Adventgeschichte: Das gewebte Bild - Hinführung

Maria von Martialis, eine großgewachsene, blonde Frau, die in ihrer Haltung, ihrem Auftreten, ja in jeder ihrer Bewegungen das Flair vergangener adeliger Abstammung vermittelte, der sich nicht abschütteln ließ, so verkommen und unbedeutend ihrer Familie mittlerweile auch sein mochte, war verunsichert.

Es gefiel ihr nicht, diese Unsicherheit, denn sie war gewohnt alles perfekt zu planen. An diese Gewohnheit hatte sie sich auch bisher strikt gehalten. Das oberste Ziel war es, herauszukommen aus dem Elend, aus der Armut und der Verkommenheit. Macht, Status, Ansehen und Reichtum, das waren ihre vorrangigen Ziele. Nie wieder in einer beengten, verdreckten Wohnung leben mit Menschen, die der Vergangenheit anhingen wie die Klette am Schwanz eines Hundes. Dieses ewige Selbstmitleid einer Armut, die wohl selbstverschuldet war und dennoch völlig den Anderen angelastet wurde. Sie sah ihre Mutter vor sich, fett und aufgedunsen, wie sie inmitten des Drecks auf einem Fauteuil saß und darauf wartete, dass ein Wunder geschehe. Schließlich war sie eine von. Von Kindesbeinen an gewohnt dienstbare Geister um sich zu haben, die ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen, gedachte sie auch späterhin keinen Finger zu rühren. Auch als alles den Bach hinunter ging und die Familie zusehends verarmte. Vielleicht konnte sie wirklich nicht anders, aber Maria billigte es ihr nicht zu, denn sie war durchdrungen von dem Gedanken, dass jeder reich sein konnte, der sich nur genug anstrengte, aber ihre Mutter war nicht bereit dazu. Mit Ekel und Widerwillen dachte sie daran, was Maria nur noch mehr anstachelte.

Mit Bravour hatte sie ihre Schulzeit absolviert, obwohl sie immer auch daneben arbeitete. Mit dem Geld, das sie verdiente leistete sie sich Statussymbole. Sie sah darin eine Investition in die Zukunft. In ihre Zukunft, denn egal wie viel sie konnte, gemessen wurde sie an ihrem Äußeren. So war es nun mal in dieser Welt. Dann begann sie das Studium der Handelswissenschaften und bereits zum Abschluss ihres Bachelors zeigten sich die Früchte ihrer Arbeit. Alles schien so aufzugehen wie sie es sich erhoffte. Auf ihrem Bett lag nun die offizielle Einladung einer der weltweit größten und einflussreichsten Investmentbanken zu einem Praktikum, das sie bereits am ersten Januar antreten konnte.

„Sie sind meine beste Studentin“, hatte ihr Professor gesagt, als er ihr das Schreiben überreichte, „Ich habe Sie höchstpersönlich dafür vorgeschlagen, weil Sie es sich verdient haben. Enttäuschen Sie mich nicht. Aber vor allem sich selbst. Sie wissen, dass so eine Chance niemals wiederkommt. Das kann Ihren Durchbruch bedeuten.“

Damit hatte er zweifelsohne recht. Aber daneben lag noch ein anderer Brief, der nicht unterschiedlicher sein konnte. War ersterer geschäftsmäßig klar und direkt, maschinell verfasst und auf Firmenpapier gedruckt, so war zweiterer mit der Hand geschrieben worden. Die krakelige, alte Handschrift wollte die gerade Linie nicht finden, sondern stieg auf und ab wie Berg und Tal, wurde mal kleiner, mal größer. Kurrentschrift war es, fand Maria sehr schnell heraus und kaum zu entziffern. Mit viel Mühe, die sie noch niemals gescheut hatte, gelang es ihr, zumindest den Sinn des Schreibens herauszufiltern. Es handelte sich um eine Einladung auf den Hof ihrer Großtante, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. So weit sie sich überhaupt erinnerte, galt sie als eine verschrobene alte Frau, wobei schwer zu unterscheiden war zwischen dem, was in der Familie so erzählt wurde, und was eine originäre Erinnerung an sie darstellte. Auf jeden Fall war sie die Schwester ihrer Großmutter, die als das schwarze Schaf der Familie galt, da sie dereinst, als sie noch ein junges Mädchen war auf alle Rechte und Würden, ja sogar auf den Namen verzichtete und einen armen Bauern heiratete. Am selben Tag war sie aus dem Schloss der Familie, das sie damals noch ihr eigen nannten, aus- und in die Bauernhütte eingezogen. Niemals wieder sollte sie einen Fuß in das Schloss setzen.

Warum sollte Maria sie besuchen? Der einzige Grund warum sie den Brief nicht gleich weggeworfen hatte war nichts weiter als ein Gerücht, das besagte, ihre Großtante wäre sehr reich. Als sie das reiche Elternhaus damals verließ nahm sie ihr Erbteil mit, das sie allerdings nie angerührt haben soll. Die Ehe war glücklich aber kinderlos geblieben.

„Ich tue es!“, sagte Maria in die Stille ihrer Wohnung hinein zu sich selbst, „Ein paar Tage, die kann ich wohl investieren, denn die Rendite kann beträchtlich sein.“

Wenige Minuten später warf Maria ihren Koffer auf die Rückbank ihres Mercedes und brauste davon. Und es war der 30. November. Genug Zeit also die Großtante dazu zu bewegen ihr alles zu vermachen, um dann am 01. Januar ihr Praktikum, versehen mit einem hübschen, finanziellen Pölsterchen, aufzunehmen.

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Paradeisa

Paradeisa bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:17

4 Kommentare

Mehr von Daniela Noitz