbeiten. Dabei waren die Kinderbewahranstalten des 19. Jahrhunderts vor allem Notlösung für die Ärmsten der Armen. Kinder aus Familien, wo auch die Mutter gezwungen war zu arbeiten, um die Familie über die Runden zu bringen, sollten nicht länger sich selbst überlassen bleiben.

Heute muss eigentlich niemand mehr fürchten zu verhungern, wenn nicht beide Elternteile arbeiten - auch wenn oft der Eindruck erweckt wird, es sei so. Heute geht es um anderes, um Selbstverwirklichung, Karriere, Lebensstandard und ja auch um Bequemlichkeit. Kindererziehung wird immer weniger als Aufgabe der Eltern begriffen, sondern als Sache des Staates. So wird sie denn auch delegiert an Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen. Mit dem Urteil des BGH wird diese neue Rollenzuteilung nun auch höchstrichterlich bestätigt: Wenn die öffentliche Hand in Gestalt der Kommunen ihrem Erziehungs- und Verwahrauftrag nicht beizeiten nachkommt, können die Eltern Schadenersatz geltend machen, denn sich um die eigenen Kinder ungebührlich lange kümmern zu müssen, ist nun auch gerichtsfest als Schaden anzusehen.

Abgesehen davon ist hier ein Grundproblem des deutschen Sozialstaates berührt. Ein Problem, dass früher oder später zu seinem Zusammenbruch führen wird. Es wird ihm immer mehr zugemutet, doch kosten soll es bitte nichts. Ein grotesker Irrtum. So wird denn auch in zahlreichen Bundesländern bereits diskutiert, den Besuch des Kindergartens kostenfrei zu machen, zumindest teilweise wie z. B. für das letzte Jahr. In einigen ist das bereits Realität. Aber auch dort, wo die Eltern für den Kindergarten zahlen, sind die Elternbeiträge keineswegs kostendeckend. Ein Ganztagesplatz in der KiTa kostet je nach Alter zwischen 1.000 und 1.500 Euro im Monat. Die Eltern zahlen meist nur ein Drittel davon und jammern auch darüber. Das Meiste trägt die öffentliche Hand. Nun, und wo holt die sich das Geld? Genau, über Steuern. Über sie finanzieren wir einen aufgeblähten Sozialstaat.

Man sieht das sehr schön auch bei der Entwicklung der Sozialausgaben im Bundeshaushalt. Lagen diese 2013 noch bei 145 Mrd. Euro sind es in diesem Jahr bereits 161 Mrd. Das alles wohlgemerkt bei boomender Wirtschaft und sinkender Arbeitslosigkeit. Bis 2020 werden die Sozialausgaben auf fast 187 Mrd. Euro steigen. Auch der prozentuale Anteil der Sozialausgaben am Haushalt steigt; von ohnehin schon beachtlichen 52,7 % im Jahr 2013 über 55,1 % in diesem Jahr auf 57,2 % bis 2020. Das Ende der Fahnenstange ist bald erreicht. Dann gibt es ein böses Erwachen, für Mütter und Väter, für den BGH und vor allem die künftige heute so liebevoll in der KiTa umsorgte nächste Generation.

Und nun noch ein kleiner Nachsatz, wohlwissend, was man mir vorwerfen wird: Nein, ich fordere nicht die Rückkehr der armen Frauen an den Herd. Männer sind ohnehin oft die besseren Köche. Gern kann auch Papa zu Hause bleiben, wenn Mutti bereit ist, richtig zu malochen. Nur ist es im Interesse der Kinder gewiss nicht schlecht, wenn sie mit einem Jahr noch keinen Acht-Stunden-Tag in der KiTa zu bewältigen haben und das erste Wort der Kleinen die Mama oder der Papa zu hören bekommt und nicht die Erzieherin aus der KiTa.

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