Muss man wegen des Sozialsystems gegen die Zuwanderung sein ?

In rechtsextremen Internetforen kommt immer wieder die Behauptung oder der Eindruck auf, man müsse wegen des Sozialsystems gegen die Zuwanderung sein, bzw. dass die Zuwanderung zwangsläufig zu einer Überlastung des Sozialsystem führen müsse.

Aber diese Aussagen sind krass falsch oder zumindest irreführend.

Wirtschaftswissenschafter wie z.B. Milton Friedman betonten, dass Sozialstaat und Zuwanderung oftmals schwer vereinbar seien, und das ist eine schon wesentlich vorsichtigere Aussage.

Bei der falschen Behauptung, man müsse wegen der zukünftigen Überlastung des Sozialsystem gegen die Zuwanderung sein, bleibt insbesondere offen, was man unter "Sozialsystem" und was man unter "Zuwanderung" versteht.

Es gibt in Wirklichkeit sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten, ein Sozialsystem handzuhaben, ebenso, wie es sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Zuwanderung zu handhaben. Zumindest dort, wo es sich um klassische Zuwanderung handelt, und nicht um wirkliche Flüchtlinge, wie z.B. Kriegsflüchtlinge oder politische Flüchtlinge.

Und diese unterschiedlichen Sozialsysteme haben unterschiedliche Wirkungen und Effekte auf unterschiedliche Gruppen, z.B. auf Inländer und Zuwanderer.

Da Zuwanderer, bzw. Flüchtlinge oft mit nix, also mit gar nix, völlig vermögenslos kommen, hingegen Inländer oft ein, wenn auch kleines Vermögen haben, wirken Sozialsysteme wie die bedarfsorientierte Mindestsicherung zuwandererfreundlich und sozusagen eher inländerfeindlich, insofern, als Inländer - im Unterschied zu zahlreichen Flüchtlingen/Zuwanderen oft ein kleines Vermögen und daher angeblich keinen Bedarf haben.

Hingegen Konzepte wie das bedingungslose Grundeinkommen(BGE)/klassisches Bürgergeld oder das fast bedingungslose Grundeinkommen wirken im Vergleich dazu, eher zuwandererfeindlich/flüchtlingsfeindlich, hingegen inländerfreundlich, z.B. in folgender Hinsicht:

.) weil der Bezieherkreis bei Grundeinkommen größer und breiter ist, kommen auch mehr Inländer in den Genuss.

.) wegen der höheren Bezieherzahl ist bei Aufkommensneutralität (d.h. die Sozialleistungen dürfen nicht mehr kosten) die Höhe des Grundeinkommens oft geringer als bei bedarforientierer Mindestsicherung, weil die Inländer mit geringem Vermögen nicht mehr ausgeschlossen sind vom Bezug. Diese geringere Höhe der Sozialleistung pro Person verringert auch den Pull-Faktor-Effekt oder den optischen Pull-Faktor-Effekt von Sozialsysteme; dieser optische oder unwirkliche Pull-Faktor-Effekt ist im Unterschied zum wirklichen Pull-Faktor-Effekt das, was fälschlicherweise, z.B. von Rechtsextremisten oder rechtsextremistischen oder rechtspopulistischen Parteien für einen Pull-Faktor gehalten wird oder fälschlicherweise als angeblicher Pull-Faktor bezeichnet wird. Man muss immer unterscheiden zwischen wirklicher Sozialmigration und unwirklicher Sozialmigration, also, wenn eine Migration, die gar keine Sozialmigration ist, fälschlicherweise als Sozialmigration bezeichnet wird, z.B. aus wahlpopulistischen Motiven heraus, aus dem Motiv heraus, ausländerfeindliche Stimmung zu schaffen oder von ihr zu profitieren.

