In den vergangenen Jahren hat die forensische Altersdiagnostik stark an Bedeutung gewonnen. Bei den zu untersuchenden Lebenden handelt es sich um ausländische Bürger, deren Geburtsdatum nicht zweifelsfrei dokumentiert und deren Alter in juristischen Verfahren von Relevanz ist.

Altersschätzungen kommen in der Praxis in erster Linie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Straf-, Zivil- und ausländerrechtlichen Verfahren und im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen vor, Altersschätzungen kindlicher Opfer aus kinderpornografischen Bildmaterialien oder zur Klärung von Rentenansprüchen bei älteren Erwachsenen kommen hingegen nur sehr selten vor.

Rechtliche Bedingungen, Fremdenpolizei- und Asylrecht

Die forensische Altersdiagnostik findet in Österreich aktuell vor allem bei Lebenden im Zusammenhang mit fremdenrechtlichen Fragestellungen Anwendung. Rechtliche Rahmenbedingungen ergeben sich in Österreich aus dem Fremdenpolizeigesetz und dem Asylgesetz. In anderen Rechtsgebieten finden sich keine ausdrücklichen Regelungen. Die Klärung strittiger Abstammungsverhältnisse gehört in das Gebiet der Gerichtsmedizin.

Als wesentliche Altersgrenze steht in diesem Kontext die Volljährigkeit im Vordergrund (die Vollendung des 18. LJ), da das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen der Volljährigkeit unterschiedliche verfahrensrechtliche, aber auch inhaltliche Konsequenzen (wie z. B. das Recht auf einen Beistand, die Unterbringung u. a.) mit sich zieht. Allerdings kann auch die Vollendung des 14. Lebensjahres (Mündigkeit) bzw. des 16. Lebensjahres von rechtlicher Bedeutung sein. Mündige Minderjährige (14. bis vollendetes 18. LJ) können nach dem AsylG selbst Anträge stellen und einbringen. Nach § 12 Abs. 1 FPG sind Minderjährige, die das 16. LJ vollendet haben, handlungsfähig. Rechtlich relevant ist auch die Altersgrenze 21. Lebensjahr im Strafrecht.

Gemäß § 12 Abs. 4 FPG obliegt die Feststellung des Alters eines Fremden der Fremdenpolizeibehörde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, zu welchem ein Amtsarzt hinzugezogen werden kann. Wenn von einem Minderjährigen behauptet wird, dass ein bestimmtes Lebensjahr noch nicht vollendet wurde, so hat die Behörde überdies unverzüglich mit dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger Kontakt aufzunehmen.

Von Bedeutung für die forensischen Altersschätzungen i. R. v. Asylverfahren sind insbesondere § 15 AsylG sowie § 12 FPG: diese ermöglichen rechtlich die Durchführung radiologischer Untersuchungen, insbesondere Röntgenuntersuchungen, im Rahmen einer multifaktoriellen Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose. Bestehen in einem Verfahren Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit und kann der Fremde seine Minderjährigkeit nicht durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweisen, so ist die Einholung einer Altersdiagnose anzuordnen. Röntgenuntersuchungen im Rahmen der forensischen Altersdiagnostik erfolgen nicht aus medizinischer Indikation. Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers am Verfahren ist zwar im Asylgesetz geregelt, die Mitwirkung an einer radiologischen Untersuchung kann jedoch nicht erzwungen werden. Die Untersuchung hat prinzipiell mit dem geringstmöglichen Eingriff zu erfolgen, weshalb der Einsatz von strahlungsfreier Bildgebungsmethoden erstrebenswert ist, obwohl auf der Grundlage der effektiven Strahlungsdosen der zum Einsatz kommenden Röntgenuntersuchungen im Vergleich mit natürlichen und zivilisatorischen Strahlenexpositionen kein Nachteil für die Gesundheit der zu untersuchenden Personen zu erwarten ist. Bestehen trotz durchgeführter Altersdiagnose weiterhin begründete Zweifel an der Volljährigkeit, so ist zugunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen.

Die asylrechtlich privilegierte Stellung Minderjähriger bewirkt, dass sie häufig missbräuchlich behauptet wird.

Eine altersdiagnostische Untersuchung wird gemäß § 123 Abs. 1 Z 3 StPO nur zulässig sein, wenn diese zur Aufklärung einer Straftat erforderlich ist. Bei fehlender Legitimation für Röntgenuntersuchungen beschränkt sich das Methodenspektrum auf eine körperliche Untersuchung und die Erhebung des Zahnstatus.

Multifaktorielle Untersuchungsmethodik zur Altersdiagnose in Österreich

Die Beauftragung zur Durchführung der Altersdiagnose stellt gleichzeitig die Bestellung zum Sachverständigen im gegenständlichen Verfahren dar. Unter Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt wird verstanden, dass von dessen Überschreitung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ auszugehen ist.

