Daniela Noitz

Er tut sich gerade am Heu gütlich, als ich die Weide betrete. Völlig vertieft in sein Tun wirkt er, doch für den aufmerksamen Beobachter ist klar, dass er mein Kommen längst bemerkt hat, denn ein Ohr ist in meine Richtung gewendet. Obwohl er unbeirrt weiter frisst, verfolgt er meine Schritte. Direkt gehe ich auf ihn zu. Wachsam bleibt das Ohr. Beständig in Arbeit das Maul. Heu aus dem aufgehängten Sack zupfen, kauen, schlucken.

Ich streiche ihm wohlwollend über den Hals. Er fühlt sich warm und weich an. Tatsächlich, ein kurzer Blick auf mich. Ein Wiedererkennen. Er wendet sich aber sofort wieder dem Heu zu. Er ist sich jetzt sicher, dass ich was mit ihm vorhabe. Schnell noch fressen. Dann lege ich ihm den Halfter an. Er lässt es geschehen. Dann kann er schon wieder weiterfressen. Erst als ich den Strick am Halfter befestige und ihn sanft vom Heusack wegziehe, weiß er, dass ich es ernst meine. Rasch noch einmal zupfen. Ein Schwanken zwischen Folgen oder Bleiben. Er entscheidet sich dafür mitzugehen. Erst als wir das Tor hinter uns lassen, geht sein Blick zurück, zum Heusack, zu den Gefährten.

„Warum holst Du mich weg, von der Weide, vom Heusack, von meinen Gefährten?“, scheint er sich zu fragen, „Ich hatte noch so viel vor, und Du holst mich weg. Warum sollte ich mitgehen, einen Weg gehen, den Du bestimmst und nicht ich? Ich wäre ja gar nicht weggegangen, so lange es etwas zu fressen gibt und meine Herde. Es besteht kein Grund wegzugehen.“

„Warum hole ich Dich von der Weide, vom prall gefüllten Heusack und von Deinen Gefährten, weg auf einen Weg, der mich doch wieder nur zurück führt?“, frage ich mich, „Ich habe alles stehen und liegen gelassen, einfach so, bloß um hierher zu kommen, einen Esel von der Weide wegzuholen und mit ihm fortzugehen, bloß um wieder genau hierher zurück zu kommen. So viel Arbeit. So viel zu tun. Immer. Die Zeit wird mir abgehen. Ich hätte in der Zeit manches erledigen können, das jetzt liegen bleibt. Eigentlich hätte ich weiter laufen sollen, im Rad, immer weiter. Es ist schon beinahe anstößig all das Notwendige zu verschieben, bloß um einen Esel von der Weide wegzuholen und mit ihm von einer Stelle wegzugehen und zur selben zurückzukehren.“

Aufmerksam wendet er mir jetzt beide Ohren zu. Der Blick geht noch einmal zurück. Ein letzter Versuch, den Kopf gesenkt um das Gras am Wegrand abzurupfen, doch da kommt ein kurzer Zug am Strick, und er weiß, dass wir jetzt gehen und nicht stehen und Gras abzupfen. Ein paar Schritte weiter probiert er es noch einmal, probiert so lange, bis er davon überzeugt ist, dass ich es ernst meine mit dem Gehen. War ich mir denn sicher? Wollte ich wirklich gehen? Er probiert, weil er meine eigene Unsicherheit spürt, doch dann, mit einem Mal gehen wir einfach, einen Schritt um den anderen. Die Weide ist nicht mehr zu sehen. Sie liegt außerhalb unserer Wahrnehmung. Die Arbeit, die wartet und nicht wegläuft, liegt hinter mir. Sie entschwindet meinen Gedanken. Ich bin angekommen. Die Hände am Strick, gehe ich, Huf an Fuß. Esel mit Mensch. Gleichmütig gehen wir nebeneinander her. Fast im Gleichklang. Den Kopf hat er gesenkt und geht. Ich sehe die Landschaft und das was mich umgibt. Wortlose Entsprechung. Vier Hufe und zwei Füße. Ich beginne zu sehen, die Blätter am Boden und den Weg, dem wir folgen, die Sonnenstrahlen zwischen den Blättern und die Bäume, wie sie sich gen Himmel erheben. Ich spüre das Einverständnis, das zwischen uns herrscht. Es ist nicht mehr wichtig, was sonst ist. In dem Moment ist es nicht wichtig und darf nicht wichtig sein, denn jetzt sind wir hier und gehen. Wir haben uns eingelassen, auf den Weg, auf uns und aufs Hier-sein. Die Gedanken, die wild durcheinanderwirbelten, beruhigen sich, setzen sich ab und die Verbundenheit mit dem Gegebenen umfängt mich. So gehen wir, einfach weil wir gehen. Nichts weiter, und doch vielleicht näher am Sein, am Leben selbst als in der Zerrissenheit des Alltags. Schritt um Schritt. Huf an Fuß. In aller Ruhe. In aller Stille.

Erst als die Weide wieder in sein Blickfeld kommt, da will er zurück, zum Heusack, zu den Gefährten. Sobald das Halfter und der Strick weg sind, läuft er, seiner Freude lautstark Ausdruck verleihend zu den anderen. Ich sehe ihm noch nach.

Es ist gut wegzugehen. Es ist gut anzukommen.

(Wer es selbst ausprobieren möchte, mit dem Esel zu gehen, der kann das hier machen: www.hof-sonnenweide.at)

Daniela Noitz

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Paradeisa

Paradeisa bewertete diesen Eintrag 15.01.2016 09:00:00

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