https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alexander_Van_der_Bellen.jpg

Mit Zähneknirschen.

Bei der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl werde ich wohl für Alexander Van der Bellen (VdB) stimmen. Weil, wen sonst?

Hundstorfer ist ein Parteisoldat und wird es auch nach der Wahl bleiben, ob er gewinnt oder nicht. Parteisoldaten sind keine Oberbefehlshaber.

Griss ist sicherlich eine hervorragende Juristin. Aber als Bundespräsidentin muss man etwas mehr sein. Eine Technokratin in jenem Amt, das die wenigsten Gestaltungsmöglichkeiten und die meiste Symbolwirkung hat? Das bringt nicht viel. Außerdem: Wenn die Berufspolitik eines nicht braucht, dann sind es noch mehr Jurist_innen.

Lugner spricht manchmal sogar recht vernünftige Sätze. Leider kommt er dabei selten zum Punkt und die Chancen stehen 50/50, dass die nächste Aussage wieder ein völliger Topfen ist. Ein Hochrisikokandidat, auch vom hohen Alter her.

Dann gibt's noch Khol und Hofer. Zwei Rechte. Einer meinungskonserviert, der andere deutschnational. Was fang ich damit an? Die gibt's zum Saufüttern. Ich hätte mir eine linke Kandidatin gewünscht, damit's einmal eine Frau wird – und einmal in der Geschichte Österreichs eine echte Linke.

Mann ohne (diese) Eigenschaften

Gerade das, was seine Gegner_innen ihm am häufigsten vorwerfen, ist VdB überhaupt nicht. Man ist kein Linker, nur weil man über ein gewisses Maß an humanistischer Vernunft verfügt. Selbst wenn er nicht so unabhänig von seiner Partei kandidiert, wie er gerne würde: So richtig grün ist er auch nicht.

Der Mann raucht! Lasst mich das erklären: Die Tabakindustrie verursacht vor allem in afrikanischen Anbaustaaten massive Schäden an Umwelt und Menschen (z.B. durch Pestizide). Um Anbauflächen zu gewinnen, setzt sie u.a, dank diktatorischer Machthaber, auf Zwangsenteignungen ansässiger Bauern. Alles nur, damit wir uns kosteneffektiv diverse Krankheiten anrauchen könnnen, in sogar körperlicher Abhängigkeit von global aggierenden, korrupten Großkonzernen. Das zeigt doch: Wer kapitalismuskritisch, links und grün sein will, dürfte nicht rauchen.

Mainstream-Öko(nom)

Gut, wir haben alle unsere Sünden und als Ökonom braucht VdB natürlich einen sachlichen-akademischen Bezug zum herrschenden Wirtschaftssystem. Kritisiert wird seine eher unkritische Haltung zu den TTIP-Verhandlungen. Wobei er sich verteidigt: Würde es tatsächlich zu privaten, untransparenten (Pseudo-)Schiedsgerichten kommen oder zur Gefährdung von Umweltstandards, wäre er dagegen.

Nur sieht es seit jeher so aus, als würden die Verhandlungspartner_innen genau das anstreben. Sie versuchen nicht nur diesen Umstand zu verschleiern, sondern auch noch das Verschleiern zu verschleiern. Ein hermetisch abgeriegelter Raum, in denen EU-Parlamentsabgeordnete, unter bestimmten voraussetzungen, vielleicht, aber mit nix, vermutlich nicht einmal mit Licht, die Verhandlungsunterlagen anschauen können, ohne jemals darüber sprechen zu dürfen – das ist weder transparent noch eine Antwort auf die Kritik aus der Bevölkerung. Wann entschließt sich VdB also, dagegen zu sein? Wenn er fertig geraucht hat?

Sicher, andere Kandidat_innen haben in dieser Frage auch nur die politische Phrasen-Pappn im Betrieb. Aber gerade von einem grünen Wirtschaftsexperten würden wir typischen Grünwähler_innen uns mehr erwarten. Schon wegen der Symbolkraft.

Rebell, Rebell...

Er ist wenigstens der einzige, der keinen Rache-Strache als Bundeskanzler angeloben würde. Auch das wird kritisiert, z.B. vom Hofer, der darin ausgerechnet als Faschismus erkennen will. Dabei sind die moralischen Vorgänger der heutigen FPÖ genau dadurch an die Macht gekommen: Sie wurden trotz aller Bedenken angelobt. Was hätten wir von einem Bundespräsidenten, der nichts bedenkt und wenn doch, trotzdem nicht nach seinem (Be-)Denken handelt, sondern auf den Gruppenzwang der Polit-Szene-Elite hörte. Das wäre verfassungskonform, aber auch nicht, weil der Bundespräsident (wie im Grunde auch jede_r einzelne Abgeordnete) der Verfassung nach unabhängig (in seinen Entscheidungen) sein müsste. “Niemand hat das Recht zu gehorchen (Hannah Arendt)”, auch kein Bundespräsl.

und Antimonarchist

Auch kritisiert er die Asylpolitik der Regierung, selbst wenn der Trend in der Bevölkerung eher in Richtung Mauerbau und Xenophobie weist. Das wird zumindest von den Medien so vermittelt und angeheizt, deren Krone gar nicht gut auf VdB zu sprechen ist. Dem ist das wurscht. Allein das ist ein Akt der Rebellion in der österreichischen Berufspolitik, quasi Majestätsbeleidigung. Gut so.

Ein Faschist ist er also sicher nicht. Auch nicht auf den Mund gefallen. Genausowenig einer dieser Polit-Kasperln, die sich dauergrinsend vom Sektempfang zum Weinfest heucheln. Und nachdem er auch nicht das ist, was ihm seine Kritiker_innen vorwerfen, ist er vielleicht der Kandidat, auf den sich die meisten Österreicher_innen einigen können. Ich hab mich mit mir selbst jedenfalls bereits geeinigt, wenn auch zähneknirschend.

Antonik Seidler

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Monikako

Monikako bewertete diesen Eintrag 11.04.2016 22:13:05

Eveline I.

Eveline I. bewertete diesen Eintrag 10.04.2016 15:48:52

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