In der Krone-Bunt vom Sonntag findet sich ein Beitrag zum Thema "Fake News, Alternative Fakten, Postfaktisch, Ist das wirklich alles neu ?" von Kneissl.

Darin wird behauptet, der Irakkrieg des Jahres 2003 würde auf konstruierten Fakten fußen. Das ist selbst (zum Teil) ein konstruiertes Faktum.

Die Wahrheit ist wie so oft komplexer, aber Medien vereinfachen eben, um es den Lesern leicht zu machen, um mehr Auflage zu verkaufen, um eine möglichst spektakuläre Headline zu haben.

Die Wahrheit ist vielmehr:

Saddam Hussein, der Herrscher des Irak bis 2003/2004 war einer der übelsten Despoten des arabischen Raums, der mehrmals militärisch expansiv geworden war: 1980-1988 gegen den Iran, 1990 gegen Kuwait.

Die Behauptung von Bush., Blair & Co., der Irak des Saddam Hussein sei im Besitz von Massenvernichtsungswaffen, war nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Saddam Hussein, der Stalin als sein Vorbild bezeichnet hatte, hatte immer wieder eine Vorliebe für Massenvernichtungswaffen gezeigt: 1988 hatte er Giftgas (Senfgas, Sarin) gegen die überwiegend von Kurden bewohnte Stadt Halabdja eingesetzt (er selbst und sein Gefolge war sunnitisch gewesen, sein Regime benachteiligte bzw. verfolgte die beiden anderen wesentlichen Bevölkerungsgruppen, nämlich Schiiten und Kurden, mit drastischen Methoden). Sein Cousin Hassan Al Madschid (Spitzname: Chemical Ali) hatte auch Giftgas eingesetzt, nämlich gegen die Schiiten des Südens. Deutschland hat eine hervorragende Chemieindustrie, und deutsche Konzerne bzw. Firmen hatten gute Geschäfte gemacht, indem sie Giftgas an den Irak des Saddam Hussein geliefert hatten. Manche behaupten, der Grund, warum sich die damalige deutsche rot-grüne Bundesregierung Schröder-Fischer aus dem Irakkrieg herausgehalten hatte, seien erstens Wahlkampfgründe und zweitens die Chemiegeschäfte / Giftgasgeschäfte gewesen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Saddam_Hussein

https://de.wikipedia.org/wiki/Ali_Hasan_al-Madschid

(der auch wegen Chemiewaffeneinsatzes zum Tode verurteilte Ali Al Madschid, Spitzname: Chemical Ali; Copyright: wikipedia if any)

https://de.wikipedia.org/wiki/Halabdscha

Aber Saddam Hussein hatte vor der Verhängung der Irak-Sanktionen auch über ein großes Arsenal an Raketenwaffen verfügt. Davon hatte er zahlreiche im zweiten Golfkrieg (rund um Kuwait 1990/1991) auf Israel und auf Saudi-Arabien abgeschossen. Wohl, wei beide mehr oder weniger US-Verbündete gewesen waren und die USA die führende Macht der Anti-Saddam-Koalition gewesen waren. Krone / Kneissl verschweigt übrigens, dass sich die halbe EU unter den Verbündeten der USA befanden, darunter Spanien, Italien, Großbritannien, Polen, Tschechien, etc.

Die Frage, ob Saddam Hussein Atomwaffen wollte, ist umstritten: er liess 1976 mit französischer Hilfe einen Atomreaktor bauen, der 1980 bzw. 1991 durch israelische Luftangriffe zerstört wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Osirak

(Flugroute der israelischen Kampfjets bei der Bombardierung des irakischen Atomreaktors Osirak 1980; Copyright Wikipedia if any; die Flugroute führte um Jordanien herum; dahinter stand möglicherweise die israelische Befürchtung, Saddam Hussein bzw. der Irak würde das militärisch schwächere Jordanien angreifen, wenn die Flugroute über Jordanien führen würde)

Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 waren Wirtschaftssanktionen verhängt worden, die 12 Jahre lang das Ziel, Saddam Hussein zu stürzen, nicht erreicht hatten. Der Irakkrieg des Jahres 2003 hat diese Sanktionen beendet und war so gesehen eine Erleichterung für die Bevölkerung im Irak. Die von den besetzenden / befreienden Mächten beschlossene Föderalisierung des Irak bedeutete insbesondere für die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden einen Freiheitsgewinn. Der Nachbar Iran, der jahrzehntelang die schlechte Lage der schiitischen Glaubensbrüder unter der Terrorherrschaft des Saddam Hussein im Südirak beklagt hatte, machte übrigens das Erwartbare nicht: der schiitische Iran bedankte sich nicht bei den USA und der Koalition der Willigen für die Befreiung der schiitischen Brüder im Südirak, sondern begann im Gegenteil über Stellvertreter eine Terrorkampagne gegen den Irak, weil die dortige Freiheit und der dortige Föderalismus eine Bedrohung für das schiitisch-zentralistische Mullah-Regime des Iran war.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Golfkrieg

