Neulich passierte es mir wieder. Wohl kann ich mir zugestehen, dass ich mich immer besser im Griff habe, aber ganz fehlerfrei und perfekt bin ich immer noch nicht, und deshalb gibt es ab und an noch Ausrutscher. Feierlich gelobe ich Besserung. Es ist wieder passiert. Ich stand in der Küche und kochte. Das ist überaus praktisch das in diesem Raum zu tun. Ausnahmsweise stand mein Sohn neben mir und wir unterhielten uns. Und da passierte es. Ich weiß schon, ich sollte ja nicht. Ich tat es trotzdem, ich machte einen Spaß. Sofort erstarrte ich. Schon wieder hatte ich meinen hehren Erziehungsauftrag verraten, missbraucht, um nicht zu sagen veruntreut. Wie immer in dieser Situation fiel mir mein legendärer Ausrutscher ein, der wohl schon Jahre zurücklag.

Damals waren die Kinder noch recht klein und ich arbeitete halbtags. Eines Tages konnte ich es nicht vermeiden am Nachmittag Termine zu haben, so dass ich erst um vier nach Hause kam. Und weil wir es gewohnt waren gingen wir spielen. Um acht kam mein Mann nach Hause. Er fand uns immer noch spielend vor. Völlig entsetzt – und das zurecht – fragte er mich, ob ich denn nicht wisse wie spät es ist. Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich wusste es nicht. Als er mich darauf hinwies, brach ich völlig in mich zusammen. Es war bereits so spät und wir spielten einfach, als gäbe es kein Morgen. Was für ein Vorbild war ich? Was für eine Mutter? Acht Uhr, und die Kinder hatten noch nicht gegessen, waren nicht gewaschen, noch gekämmt, noch nicht im Bett. Völliges Chaos. Gänzliche Verwahrlosung. Sofort würde ich meinen Abschluss als Mutter zurückgeben müssen. Gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, ich hatte ja gar keinen.

Der Vorfall brannte sich ein, und gemahnte mich nun jedes Mal, Erziehung darf nicht Spaß bedeuten, schon gar nicht Lebensfreude. Denn ich habe die verdammte Pflicht meine Kinder auf das Leben vorzubereiten, und das ist kein Honigschlecken. Ernst muss es zugehen, und diszipliniert und moralisiert. All das hatte ich wieder einmal vergessen, so dass ich mich zu diesem Spaß hinreißen ließ. Und mein Sohn, er reagierte sofort, quittierte meinen Scherz mit einem Ausdruck, dass er es verstanden hatte, indem er „Lol“ sagte. Misstrauisch sah ich ihn an. Tatsächlich sagte er, „Laughing out loud“, also „Laut loslachen“, aber er verzog dabei keine Miene. In dem Moment wusste ich, ich hatte alles richtig gemacht, denn in geradezu viktorianisch anmutender Gleichmut hatte er meinen Scherz hingenommen. In diesem Moment hätte jede Engländerin jener Epoche sinnbildlich das Taschentuch zum Auge geführt, um anzuzeigen, dass sie sich ein kleines Tränchen wegtupfen müsse, ein Tränchen der Rührung über so viel Contenance und Selbstbeherrschung.

Da sind wir jenen sogar voraus. Während im viktorianischen England ein Lächeln noch angedeutet werden musste, damit die Heiterkeit verstanden wurde, müssen wir nur noch drei Buchstaben murmeln, und alles ist klar. Ich war gerührt, auch ohne Taschentuch. Kinder sind wirklich viel robuster, als wir ihnen oft zutrauen. Selbst diese Schändlichkeiten meiner fehlerhaften Erziehung konnten ihnen nichts anhaben. Verzweifelt suchte ich nach der passenden Abbreviation, fand aber auf die Schnelle nur „OMG“, was sich durchaus nicht so leicht spricht wie „Lol“, aufgrund des fehlenden Vokals, aber trotz Holprigkeit nickte mein Sohn nur bedächtig, zum Zeichen, dass er mich wohl verstanden hatte und mir zugestand im Jugendidiom nicht so sehr bewandert zu sein. Völlige Harmonie herrschte, und rechtzeitig um zwei Uhr stand das Essen auf dem Tisch. Und das ist es ja wohl worauf es ankommt.

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Silvia Jelincic

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Veronika Fischer

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