Die Durchführung der Diagnostik umfasst ein kurzes ärztliches Gespräch sowie eine körperliche Untersuchung durch einen Rechtsmediziner, eine Röntgenaufnahme der Hand und des Handgelenks und ihre Beurteilung nach der Atlasmethode durch einen Facharzt für Radiologie, ein Orthopantomogramm (Panoramaröntgen des Gebisses) sowie eine klinisch zahnärztliche Untersuchung mit Beurteilung der Mineralisation und des Zahndurchbruchs der 3. (der letzten; der Weisheitszähne) vorhandenen Molaren durch einen Facharzt für Zahnmedizin sowie konventionelle Röntgenaufnahme oder eine Computertomographie des brustbeinnahen Bereichs der Schlüsselbeine, wenn die Entwicklung der Hand abgeschlossen ist, durchgeführt von einem Radiologen. Auf Basis der Teilgutachten wird ein Gesamtgutachten erstellt, in welchem unter Berücksichtigung der in den Referenzstudien angegebenen Schwankungsbreiten der festgestellten Entwicklungsstadien ein Mindestalter sowie – wenn möglich – ein wahrscheinliches Alter festgehalten wird. Zusätzlich erfolgt die Angabe, ob das angegebene Geburtsdatum belegt werden kann.

Bei der körperlichen Untersuchung werden neben anthropometrischen Maßen (wie Körperhöhe, -gewicht, -bautyp) die äußerlich erkennbaren sexuellen Reifezeichen erfasst. Bei Jungen/jungen Männern sind das Entwicklungsstand von Penis, Hoden, Scham- und Achselhöhlenbehaarung, Bartwuchs und Kehlkopfprominenz; bei Mädchen/jungen Frauen Brustentwicklung, Scham- und Achselhöhlenbehaarung, Hüftform. Die sexuelle Reifeentwicklung wird nur in Zusammenschau mit der Beurteilung von Skelettreifung und Zahnentwicklung verwendet. Erkrankungen führen in der Regel zu einer Verzögerung des Entwicklungsprozesses, weshalb eine Altersunterschätzung strafrechtlich keine nachteiligen Folgen für die Betroffenen hätte. Die ethnische Zugehörigkeit ist bei der Gutachtenerstellung zu berücksichtigen.

Die röntgenologische Handuntersuchung bildet die zweite Säule der forensischen Altersdiagnostik. Beurteilt werden Form und Größe der einzelnen Knochenelemente sowie der Verknöcherungszustand der Epiphysenfugen (Wachstumsfugen). Bei der zahnärztlichen Untersuchung sind die Weisheitszähne von besonderer Relevanz. Beim Zahndurchbruch können die Stadien des alveolären Durchbruchs (durch den Kieferknochen), des gingivalen Durchbruchs (durch die Mundschleimhaut) und das Erreichen der Kauebene unterschieden werden. Nach Abschluss der Handskelettentwicklung kommt der Beurteilung des Verknöcherungszustandes der brustbeinnahen Wachstumsfugen des Schlüsselbeins eine entscheidende Bedeutung zu.

Fallbeispiel 1

Sachverhalt: Gegen den aus Afghanistan stammenden beschuldigten X wurde wegen Mordes ermittelt. Nach eigenen Angaben war er zum Untersuchungszeitpunkt 13 Jahre und 5 Monate alt. Da bei den Ermittlungsbehörden erhebliche Zweifel an den Altersangaben bestanden, wurde auf richterlichen Beschluss eine forensische Altersdiagnostik unter Einschluss von Röntgenuntersuchungen angeordnet. Beurteilung: Es wurde festgestellt, dass der Betroffene zum Untersuchungszeitpunkt am wahrscheinlichsten 16 bis 17 Jahre alt war. Das 14. LJ war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollendet. Die Altersangabe war somit mit den Untersuchungsbefunden nicht vereinbar. Im Verlauf des Verfahrens stellte sich heraus, dass das tatsächliche Alter zum Untersuchungszeitpunkt 16 Jahre und 4 Monate betrug.

Fallbeispiel 2

Sachverhalt: Gegen die Person wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Nach eigenen Angaben stammte der Beschuldigte aus Guinea-Bissau und war 17 Jahre und 8 Monate alt. Da bei den Ermittlungsbehörden erhebliche Zweifel an den Altersangaben bestanden, wurde auf richterlichen Beschluss eine forensische Altersdiagnostik unter Einschluss von Röntgenuntersuchungen angeordnet. Beurteilung: Das absolute Mindestalter des Betroffenen wurde mit 21,6 Jahre festgestellt. Sowohl das 18. als auch das 21. LJ waren zum Untersuchungszeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollendet. Die Altersangabe des Betroffenen war mit den Untersuchungsbefunden nicht vereinbar.

Vgl. Schmeling, A: Forensische Altersdiagnostik bei Lebenden in Deutschland; Kainz, S.; Fischer, F.; Scheurer, E.: Forensische Altersdiagnostik bei Lebenden in Österreich, In: Grassberger, Türk, Yen (2013): Klinisch-forensische Medizin, Wien/New York: Springer, S. 468ff.

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