Der zweite Golfkrieg war übrigens einer der extrem seltenen Fälle, dass der UNO-Sicherheitsrat, der normalerweise immer durch das Veto eines der großen Fünf (USA, GB, F, R, Ch) blockiert ist, in einer wichtigen Frage eine gemeinsame Entscheidung traf, die allerdings nur sehr begrenzt war: Befreiung Kuwaits, Wiederherstellung des status quo ante, der allerdings auch prekär gewesen war, mit einem reichen, aber schwachen Kuwait, aber einem militärisch starken, wegen des Iran-Irak-Kriegs stark verschuldeten Irak, noch dazu unter Führung von Saddam Hussein, der schon mehrere Kriege begonnen hatte.

Die Entstehung des "Islamischen Staats" war keineswegs eine reine Folge des Irakkriegs, so wie von Krone/Kneissl behauptet: die Forderung des IS nach Wiedereinführung des Kalifats ist ein relativ zugkräftiges Thema für viele Sunniten, seit Kemal Atatürk in den 1920er Jahren als türkischer Präsident das Kalifat abschaffte. Die Entscheidung des Irak-Verwalters Paul Bremer, die irakische Armee aufzulösen, hat sicher zum Wachstum des Islamischen Staats beigetragen, aber diese isolierte Entscheidung hätte man auch anders treffen können, ohne den Irakkrieg nicht durchzuführen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Bremer

Den Vergleich, den Krone / Kneissl zwischen dem Irakkrieg und dem Satire-Film "Wag the dog", in dem ein US-Präsident als Ablenkungsmanöver eine Kriegsinszenierung am Balkan veranlasst, zieht, finde ich deplatziert.

Ganz abgesehen davon ist der Balkan, der der Kriegsschauplatz bzw. Kriegsinszenierungsschauplatz in "Wag the Dog" ist, als Region, wo drei Kulturen aufeinanderprallen (Westchristentum, Ostchristentum, Islam), so ähnlich wie Huntington das beschrieb, tatsächlich eines der Problemgebiete der europäischen und der Welt-Politik, und das nicht erst seit dem Balkankrieg von 1912 /1913, der quasi ein Vorspiel zum ersten Weltkrieg war.

https://de.wikipedia.org/wiki/Balkankriege

https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington

Vielleicht wollte Robert De Niro, der in seinem Leben zahlreiche Gewaltfilme gemacht hatte, nur eine ebenso krasse Übertreibung in die andere Richtung liefern, um sein Image zu korrigieren.

Auf jeden Fall kann bzw. muß man Hollywood eines vorwerfen: es hat nie einen halbwegs ernstzunehmenden Film gemacht über einen Völkermord, der durch Nicht-Handeln eines US-Präsidenten bzw. der Weltgemeinschaft möglich wurde, wie z.B. dem Völkermord in Ruanda 1994, bei dem ca. 850.000 Menschen getötet wurden und die USA bzw. die Weltgemeinschaft nicht intervenierte. Gerade der Völkermord in Ruanda von 1994 war von der Tendenz her genau umgekehrt, wie der 1997 entstandene Film "Wag The Dog". Hollywood schafft sehr oft seine eigene Realität, die von der wirklichen Wirklichkeit meilenweit entfernt ist. Aber das ist möglicherweise ein Spezifikum vieler Kunstarten.

Zirka ein Jahr NACH (!!!) dem Film "Wag the dog !" ordnete US-Präsident Bill Clinton während des Impeachment-Verfahrens gegen ihn wegen der Lewinsky-Affäre einen Angriff auf den Irak mit zahlreichen Marschflugkörpern und anderen Waffen an. Dieses Szenario erinnerte tatsächlich an den vorherigen Film "Wag the dog !", sodass sich die Frage stellt, ob Clinton ohne den Film den späteren Angriff UNTERLASSEN hätte. Der Film war möglicherweise eine vorauseilende Entschuldigung für die sich schon ankündigende Untersuchung in Zusammenhang mit der Lewinsky-Affäre. Der Film "Wag the dog !" (1997) und der darauf folgende Angriff auf den Irak während des Impeachment-Verfahren ist daher möglicherweise ein Beispiel dafür, dass Medien (und die Hollywood-Filmindustrie ist ein Medium) die Wirklichkeit nicht beschreiben, sondern verändern.

https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_in_Ruanda

(Schädel von Opfern des Völkermords in Ruanda 1994, Nyamata-Gedenkstätte; die Weltgemeinschaft bzw. der Westen hätte diesen Völkermord verhindern können, tat aber gar nichts. Diese Untätigkeit des Westens bzw. der Weltgemeinschaft wurde nie verfilmt und auch sonst kaum thematisiert; ein krasser Fall von Falschdarstellung der Wirklichkeit)

Hollywood ist vielfach eine linksliberale, kritische bis überkritische Kraft mit einem einseitigen Blick.

