Biblio-phobie oder doch Biblio-philie

Fremdworte zu benutzen ist durchaus legitim undoftmals auch stimmig. Aber was geschieht, wenn wir sie nur mehr benutzen, weil selbst der Superlativ nicht mehr die gewünschte Wirkung zeitigt – quasi als Super-Superlativ?

Wir leben in einer Zeit der Extreme und des Sich-Aufplusterns. Wo man früher einfach nur gesagt hätte „Ich mag Bücher“ oder „Ich lese gerne“, klingt dies in heutigen Ohren doch sehr farblos bis nichtssagend. Mögen oder gerne, ja das kann bald einmal passieren. Mit so etwas verbringt doch keiner seine Zeit oder weicht im anderen Extrem aus. Das kann man nicht mehr machen.

Vielmehr erhebt man die Augen schwärmerisch gen Himmel und das Gegenüber erfährt, unterstrichen durch den rechten Brustton der Überzeugung: „Ich liebe Bücher“ oder „Ich lese für mein Leben gerne“ oder „Ich bin ganz verrückt danach“. Das klingt doch schon nach Intensität, nach Tragweite, nach wahrhaftem Engagement.

Wer es jedoch mit der Betonung auf die Spitze treiben möchte, quasi bis zum Gipfel des Mount Everests der verbalen Eruption, der sagt heiß und leidenschaftlich: „Ich bin bibliophil“. Wahlweise gibt es das auch für das andere Extrem in der Form von: „Ich leide unter Bibliophobie“.

Nun neige ich ja dazu mir Worte bildlich vorzustellen – was, ganz nebenbei, manchmal recht kuriose Dinge zeitigt – und dazu führt, dass ich mir in einer Szene vorstelle, wie der Herr oder die Dame, die sich brüstet eine Bibliophobie sein bzw. ihr Eigen zu nennen, gehetzt und ausweglos durch die Nacht sprintet, verfolgt von einem wahrem Monstrum, einen Buch oder beim Passieren eines Buchladens das Kreuz vor sich herhält, „Weiche Satanas!“ winselnd, die Augen schreckgeweitet mit keuchendem Atem. Oder den Bibliophilen, wie er, müde von der Arbeit nach Hause kommend, seinen Büchern eine hingebungsvolle Streicheleinheit gönnt, wie vormals seinem Hund oder seiner Frau – funktioniert natürlich auch umgekehrt.

Es ist wohl sehr wahrscheinlich, dass dies in der Wirklichkeit, im grundsoliden Leben, nicht so passiert, aber warum bitte ist es dann notwendig diese Worte zu benutzen, und damit in meinem Kopf solche Bilder zu evozieren. Reicht in dem Fall nicht mehr der Superlativ, dass man zu so starken Wörtern greifen muss, so wie ein Drogenjunkie immer härteren Stoff braucht? Natürlich trete ich für die Freiheit der Rede ein – nicht zuletzt, weil ich davon weidlich Gebrauch mache und mich doch einigermaßen unwohl fühlen würde, würde ich mich ihrer nicht mehr bedienen dürfen. Ich trete auch ein für die Meinungsfreiheit – und was da sonst noch so in den Menschenrechten verankert ist.

Aber ich trete ebenso für den Schutz bedrohter Arten ein und für die artgerechte Haltung von Wörtern. Ich trete dafür ein, dass jedes Wort in seinem angestammten Lebensraum gehegt und gepflegt wird, dass es entsprechend mit Nahrung versorgt wird und gleichfalls mit passenden Partnern, damit sie nicht so einsam sind.

Für manche dieser Worte ist ein Reservat notwendig und eine Schutzzone, weil sie entweder erst frisch geschlüpft sind und Raum brauchen zu wachsen und sich zu entfalten, oder weil sie so alt und gebrechlich sind, dass es schon die Pietät verlangt, ihnen einen ruhigen Lebensausklang zu gönnen. Doch vor allem trete ich dafür ein, dass sie nicht ständig überfordert oder überladen werden, aber auch nicht gering geschätzt oder verachtet, nur, weil sie an ihre wirkmächtigeren Verwandten nicht oder nicht mehr heranreichen.

Ich fordere gleiches Recht und Zuerkennung der gleichen Würde für jedes Wort. Und wenn es sein muss, gehe ich für die Durchsetzung dieser Rechte auch in eine Bücherei. Könnte nur sein, dass ich beim ersten interessanten Buch, das mir in die Hände fällt, darauf vergesse, aber es ist ja auch noch morgen möglich.

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Hansjuergen Gaugl

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