Von Identitäts- und Wahrnehmungsstörungen, an denen nicht nur Rechtsextreme leiden. Was will der Antifaschismus, wenn er nicht mehr verstehen will?

Ich kann verstehen, wenn Antifaschist_innen nicht möchten, dass Identitäre durch einen "Migrantenbezirk" wandern. Aber mir bleiben noch Fragen: Was sind "Migranten"? Jemand, der einmal Sommerfrischler war, wird nicht für den Rest seines Lebens als "Frischler" bezeichnet. Wohin "migriert" man also, wenn man weder e- noch imigriert? .

Das Feind

Von den Identitären hingegen wusste ich, wo sie durchmigrieren wollten. Von einem prominenten Demo-Startpunkt wie dem Wiener Westbahnhof nach Schönbrunn. Da würde ich auch durch Rudolfsheim abstechen, auch ohne provozieren zu wollen. Aber die wahre Motivation zu dieser Entscheidung ist egal. Wenn sie über den Wilheminenberg oder die Innere Stadt gezogen wären, hätte es dann keine Gegendemo gegeben? Sicher! Ist auch gut so.

Denn das Identitäre (nicht unbedingt die/der Identitäre) ist der Feind. Es ist die faschistische Ideologie in ihrem primitivsten Ursprung: "Unsere Identität ist die wahre. Die Identität jener, die sich nicht zu uns bekennen oder nicht zu uns passen, ist die falsche." - "Wir sind rein, die anderen unrein" - "Wir sind die Herren dieses Landes, die, die nicht sind wie wir, müssen daher Untergebene sein."

Der einzige Unterschied zu früheren Formen dieses Wahnsinns ist die Verwendung des Identitätsbegriffs anstelle von Religion, Nation oder "Rasse". Das macht es allerdings nicht besser. Die eben genannten Begriffe sind per Definition auf bestimmte Merkmale beschränkt. Rasse bezieht sich zudem auf körperliche Äußerlichkeiten, deren Einbildung regionaler (oder mythischer) Besonderheit in der heutigen Zeit nur noch bei geistig (oder psychisch) stark beeinträchtigten Personen bestand haben kann. Hätte das deutsche Volk über die Nazi-Propaganda hinaus geschaut, hätte es bemerkt, wie viele "echte Arier" in anderen Völkern lebten, die es überfiel und ermordete.

Die Willkür der "Identität"

Was ist nun das Problem der Identitären? Ihre Identität kann letztlich alles bedeuten; sie lässt sich noch willkürlicher und missbräuchlicher definieren als Religion, Nation oder Rasse. Abgesehen von ein paar abgeschiedenen hochalpinen Dörfern, war und ist Österreich seit jeher ein Land vieler Völker. Wer einmal im Kaunertal war, weiß allerdings, dass dessen Bevölkerung in der Regel weltoffener erscheint als so mancher Identitäre in der Großstadt.

Der erste Staat nach dem Zerfall des römischen Imperiums, auf österreichischem Staatsgebiet, war ein slawischer. Dann vermengten sich bajuwarische Stämme mit den slawischen und den romanisierten Kelten. Die Habsburger nahmen später sowieso, was sie kriegen konnten. Und welche austriane Identiät von heute baut nicht auf eine Melange aus regionalem Brauchtum, paneuropäisch-geisteskultruellem Erbe, zumindest einem gewissen Teil migrantischer Kulinarik und moderner Amerikanisierung auf? Mit dieser Identität haben die meisten Österreicher_innen auch kein Problem. Weil es gibt andere. Manche von uns haben z.B. einen Alltag.

Identitätsstörung

Der Grund für die identitäre Bewegung muss also in einer Identitätsstörung liegen. Vielleicht sind sich viele so Bewegte nicht bewusst, dass sie dabei faschistischen Ideen hinterherlaufen. Auch Hofer-Wähler_innen sind nicht automatisch als Faschist_innen zu bezeichnen. So wie einer, der kein Fleisch isst, weil's nichts anderes für ihn gibt, deshalb noch kein Vegetarier ist, auch wenn er sich in diesem Fall vegetarisch ernährt.

Was wissen wir wirklich von den Gründen, dem Denken und Bewusstsein der einzelnen Mitglieder dieser Bewegung? Sicher gibt es unter ihnen g'standene Rechte oder geschickte Demagogen, die einen Profit wittern wie Wölfe unter Schafsköpfen. Kann aber auch sein, dass jemand mitläuft, dem sonst niemand zuhören will, nachdem ein Dunkelhäutiger ihm in die Hauseinfahrt pinkelte.

Das Kopftuch liegt vorm Auge des Betrachters

Es gibt unter den g'standenen Rechten kaum eine_n, der/die nicht für ein Kopftuchverbot (für Muslimas) wäre. Viele, weil sie es als Symbol des Fremdartigen bekämpfen und mit diesem Kampf eine "falsche Identität" durch die "wahre Identität" zu unterwerfen versuchen. Andere glauben womöglich, dass es sich um ein Zeichen der Frauenunterdrückung handelt.

Dabei zeigt die Betrachtung des islamischen Kopfwickels, dass die Bedeutung der wahrgenommenen Tracht für den Betrachtenden, vom Betrachtenden selbst ausgeht. Eine Muslima kann eine Hidschab tragen, weil sie dazu genötigt wird, weil sie einfach daran gewöhnt ist, weil sie damit eine religiöse und/oder politische Botschaft nach Außen hin vermitteln will (die ihrerseits unterschiedliche Inhalte haben kann), weil sie sich durch die Betuchung tatsächlich fromm fühlt und dabei manchmal an alte Darstellungen weiblicher Heiliger des Christentums erinnert. Es kommt auch vor, dass Frauen mit islamischer Schädeltracht herumlaufen, obwohl sie keine Muslimas sind. So ein Kopftuch kann also alles für uns Außenstehende bedeuten, solange wir nicht nachfragen, was es für die jeweilige Trägerin bedeutet.

Die Ironie kann uns versöhnen

Ironie! Die g'standenen oder g'sessenen Rechten befinden sich in einer ähnlichen Situation wie viele Muslimas. Sie schmücken sich mit Äußerungen und Äußerlichkeiten, die bei Beobachtenden unerfreulichere Reaktionen auslösen. Sie sind Opfer linker Vorurteile. Ihre Symbole werden gefürchtet, geächtet, lächerlich gemacht. Was sie uns eigentlich sagen wollen, können wir schwer feststellen. Zu viel Floskel-Rhetorik, Populismus und Medien, die die Bedeutung von Sprache mit ihren Schlagzeilen erschlagen, stören unsere Wahrnehmung.

Gut, bei den Identitären ist die Absicht ihrer Symbolig so eindeutig wie der Koran in Händen einer Islamisten-Miliz. Aber vielleicht schadet es auch hier nicht, sie einmal mit Fragen zu bewerfen - anstelle von Steinen. Steineschmeißende Antifaschist_innen, ihr Extremismus, ihre Identitätsstörung - "Wir sind die Scharfrichter der Gerechtigkeit, die ohne Verhandlung zuschlagen" - ist nämlich auch der Feind.

Wikicommons

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