Ich habe die Grünen wiederholt gewählt. Ich bin mir wohl bewusst, dass es als politischer Mitbewerber reichlich einfach ist, einen einseitig-unfairen Standpunkt einzunehmen. Es ist aber gar nicht meine Absicht, gegen die Grünen zu polemisieren, vielmehr wundere ich mich über vieles.

Nach mehr als 25 Jahren ist die Grünbewegung erfolgreich an manchen Schlüsselstellen der Republik angekommen. Fünf Koalitionen auf Landesebene mit Grünbeteiligung und der Verfassungsmehrheitspartner der nicht mehr ganz so großen Koalition auf Bundesebene. Das ist schon was.

Grün stand einmal für geradezu reflexartige Fremdenfreundlichkeit, die oft auch bar aller praktischer Umsetzbarkeit argumentierte. Nun steht Österreich vor der vorhersehbaren Herausforderung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als es seit langem der Fall war. Die Versorgung von Asylwerbern ist Ländersache. Fünf Bundesländer mit grüner Beteiligung und wir stehen dennoch vor einem absurden nationalen Notstand, in dem wir Zeltlager aufstellen, gerade als ob wir Libanon oder Jordanien wären, die mit hunderttausenden Fliehenden konfrontiert werden.

Wäre es nicht zu erwarten gewesen, dass es zu DEM grünen Projekt geworden wäre, die Länder, die sie mitregieren zu vorbildlichem Verhalten zu bringen? Und wenn sich die ÖVP Bürgermeister querstellen, die Koalitionsfrage zu stellen? Wann, wenn nicht in so einer Situation?

Für wen, wenn nicht Asylsuchende, würden Grünpolitiker_innen ihre eigene Karriere aufs Spiel setzen? Niemand tat es jedoch. Tempo 100 auf der Inntalautobahn, Tempo 80 auf der Salzburger Autobahn, das waren große Themen, bei denen die Autofahrerpartei ÖVP in die Knie gezwungen wurde. Ich habe persönlich überhaupt kein Problem, ein wenig langsamer zu fahren, aber die wenigen Dinge, bei denen man in Verhandlungen als kleiner Koalitionspartner knallhart bleiben kann, sucht man sich normalerweise gut aus.

Dabei muss die Frage gestellt werden, wie angemessen ein Mittel staatlicher Zwangsgewalt ist, ob das Mittel zur Erreichung des Zwecks angemessen ist. Dem sind alle Gesetze, Verordnungen und Co. grundsätzlich unterworfen. In der Frage der Angemessenheit der Mittel des Staates nahmen die Grünen traditionell auch oft einen pointierten Standpunkt ein.

Und jetzt? Ringt man sich nach Wochen durch, doch nur mit einem richterlichen Beschluss bei der Konteneinsicht mit zu machen. Der letzte grüne Kniefall passierte jüngst in Vorarlberg, wo die SPÖ eine modernere Landesverfassung beantragte. NEOS und SPÖ waren für die Erweiterung der Definition der Familie als Mann-Frau-Kind Konzept. Grün stimmte mit ÖVP und FPÖ dagegen. Das erinnert an das jahrzehntelange Robben der SPÖ vor der ÖVP-Stahlhelmfraktion. Nochmal zum genauer Lesen: Grün stimmte mit Schwarz und Blau gegen eine moderne Familienpolitik.

Ein demokratischer Rechtsstaat lebt davon, seine Macht proaktiv zu beschränken, damit keine Wahlsieger ihre Macht durch Missbrauch der Staatsgewalt einzementieren können. Wie brüchig dieses Eis sein kann, zeigen Orban, Putin und Erdogan eindrucksvoll.

Ein Freund hat die Domestizierung von jugendlichem Impetus einmal die „Verhausschweinung des Menschen" genannt. Aus wilden, ungehorsamen, raufenden Wildschweinen, selten vernünftig, aber unabhängig und frei sind Haustiere des Systems geworden. Ein bisschen Erneuerung ist hie und da gelungen, aber gefüttert werden ist offenbar so viel angenehmer.

Im Hinblick auf meine eigenen politischen Heimat ist es natürlich genau das, wovor ich Angst habe und mich dagegen nach Kräften einsetze. Erneuerung darf nicht Verhausschweinen.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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