Die sündigen, vertuschten und abgeschobenen Kriegskinder

Ich war am Wochenende auf einer Free Games Convention im Museumsquartier. Und bei dieser präsentierte eine Norwegerin ein edutainment-Computerspiel, das sich mit Lebensborn-Kindern und Tyskerbarn-Kindern in Norwegen beschäftigte.

Tyskerbarn sind Deutschenkinder, also Kinder von einem deutschen Vater und einer norwegischen Mutter. 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht Norwegen, und in der Folge gab es zahlreiche Beziehungen zwischen deutschen Wehrmachtssoldaten und norwegischen Frauen.

Allerdings hatten diese Kinder nach dem Weltkrieg sehr oft Phänomenen wie Diskriminierung gegenüberzustehen. Auch die (norwegischen) Frauen, die sich damals mit Deutschen einliessen.

Ein ähnliches Phänomen gab es auch in Frankreich, das dort horizontale Kollaboration genannt wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Horizontale_Kollaboration

In Frankreich gab es den Begriff der "enfants maudits" (der "verdammten Kinder" ) für die Kinder aus Beziehungen zwischen Französinnen und deutschen Soldaten.

In Norwegen gab es den Begriff der tyskertos, der "Deutschenhure" oder des "Deutschenflittchens" für diejenigen Norwegerinnen, die sich mit deutschen Soldaten einliessen.

Auch in der Vergangenheit meiner eigenen Familie gab es ähnliche Phänomene, die kaum thematisiert wurden und die teilweise bis heute kaum aufgearbeitet sind.

Ich habe beispielsweise erst bei der Beerdigung meiner Großmutter erfahren, dass ich noch eine zusätzliche Tante bzw. Halbtante hatte, die mir meine Familie jahrzehntelang verschwiegen hatte.

Im Weltkrieg wurde mein Großvater zur Wehrmacht eingezogen, und meine Großmutter, eine Bäurin, hatte wegen der Schwierigkeiten, alleine ohne ihren Mann den Hof zu führen, entweder einen Knecht oder einen Kriegsgefangenen zur Unterstützung bekommen.

Aus dieser Konstellation entstand ein außereheliches Kind.

Gerade im Katholizismus ist das extrem gefährlich, weil es sich ja rein theologisch betrachtet um Ehebruch handelte, um ein sündiges, ehebrecherisches Kind, dessen Anwesenheit ja an den Ehebruch und die Sünde erinnerte.

Nach dem, was ich in Erfahrung bringen konnte, wurde dieses Kind (also meine Halbtante) nach dem Krieg und nach der Rückkehr meines Großvater weggebracht.

Ich habe alle Verwandte, alle Onkel und Tanten, also alle Vollonkel und Volltanten gut kennengelernt und hatte intensiven Kontakt mit ihnen, allerdings mit meiner Halbtante nicht; sie habe ich nur ein einziges Mal gesehen, bei der Beerdigung meiner Großmutter, und auch beim Leichenschmaus danach nicht, an dem sie nicht teilgenommen hatte, weil die Stimmung innerhalb der Familie zu kontroversiell war.

Auf meine Großmutter schien die Trennung von einem ihrer Kinder keinen wesentlichen Einfluss gehabt zu haben: sie hatte noch zahlreiche sonstige Kinder, die sie lieben konnte.

Aber mein Vater behauptete bei der Beerdigung meiner Großmutter, meine Halbtante sei "verhärmt" durch ihr Trennungsschicksal und das, was ihr in weiterer Folge passierte. Es kann stimmen, dem Eindruck nach.

Mein Vater, der ansonsten gelegentlich ein ziemlich widerlicher Kerl sein konnte, hat sich in dieser Situation, wie in vielen anderen auch, aus meiner Sicht großartig verhalten und sich intensiv um meine Halbtante gekümmert.

Er war der älteste Sohn gewesen und hatte mit meiner Halbtante zusammengelebt und zusammengespielt, während meine jüngeren Onkels und Tanten, die erst nach dem Weltkrieg und nach Wegbringung meiner Halbtante geboren worden waren, von meiner Halbtante vielleicht genauso wie ich erst bei der Beerdigung meiner Großmutter ca. 40 Jahre nach dem Weltkrieg erfahren hatten.

Ich empfand das ganze irgendwie als Skandal: meine eigene Familie hatte mir jahrzehntelang eine zusätzliche Tante verschwiegen.

Viele dieser Kriegskinder haben etwas gemeinsam: ihnen erging es im Krieg und in der Nazizeit besser als im Frieden und in der Postnazizeit, in vom "antifaschistischen" Grundkonsens geprägten Gesellschaften.

