Adventgeschichte: Das gewebte Bild (15): Dich zu kennen

Uwe hatte sein Lager neben Mariens bei den Welpen aufgeschlagen für diese Nacht. Eine ruhige Nacht, die in einen entspannten Morgen ausklang. Als Maria die Augen aufschlug sah sie, dass Uwe bereits dabei war die Welpen zu versorgen, und so wie er es tat, wirkte es, als hätte er nie etwas anderes gemacht. So blieb sie liegen, verhielt sich ruhig und sah ihm einfach zu. Als er fertig war, ging er in die Küche um sich wegen dem Frühstück umzusehen. Verspielt und voller Lebenslust sprangen die Welpen um seine Füße.

„Es macht den Anschein, als hättest Du eine Hand für Hunde“, sagte Maria unvermittelt.

„Nicht nur für Hunde“, entgegnete Uwe nur.

„Aber woher?“, fragte nun Maria voller Interesse.

„Weil ich quasi damit aufgewachsen bin“, begann Uwe seine Erklärung. Maria unterbrach ihn nicht, sondern ließ ihn fortfahren, in dem Tempo, in dem er es wollte, „Ich stamme aus einem kleinen Ort in Kärnten, im Süden von Kärnten, ganz nahe bei der slowenischen Grenze. Es war ein wunderbarer Ort um aufzuwachsen. Die ganze Welt gehörte uns, die Felder, die Wälder, die Wiesen, die Teiche, alles war unser Spielplatz. Bevor ich auf die Welt kam hatten meine Eltern wohl in Klagenfurt gelebt. Mein Vater war Tierarzt und meine Mutter, nun, sie war wohl die Frau Doktor. Aus ihrer Sicht wohl nicht ganz das, was sie sich gewünscht hatte, aber immerhin. Zahnarzt oder Internist, das sah sie als ordentliche Ärzte an, aber nachdem sich mein Vater damals, am Anfang seiner Laufbahn, wohl auch weil er blind verliebt war, hatte überreden lassen die degenerierten Tierchen der sogenannten High Society zu versorgen, gelang es meiner Mutter dennoch Einzug in die besseren Kreise zu bekommen. Sie war selig, und er war es wohl auch. Zumindest am Anfang. Mit der Zeit erschien ihm seine Tätigkeit immer seichter, ohne Sinn. Er hatte schließlich nicht Veterinärmedizin studiert um die degenerierten, psychotischen, chronisch unterbeschäftigten aber überverhätschelten Tierchen der feinen Gesellschaft zu helfen, sondern echten Tieren mit echten Krankheiten. Das war allerdings in der Stadt nicht möglich. Immer mehr wünschte er, er könnte die Stadt verlassen und aufs Land ziehen. Als nun meine Mutter schwanger wurde, nahm er diese Gelegenheit wahr und überzeugte sie davon, dass ein Kind nur am Land glücklich aufwachsen konnte. Ich weiß bis heute nicht wie es ihm gelungen ist das meiner snobistischen Mutter beizubringen, doch er schaffte es, und so zogen sie nach Unterort, wo ich geboren wurde. Mein Vater blühte auf, während meine Mutter zusehends einging, verwelkte wie eine Blume ohne Wasser. Hatte sie in der Stadt viele Freundinnen gehabt, so fand sie keinen Draht zu den Landfrauen, die ihr zu minder waren, wie sie sagte. Aber letztendlich verstand sie ihr Leben einfach nicht. Es war nicht das ihre. Sie wollte mehr als übers Kochen und Putzen und die Gemüseernte reden. Trotz allem war meine Mutter eine Freundin der Künste. Dazu kam noch, dass mein Vater als einfacher Landtierarzt viel weniger verdiente als zuvor. Zu allen anderen Entbehrungen, kamen auch solche materieller Art. Nicht, dass wir je Not litten, aber für meine Mutter war es schon Not, wenn sie nicht regelmäßig einkaufen gehen konnte, also Schuhe, Handtaschen, und all diesen Firlefanz. Immer wieder meinte sie, dass sie hier noch vor Langeweile sterben würde. Ich war gerade mal sechs als meine Mutter tatsächlich starb. Es war ein mysteriöser Tod, doch wir waren weit weg von allem und mein Vater hochangesehen bei der Bevölkerung, so dass der Fall schnell ad acta gelegt wurde. Kurze Zeit später heiratete mein Vater ein zweites Mal. Eine Slowenin, eine resche, solide, bodenständige Frau, die ihm vier weitere Söhne gebar. Langweilig war es also nie bei uns. Recht bald schon durfte ich meinen Vater begleiten, wenn er Hausbesuche machte. Ich dachte mir, eines Tages, da würde ich auch Tierarzt werden und allen Tieren helfen.“

Maria hatte zugehört, mit wachem, ehrlichen Interesse und offener Zuwendung.

