Von Krautschädln und Göttern. Und überhaupt.

Würde in aller Netz- oder Social-Network-Öffentlichkeit jemand Kritik äußern an Ihrer Person, würde da jemand seitenlang Worte finden, die – wohlgemerkt: eloquent und ohne Kraftausdrücke formuliert – gegen Ihr Verhalten sprechen, und würden alsdann plötzlich hundert Personen aus Ihrer Freundesliste den Absender der an Sie gerichteten Kritik brachialverbal niedermachen, würden diese Freunde den Kritiker diffamieren, ihn gar bedrohen, Sie wären entsetzt. Oder? Und Sie würden die Freundesliste ausdünnen, Sie würden, nehme ich an, zumindest hundert Social-Network-Kontakte, nämlich nicht den Kritiker, sondern all Ihre vorgeblichen Verteidiger löschen. Selbstverständlich.

Wortgewalt(tätigkeit)

Was tun, wenn die Leute, deren einzige Kommunikationsform das rhetorische Auf- und Einmarschieren ist, sich nun nicht einfach als Internet-Freunde löschen lassen, weil nämlich Sie - stellen wir uns das vor - prominent sind und die, die pöbeln und hetzen gegen jeden, der Sie kritisiert, was, wenn diese vorgeblichen Verteidiger Ihrer Seele gar nicht nur ihre persönlichen Netzwerk-Kontakte sind, sondern Ihre Fans und somit Ihre Kunden?

Bliebe mir, wäre ich prominent, in so einem Falle nichts anderes, als zu leben mit einer Gefolg- und Kundschaft, die sich dadurch auszeichnet, Kritiker meiner Person und meines Tuns zu beschimpfen? Bliebe mir, wäre ich prominent, nichts anderes, als zu leben mit einer Verehrerschaft, die alle, die mich nicht mögen, am liebsten lynchen, erniedrigen und auslöschen würde? Bliebe mir nichts anderes, als hinwegzusehen über diese Begleiterscheinungen meiner Karriere? Lebte ich einfach damit, dass in den Reihen meiner Anhänger auch Menschen wären, die Tadel, Beanstandung und jede Form der Kritik an meiner Person als Fliegerangriff oder zumindest als Ausdruck von Neid missverstehen?

Wehren Prominente sich dagegen, von nicht des Differenzierens mächtigen Hassschreibern verehrt und unterstützt zu werden? Oder wollen manche Prominente diese Form der (wort-)gewalttätigen Unterstützung gar?

Neid und Obszönitäten

Beispiel aus der Praxis: Die Herrn der Musikkapelle "Krautschädl" verfassen einen unbestreitbar sauber und fein lesbar formulierten Brief an den Schlagersänger Gabalier, einen offenen wohlgemerkt, dieser Brief findet sich bald darauf auf Facebook wider, und eine Anhängerschaft des Adressaten fällt in diversen Kommentarverläufen über die Absender her, wie ein Rudel Tüpfelhyänen über Gazelle oder Gnu. Refrain des traurigen Liedes: "Euch treibt doch nur der Neid!"

Kein Nachfragen, kein Zerlegen von Intentionen oder Inhalten, kein Diskurs. Nur Vulgarismen und "Ihr seid doch nix als neidisch!"-Obszönitäten. Gabalier sei erfolgreicher Musiker, die "Krautschädl" nicht – das der für die Gabalier-Gefolgschaft einzig denkbare Grund für Kritik an ihrem Idol.

Ruhm und Scheuklappen

Ein paar Fragen drängen sich hier geradezu auf: Wenn nur Neid das Motiv hinter einer Kritik an Erzengel Gabalier sein kann, was, wenn (wie das oft passiert und aber selten wirklich publik genug), eine Supermarktkassiererin, ein Metallfacharbeiter oder eine Anwaltsgehilfin einen offenen Brief mit Kritik an Gabalier schreibt? Wenn nur Neid das Motiv sein kann, wird diesen Kritikern dann vorgeworfen, letztlich ja nur ein ebenso prominenter und erfolgreicher Supermarktkassierer und Metallfacharbeiter und Anwaltsgehilfe sein zu wollen wie Gabalier? Das würd freilich nicht gehen. Und das würd auch dem schlimmsten Pöbler mit den größten Scheuklappen auffallen.

Hier satteln diejenigen unter den Gabalier-Fans, die keinen informativen, klärenden, kontroversen Austausch führen wollen (und oft nicht können) um von Neid auf: "Es geht euch doch nur darum, einen Teil des Ruhmes abzusahnen, euch im sonnenhellen Licht des von euch Kritisierten zu sehen!"

Wenn aber nur Ruhmsucht das Motiv hinter einer Kritik an Gott Gabalier sein kann, was, wenn die Verfasser eines offenen, kritischen Briefes diesen nicht an einen Prominenten (im sonnenhellen Licht des Berühmtseins) richten, sondern beispielsweise an einen Rechtsextremen, einen Hitlergrußchoreografen aus Chemnitz? Wie viel Ruhm haftet an Gewaltbereitschaft, Alkoholkrankheit, Bildungsferne, Kriminalität?

Gnackwatschn

Ist es nicht letzlich so, dass ein (wohl recht großer?) Teil der (Gabalier-)Fans nicht bereit und nicht fähig ist dazu, Kritik an ihrem Idol sachlich zu hinterfragen und deshalb, dem gekränkten Kinde gleich, jeden Mucks, der nicht nach Pro-Volks-Rock tut, mit Diffamie, mit eindimensionalem Gewäsch und primitivsten Verbalinjurien niederschreit?

"Aus! Leise! Wer Andi nicht mag, ist doof! Schweigen oder Gnackwatschn!" Oder eben Scheitelknien.

(Und nur, um das einer wenig erstrebten aber womöglich erwarteten Vollständigkeit wegen angemerkt zu haben: "Sag nur ein Wort gegen uns, und du wirst unseren Hass zu spüren bekommen" erlebt man nicht nur auf der [Facebook-]Seite von Gabalier. Diese Einfältigkeit findet sich oft auch im Kommentarbereich in den Gruppen von Tierschützern, Chemtrails-Wahnsinnigen, New Age-Esoterikern …)

Es steht außer Frage, dass eine Reihe von prominenten Musikern, würde ein Kollege einen offenen, öffentlichen Brief mit kritischem Inhalt an sie verfassen und ein Gros der Fans so reagieren, wie die von Gabalier es tun, sich zumindest für Minuten mit gesenktem Haupt in ein dunkles Kämmerlein zurückziehen müssten, um durchzuatmen nach dem Schock ob der Erkenntnis, welche Art von Zeitgenossen hier denn einen Ruhm überhaupt erst möglich machten. In einem sozialen Netzwerk zu realisieren, wer ihn denn hier verteidigt und vor allem wie, müsste für den differenziert denkenden Musiker schrecklich sein.

Und für Gabalier?

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Persephone

Persephone bewertete diesen Eintrag 04.09.2018 20:34:49

berridraun

berridraun bewertete diesen Eintrag 04.09.2018 17:26:41

7 Kommentare

Mehr von Andreas P. Tauser