In Frankreich und Norwegen setzte die Aufarbeitung und Rehabilitierung der Deutschenkinder bzw. der "Deutschenfrauen", die oftmals auch als "Deutschenhuren" ("tyskerhore" ) oder so ähnlich bezeichnet wurden, in den 1990er Jahren ein.

Unmittelbar nach dem Krieg wurden Vielen dieser sogenannten "Deutschenhuren" die (z.B. norwegische) Staatsbürgerschaft entzogen und die wurden praktisch nach Deutschland vertrieben, auch wenn sie kein Deutsch sprachen.

In Frankreich wurden einige dieser "Deutschenhuren" standrechtlich erschossen, nicht weil sie Kriegsverbrechen begangen hatten oder Ähnliches, sondern einzig und alleine deswegen, weil sie eine sexuelle Beziehung mit einem deutschen Soldaten gehabt hatten.

Eine (dänische) tyskertos sagte einmal: "Wir Frauen wurden schlechter behandelt als die Deutschen selbst".

Eine der bekanntesten Tyskerbarn ist die Sängerin der schwedischen Popgruppe ABBA, Anni-Frid Lyngstad.

Sie kam 1947 als Kleinkind nach Schweden, bzw. ihre Verwandten mussten wegen der tyskerbarn-Problematik nach Schweden fliehen. Im neutralen Schweden wurden alle diese Dinge weniger heiss gekocht.

Lyngstad lernte ihren Vater erst 1977 kennen, nach Berichten und Recherchen der Jugendzeitschrift "Bravo". Sie hatte geglaubt, bzw. ihr war gesagt worden, vielleicht um besser abschliessen zu können, ihr Vater sei am Ende des Krieges getötet worden.

ABBA, "The winner takes it all, the loser´s standing small beside the victory". "The winner takes it all, the loser has to fall".

Dieses Lied hat einen seltsam melancholischen Unterton und depressiven Gestus für einen Popsong.

Von der Thematik her ähnelt es dem "Vae victis!" (Wehe den Besiegten!" ) aus der klassischen lateinischen Antike.

„Vae Victis“ geht auf einen Bericht des Livius über den Gallierkönig Brennus zurück. Nach seinem Sieg über die Römer warfen diese ihm vor, bei der Auswägung der auferlegten Kriegskontribution zu schwere Gewichte zu benutzen. Daraufhin soll Brennus mit diesen Worten auch noch sein Schwert in die Waagschale geworfen haben, so dass die Römer nun sogar noch mehr Gold zahlen mussten. Der Ausspruch wurde sprichwörtlich und wurde später etwa von Plautus und Plutarch zitiert. Der materielle Schaden für das Römische Reich war weitaus geringer als der immaterielle, denn das Selbstbewusstsein der Römer war erschüttert.

Von dieser Begebenheit stammt auch: „Sein Schwert / etwas in die Waagschale werfen“.

ABBA wurde sehr oft als unpolitische und triviale Popgruppe beschrieben, aber vor diesem Hintergrund hat das vielleicht einen subversiv-politischen Aspekt, der bislang viel zuwenig thematisiert wurde, so weit ich das sehe. Mit anderen Worten: das ABBA-Lied von 1980 könnte in der Zeit vor der Rehabilitierung der "Deutschenhuren" eine Art Metapher für eine Kritik an der Siegerjustiz sein, wie sie nach Kriegen mit eindeutigen Ausgängen üblich ist. Hier ähnelt die angebliche Demokratie den totalitären Systemen: je größer der politische Druck und die Zensur, umso subtiler sind die Metaphern und Umgehungen.

In eine ähnliche Richtung geht auch Elisabeth Noelle-Neumanns "Schweigespirale", praktisch zeitgleich mit dem oben erwähnten ABBA-Song geschrieben.

Die Entwicklerin dieses edutainment-Spiels bzw. Präsentatorin war Catharina Due Bøhler.

https://www.facebook.com/catharina.lupo

Video leider in Norwegisch

Eine wesentliche Problematik dieser tyskerborn-Kinder ist auch die psychische: zahlreiche dieser Deutschenkinder endeten in der Psychiatrie, wahrscheinlich, weil sie aus politischen Gründen Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt waren.

So gesehen positiv, dass Anni-Frid Lyngstad geflüchtet ist von Norwegen nach Schweden.

Besser vertreibene ABBA-Sängerin in Schweden als unbekannte norwegische Pyschiatrie-Insassin.

http://www.mychildlebensborn.com/

http://decoyed5.rssing.com/chan-4040629/latest.php

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