Und dass US-Präsidenten Scheinkriege inszenieren könnten, um von Seitensprüngen abzulenken, wie in "Wag the dog" nahegelegt, könnte man einfach dadurch verhindern, indem man Seitensprünge von Präsidenten weniger dramatisch sieht. So gesehen kann man "Wag the Dog" auch als Kritik am US-Puritanismus sehen, und weniger an der angeblichen Inszenierung von Scheinkriegen.

Doch zurück zum Irakkrieg: die völkerrechtliche Legitimation des Irakkriegs war eigentlich relativ gut verglichen mit dem Kosovo-Krieg von 1999 oder der Erschiessung von Osama Bin Laden 2011.

https://de.wikipedia.org/wiki/Resolution_1441_des_UN-Sicherheitsrates

Die Haltung Frankreichs bzw. des damaligen französischen Präsidenten war durchaus dubios. Er setzte sich für eine Aufhebung des Embargos aus, wohl in der Hoffnung, dadurch mit Saddam Hussein und dem Irak eine Art Stützpunkt bzw. eine Art Kolonie im Nahen Osten zu haben, eine Politik, die er nur betreiben konnte, weil Frankreich wegen der Rolle eines der Sieger im Zweiten Weltkrieg das problematische Privileg des Vetorechts im UNO-Sicherheitsrat hat. Dieses Vetoprivileg der Großen Fünf bedeutet in der Praxis, dass jeder der Großen Fünf (USA, GB, Fra, Russl, China) sich zur Schutzmacht für jedes noch so verbrecherische Regime aufschwingen kann, durch Verwendung des Vetorechts. So gesehen müßte der UNO-Sicherheitsrat wegen des ziemlich blödsinnigen Vetoprivilegs der Großen Fünf und seiner potenziellen Schutzwirkung für Verbrecherregimes eigentlich Unsicherheitsrat heissen. Das Vetorecht im UNO-Sicherheitsrat sollte meiner Meinung nach langfristig abgeschafft oder abgeschwächt oder modifziert werden.

Dennoch hat der Irakkrieg 2003 zu einer Antagonisierung Russlands und Chinas beigetragen, die dann zu einer Revanche im Ukrainekrieg und im Syrienkrieg beitrug. Allerdings haben auch der Kosovokrieg 1999 und die Anerkennung des Kosovo 2006 (in Verletzung der Unverletzlichkeit der Grenzen, wie von der KSZE in den 1970er Jahren beschlossen; auch Österreich anerkannte die Abspaltung des Kosovo) und die völkerrechtswidrige Erschiessung von Osama Bin Laden Pakistan 2011 (die Obama-Administration hatte weder ein UNO-Sicherheitsratmandat noch eine Erlaubnis der Regierung in Pakistan) und vieles andere mehr zu einem wachsenden Misstrauen Russlands und Chinas gegenüber dem Westen beigetragen. Die Frage, ob Bush Putin oder China eine Besatzungszone im Irak angeboten hatte, wurde von Journalisten nie gestellt (derartige Besatzungszonen wären eine Möglichkeit, Spannungen zwischen den Großen Fünf Vetomächten zu verringern).

Zum Abschluss noch eine Verteidigung der von Kneissl/Krone kritisierten Donald-Trump-Sprecherin und -Beraterin Kellyanne Conway: diese hatte im Zusammenhang mit den Inaugurationsfeiernteilnehmerzahlen von "alternativen Fakten" gesprochen, die den Unterschied erklären können.

Tatsächlich hatte Barack Obama die fast völlige Unterstützung der US-Medien und aus Europa, während Donald Trump die fast vollständige Gegnerschaft der US-Medien und aus Europa hatte, was auch eine Erklärung dafür sein könnte, warum bei der Inauguration von Trump weniger Leute anwesend waren als bei der Inauguration von Barack Obama. So gesehen war die These von Conway, es gebe "alternative Fakten", die den Unterschied erklären, nicht völlig aus der Luft gegriffen, obwohl sie dafür unglaublich heftig durch den Kakao gezogen, geshitstormed und mit totalitären Systemen a la Orwells "1984" verglichen wurde.

Auf der anderen Seite könnte man es auch als totalitär betrachten, wie einseitig die Berichterstattung über Conway, die "alternativen Fakten" und die Inaugurationsteilnehmerzahlen waren, auch wie sehr diese Inaugurationsteilnehmerzahlendebatte zahlreiche andere wichtige Themen aus den Medien und der öffentlichen Debatte verdrängt hatten.

(Trump-Sprecherin Kellyanne Conway; Copyright: wikipedia if any)

Auch was die Grenzöffnung des September 2015 betrifft, so bin ich skeptisch, ob die Angst vor "öffentlich schwer vermittelbaren Bildern" das einzige Motiv, bzw. auch nur das Hauptmotiv war.

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Dieter Knoflach

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Aron Sperber

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