1985 veröffentlichte Donna Haraway unter dem Namen „A Cyborg Manifesto“ ihre Idee einer neuen sozialistischen Idee. Grundsätzlich wäre das nicht sonderlich spannend, werden doch täglich mehrere dieser sozialistischen Manifeste veröffentlicht. Bemerkenswert ist an dem Werk aber der antiidentitären Ansatz der in der rezenten Linken seit den 1960igern eher selten geworden ist.

Haraway argumentiert hier gegen die Idee, dass Menschen die „gleich“ sind per se zusammengehören. Die Idee, dass Rassen, Geschlechter, Klassen und so weiter homogen wären wird bestritten. Stattdessen wären Menschen mit ähnlichen Zielen und oder Ansichten Koalitionen bilden und gemeinsam auf ihre Ziele hinarbeiten. Das brachte sie natürlich in Konflikte mit identitären Bewegungen wie etwa dem Feminismus oder später den Anhängern der kritischen Rassentheorie.

Grundlage für ihre These ist ihre Beobachtung, dass wir in den letzten 100 Jahren erkannt haben, dass Menschen doch nur Tiere wären. Die Grenze zwischen Menschen und Tier sei so verschwommen. Ähnliches prognostizierte sie für organische Lebewesen und Maschinen. Maschinen zu erschaffen die Eigenschaften mit Lebewesen teilen war damals eine Vision die heute in einigen Bereichen realisiert wurde, insbesondere simulierte Lebewesen zeigen Verhaltensmuster die wir aus der Natur kennen. „Was Leben ist“ wird von Tag zu Tag schwerer zu definieren.

Die Idee läuft darauf hinaus, dass die Regeln unserer Gesellschaft ein Resultat unserer Natur sind und sich neue Regeln einstellen, wenn sich unsere Natur radikal ändert.

Ihrer Ansicht nach verschwindet der Kapitalismus, wenn die Familie verschwindet.

Hier findet sie also wieder Anschluss zum Mainstreamfeminismus, die identitäre Kluft scheint aber scheinbar unüberwindbar.

Im Gegensatz zu den Mainstreamlinken ist sie sich ihrer Ideologie aber bewusst und steht dazu: die Familie und alles rundherum muss weg, sonst klappts nicht wirklich.

Was Haraway mit ihren Thesen aber am Ende des Tages belegt, ist eine implizierte Zustimmung, dass Sozialismus nicht nur etwas Unmenschliches ist, also nicht in unserer Natur liegt, sondern sogar völlig unnatürlich ist. Erst wenn wir uns von der Natur distanzieren und „etwas anderes werden“ wird Sozialismus eine echte Option.

Seither sind fast 40 Jahre ins Land gezogen und wir haben nun Erfahrungen mit simulierten Lebewesen gemacht. Aber auch diese folgen dem evolutionären Muster des Wettbewerbs. Gruppen die selektiv konkurrieren sind schlicht erfolgreicher als solche die mit jedem kooperieren. Evolution ist nicht nur etwas das für Lebewesen gilt.

Das Cyborg Manifest ist, obwohl aufgrund seiner, zumindest impliziten, antiidentitären Ansichten bemerkenswert, wieder eine der unzähligen Sackgasse des Sozialismus, weil auch hier nicht verstanden wurde, dass Wettbewerb ein Resultat ist, keine Ausgangssituation.

Die Ausgangssituation ist Knappheit und irgendwas ist eben immer knapp.

Auch in einer Simulation und auch für die Borg.

Das Resultat ist selektive Kooperation mit der eigenen Gruppe gegen Dinge die nicht die eigene Gruppe sind. Das ist mal eine andere Gruppe, mal die Natur, mal etwas ganz anderes.

Der Cyborg wird die Evolution und den Wettbewerb nicht überwinden, weil er die Knappheit nicht überwinden kann. Genau deswegen ist das Cyborg Manifest, genau wie alle anderen sozialistischen Manifeste, das Papier nicht wert auf dem sie gedruckt sind.

Unterhaltsam ist es aber allemal.

management-circle.de https://www.management-circle.de/blog/cyborgs/

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