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Als Stella an diesem Morgen zu mir kam und mich wie immer freudig begrüßte, bemerkte ich bereits ihre Unruhe, aber auch die Vorfreude auf das Kommende. Es war ihr erstes Kind. „Du machst das sicher gut“, flüsterte ich ihr ins Ohr. Danach zog sie sich zurück. An einem abgelegenen Ort gebar sie ihr Kind, leckte es sauber, womit sie den Kreislauf und die Atmung anregte. Auch wenn es ihr erstes Kind war, so wusste sie auch – ganz ohne Ratgeber und Helfer – was sie zu tun hatte. Ein tiefes Muhen ließ sich vernehmen. So lernte ihr Sohn den Klang seiner Mutter kennen. Ansonsten ging sie in dieser ersten Woche ganz normal zu ihrer Herde grasen. Doch immer wieder kehrte sie zu ihrem Sohn zurück, der sich noch kräftigte. Nach dieser Woche war es so weit. Stolz präsentierte sie ihn ihrer Herde, und auch mir. „Ein wunderschöner Junge“, flüsterte ich ihr zu.

Die nächsten Wochen verbrachte der Kleine, den wir Alfi nannten, in der Spielgruppe mit den anderen Kindern, immer unter dem strengen Blick einer erfahrenen Kindergärtnerin oder eines Kindergärtners. Doch weiterhin leckte Stella den Kleinen und versorgte ihn mit ihrer Milch. Der kleine Alfi wurde größer und kräftiger, fraß immer mehr Gras, doch bis zu seinem elften Lebensmonat suchte er seine Mutter auf, die in seiner Nähe graste, um zu trinken. Und auch als er nicht mehr gesäugt wurde, blieb die Bindung erhalten.

„Weißt Du,“ sagte ich leise zu Stella, als ich wieder einmal bei ihr im Gras saß und sie bedächtig wiederkäute, „Du bist eine wunderbare Mutter für den kleinen Alfi. Und Du hast Glück, auch wenn Du nichts davon weißt. Den meisten Kühen ergeht es ganz anders. Sie werden nicht vom Stier umworben und befruchtet, sondern von einem Arzt, künstlich. Wenn sie ihr Kind gebären, dann wird es ihnen sofort entrissen. Nicht einmal einen Tag bekommen sie miteinander. Vielleicht soll so verhindert werden, dass eine Bindung überhaupt aufgebaut wird, aber die Mutter ist traurig und schreit nach ihrem Kind, so wie ihr Kind nach ihr. Tagelang rufen sie verzweifelt nacheinander, aber niemand scheint es zu hören. Die Milch, die ihrem Kind gehören sollte, die wird abgepumpt und weggegeben. Menschen trinken Kuhmuttermilch. Natürlich wäre es möglich, sich zu arrangieren. Ein wenig für das Baby und der Rest für die Menschen. So hätten alle was davon und das Kind könnte glücklich und zufrieden aufwachsen. Aber nein, sie wollen alles. Und wofür? Damit es noch mehr Milch gibt, die eigentlich keiner mehr kauft, weil es schon viel zu viel ist. Mutter und Kind müssen leiden, und das für den Müll.“

Stella blickte mich an, mit ihren sanften braunen Augen. Als hätte sie verstanden. „Wir feiern Muttertag“, erzählte ich weiter, „während wir Millionen von Mütter als Zuchtmaschinen verwenden. Gäbe es Dich nicht und Deine Herde, ich denke, ich würde mir auch einreden lassen, es geht nicht anders. Aber es geht anders.“

In diesem Sinne, allen einen schönen Muttertag.

Erika Hartmann/pixelio.de

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