Ein Drittel der Schüler, die ihre Schule verließen, wären verloren, erklärte die Direktorin einer NMS in Wien in einem Kurier-Interview. Dennoch ging kein Aufschrei durch das Land. Vielmehr wurde diese Meldung geduldig hingenommen, denn was soll man Lamentieren über etwas, das wir sowieso schon längst wissen. Sollen doch gefälligst Deutsch lernen, dann geht das schon. Oder sie sollen sich ein wenig mehr anstrengen, dann klappt das auch. Damit ist der Fall erledigt, denn wenn sie nicht Deutsch lernen und sich nicht anstrengen, dann sind sie selber schuld. Ganz so einfach ist das nicht, denn jedes dieser Kinder wird noch einige Jahrzehnte leben und den Staat, also uns, lt. OECD-Studie 1,8 Mill. Euro kosten. Ganz abgesehen von der sozialen Komponente, denn in Österreich wird Bildung vererbt. Die Chance einen höheren Abschluss zu erwerben ist in den sogenannten bildungsfernen Schichten relativ gering. Und ja, Ausnahmen gibt es immer. Dennoch ist diese Situation nicht unabänderlich.

Nach wie vor haben wir das Halbtagsschulsystem. Das bedeutet, die Schüler wohnen am Vormittag dem Unterricht bei, verlassen die Schule, um am Nachmittag die Hausaufgaben zu erledigen und zu lernen. Im Idealfall ist die Mama oder eine andere Bezugsperson verfügbar, die den Schüler bei der Verrichtung dieser Tätigkeit unterstützt und auch für eine warme Mahlzeit sorgt. Darauf ruht dieses System, auf einem Ideal, das es nicht mehr gibt, denn zugeschnitten ist es auf eine Zeit, in der die Frau Mama den Sprössling zu Hause erwartete. Nun müssen aber die Mütter, denen nach wie vor die Hauptlast der Erziehungsarbeit aufgebürdet wird, ihrerseits arbeiten gehen und stehen nicht zur Verfügung. Hat nun der Schüler Defizite, so steht er damit alleine. Was aber nun, wenn der hoffnungsvolle Nachwuchs in einem Haushalt heranwächst, in dem die deutsche Sprache nicht beherrscht wird? Das bedeutet, dass die Anstrengungen, die mit Zusatzlehrern am Vormittag mühsam erarbeitet wurden, am Nachmittag wieder verloren gehen. Aber es betrifft nicht nur solche Familien, sondern auch jene, in denen immer weniger gesprochen wird und nicht einmal mehr der Trend zum Zweitbuch herrscht. Dazu kommt dann noch eine gewisse Resignation gegenüber der Gesellschaft, der Leistungsgesellschaft, zu der immer mehr keinen Zugang finden. So kommt es zu einer Vererbung des Sozialhilfestatus, und die ÖVP hält eisern am Gymnasium fest, nicht, weil das humanistische Bildungsideal hochgehalten würde, sondern um die sozialen Barrieren aufrechtzuerhalten. Abgesehen davon, dass ich vor einiger Zeit darüber belehrt wurde, dass im Gymnasium nicht Bildung, sondern Ausbildung stattfindet, was doch auch recht bezeichnet ist. Es ist die bestehende Angst des Mittelstandes mit dem Pöbel in Berührung zu kommen. Allerdings ist auch das weithin bekannt – und noch immer gibt es keinen Aufschrei von Seiten der Bevölkerung. Von Seiten der Politik wird sowieso nur um Kompetenzen gerangelt. Dabei geht es ja bloß um die Zukunft unserer Kinder. Also quasi eine Lappalie.

Die einzig wirkliche, zielführende Lösung wäre – und auch das ist nichts Neues – die Einführung einer flächendeckenden, gemeinsamen Schule während der gesamten Pflichtschulzeit in einer qualifizierten Ganztagsform. Aufhebung der Klassenverbände, zugunsten eines Förderungs- und Forderungssystems, das einerseits die Eltern als Hilfslehrer aus der Pflicht nimmt, und andererseits ermöglichte, dass kein Kind die Schule verlässt, ohne, dass es grundlegender Kulturtechniken wie Schreiben, Lesen und Rechnen entbehrte. Die Möglichkeit der Fokussierung auf die vorhandenen Talente und Defizite des einzelnen Schülers wäre gegeben. Jedes einzelne dieser Kinder hat das Potential einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen, so man ihm die Möglichkeit gibt und auch das nötige Selbstbewusstsein. Das entsteht allerdings durch Erfolge, die es selbst erringt.

Eine Bildungsreform wäre dringend erforderlich, aber bitte eine, die endlich daran denkt, dass es um die Zukunft unserer Kinder geht, und damit um die Zukunft der Gesellschaft.

6
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Monikako

Monikako bewertete diesen Eintrag 17.03.2016 16:53:10

sisterect

sisterect bewertete diesen Eintrag 16.03.2016 12:52:18

Erkrath

Erkrath bewertete diesen Eintrag 16.03.2016 11:44:20

Grexi

Grexi bewertete diesen Eintrag 16.03.2016 09:39:42

gigimannheim

gigimannheim bewertete diesen Eintrag 16.03.2016 09:22:13

Paradeisa

Paradeisa bewertete diesen Eintrag 16.03.2016 07:58:19

54 Kommentare

Mehr von Daniela Noitz