„Deshalb also kennst Du Dich so gut aus“, resümierte sie, „Aber Du hast dann Deinen Traum vergessen, den Plan von Deinem Leben und Dich für die Juristerei entschieden.“

„Ganz so einfach war das nicht“, fuhr Uwe fort, „Bis zur Matura war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich in die Fußstapfen meines Vaters treten würde, doch dann geschah etwas, was meinen Vater bewog mich aufs inständigste zu bitten doch etwas Handfestes zu studieren.“

„Was war geschehen?“, fragte Maria voller Ungeduld. Es war ihr, als müsste sie all das Versäumte innerhalb kürzester Zeit nachholen. So wenig sie zuvor wissen wollte, desto mehr wollte sie es jetzt.

„Eine tragische Verleumdungsgeschichte, und eigentlich so simpel, dass mir bis heute nicht klar ist, warum das jeder geglaubt hat, aber es braucht viel den Ruf eines Menschen aufzubauen, aber nur ganz wenig ihn für immer zu ruinieren. Bei meinem Vater war es der Neid“, begann Uwe bereitwillig zu erzählen, und nachdem er einen Schluck von seinem Tee genommen hatte, fuhr er fort, „Mein Vater schaffte es innerhalb kürzester Zeit sich das Vertrauen der Menschen zu erwerben. Nun gab es allerdings einen zweiten Tierarzt, wohl einige Ortschaften weiter, aber doch noch in der Umgebung, der schon viel länger ordinierte. Er war ein Einheimischer. Doch mit der Zeit holten die Bauern immer öfter meinen Vater als seinen Kollegen. Seine Methoden sagten ihnen mehr zu, und er wusste auch mit den Tieren besser umzugehen. Doch statt sich weiter zu bilden und in seiner Profession besser zu werden, begann er meinen Vater zu verleumden. Egal wie haltlos die Anschuldigungen waren, die er ausstreute, irgendwer fand sich immer, der es glaubte und weitertrug. Mein Vater war ein herzensguter Mann und konnte damit nicht umgehen. Zunächst versuchte er es das alles einfach zu ignorieren, weil er dachte, dass die Menschen doch sehen was er Gutes tut. Sie würden ihn nach seinen Taten beurteilen, nicht nach dem Geschwätz. Er war schon sehr naiv. Die Anfeindungen hörten natürlich nicht auf, und irgendwann kapitulierte mein Vater. Er nahm mir noch das Versprechen ab, ich solle Jurist werden, denn dann könne mir so etwas niemals passieren. Dann erhängte er sich am Dachboden. Und ich habe ihn gefunden. Ganz gleich also was ich für Pläne oder Träume ich hegte oder auch noch immer hege, ich habe es ihm versprochen. Ich kann nicht anders.“

„Aber meinst Du nicht, er würde es verstehen“, entfuhr es Maria unwillkürlich, „Ich meine, Du kannst doch nicht Dein ganzes Leben lang etwas machen was Dich unglücklich macht.“

„Das hatte ich auch schon gedacht, aber dann traf ich Dich“, entgegnete Uwe, und sah Maria an, wie sie es noch nie gesehen hatte, mit einer Intensität, die sie ganz einnahm und annahm.

„Was hat das mit mir zu tun?“, fragte sie verwirrt.

„Nun, das ist eigentlich gar nicht zu schwer“, erwiderte Uwe, „Du bist eine wunderbare Frau, zielstrebig, verlässlich und konsequent. Du hast mich immer unterstützt auf meinem Weg, und ich bin überzeugt, dass der Weg egal ist, wenn Du an meiner Seite bist. Und Du hast niemals einen Hehl daraus gemacht, dass Du einen erfolgreichen Mann an Deiner Seite haben willst. Das gab mir Kraft und mitunter sogar Freude an meiner Ausbildung. Und wer weiß was noch alles kommt.“

Maria fühlte sich wie betäubt. Sie kannten sich nun bereits zwei Jahre, trafen sich, sprachen miteinander, und während all der Zeit hatte sie keine Ahnung gehabt mit wem sie es zu tun hatte, wer Uwe wirklich war. Ein großgewachsener Mann mit selbstsicherem Auftreten und einem zielstrebigen Wesen. Das war alles. Bloß Äußerlichkeiten. Niemals hatte sie auch nur den Versuch gemacht ihn näher kennenzulernen, und, wie sie jetzt erkennen musste, überhaupt etwas über ihn zu lernen. Aber wäre es denn möglich gewesen, hätte sie ihn denn verstehen können, so lange ihr eigenes Inneres unzugänglich und verschüttet war?

„Ich hatte auch einen Traum“, gestand sie ihm ein, „Ich hatte einen Traum, den ich vergaß, vergessen wollte, und den ich jetzt wiedergefunden habe.“ Und Maria erzählte Uwe ihren Traum, während er mit offenen Augen und offenem Herzen lauschte, „Meinst Du nicht, dass sie sich verbinden ließen, unsere Träume? Meinst Du nicht, dass Dich Dein Vater Deines Versprechens entbinden würde, wenn er wüsste, dass Du den Weg gehen würdest, der für Dich Glück bedeutet?“

Mit Wohlwollen sah Magdalena wie die beiden jungen Leute die Arbeit am Hof übernahmen, wie sie sich immer mehr zurücknehmen konnte, während das Webschiffchen hurtig weiterwob. Und es war der Abend des fünfzehnten Advents.

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