.) beim fast bedingungslosen Grundeinkommen (fBGE) fällt zwar die Vermögenprüfung als Kriterium für Sozialleistungserhalt weg, aber dafür gelten Mindestaufenthaltsdauern von z.B. einem Jahr, oder zum Beispiel zehn Jahren, als Kriterien für den Zugang zu Sozialleistungen, bzw. erweiterten Sozialleistungen. Zu den erweiterten Sozialleistungen würde z.B. die bedarfsorientierte Mindestsicherung gehören (dzt. ca. 900-1000 Euro pro Monat), während das Taschengeld für Asylwerber (dzt. ca. 40 Euro pro Monat) zwar zu den geringfügigen Sozialleistungen, aber nicht zu den erweiterten Sozialleistungen gehört. Rechtsextremisten tun sehr oft so, als wären alle Sozialleistungen erweiterte Sozialleistungen und als würden auch Asylwerber ca. 1000 Euro Mindestsicherung bekommen, während sie in Wirklichkeit nur 40 Euro (plus Wohnmöglichkeit) bekommen.

Diese drei Sozialsysteme (Mindestsicherung, BGE, FBGE) unterscheiden sich stark im Bezieherkreis, in der Zuwandererfreundlichkeit, bzw. Inländerfreundlichkeit, und damit zusammenhängend auch in der Attraktivität im Zusammenhang mit Zuwanderung, und dem Pull-Faktor in Hinsicht darauf, dass Sozialsysteme teilweise Zuwanderung erzeugen können, auch wenn es keinesfalls so ist, dass alle Zuwanderung Sozialmigration sei, so wie Rechtsextremisten das oft behaupten.

Der oben angesprochene Milton Friedman war übrigens ein Vertreter der negativen Einkommenssteuer, also eines Konzept, das dem BGE ähnelt und sich von der Mindestsicherung unterscheidet, insofern, als Vermögen kein Ausschlusskriterium für den Erhalt dieser negativen Einkommenssteuer ist.

Das deutsche Regierungs-Konzept des "Bürgergelds" orientiert sich zwar verbal an "Bürgergeld"-Konzepten, die dem BGE stark ähneln, aber es unterscheidet sich auch.

So wurde zum Beispiel die Vermögensgrenze erhöht, aber nicht völlig abgeschafft, wie das bei einem BGE oder einer negativen Einkommenssteuer der Fall wäre.

Ein aufkommensneutraler Umbau des Sozialsystems, also mehr Bezieher bzw. Bezieherinnen und weniger Sozialleistungen pro Person, könnte auch die Problematik beseitigen, dass der Unterschied zwischen Mindestsicherung und Mindestlöhnen oft so niedrig ist (z.B. 100 oder 200 Euro pro Monat, also ein halber oder 1 Euro Differenzlohn pro Arbeitsstunde), dass viele Leute, die zwar arbeiten könnten, gar keine Arbeit mehr suchen, sondern lieber Mindestsicherung kassieren.

Weitere Unterschiede zwischen bedarforientierter Mindestsicherung und BGE sind:

.) Beim BGE fällt die Bedarfsprüfung weg, die Vermögenfeststellung, etc. Das spart Bürokratie.

.) Es gibt beim BGE keine juristisch wackligen Umgehungsfälle, beispielsweise, dass man sein Vermögen verschenkt, um Mindestsicherung erhalten zu können, was Gerichte als illegale und betrügerische Umgehungskonstruktionen einstufen können.

.) bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung gibt es oft Zusatzklauseln, die EU-rechtlich wackelig sind, zum Beispiel, dass man nicht aus der EU-Ausland/nicht-österreichischen EU-Ländern kommen darf, um Mindestsicherung zu beziehen. Diese Urteile, bzw. Verurteilungen wegen Betruges aufgrund von vermuteter Absicht, wegen der Mindestsicherung nach Österreich zu kommen, sind oft juristisch fragwürdig. Man kann annehmen, dass zahlreiche ähnliche Fälle nicht verurteilt werden, eben, weil die Motivfeststellung und Motivnachweisung, wegen Mindestsicherungsbezugs z.B. von Deutschland nach Österreich gekommen zu sein, oft schwierig oder unmöglich ist.

Auch wenn man, vielleicht insbesondere in Österreich den Eindruck haben kann, dass Sozialsysteme unveränderlich seien, so sind sie es dennoch. Und dieser falsche, aber doch irgendwie plausible Eindruck, in Österreich seien die Sozialsysteme unveränderlich und unanpassbar, insbesondere an Migration unanpassbar, kann durchaus zu Politikverdrossenheit und zu Rechtspopulismus führen.

Es mag auch sein, dass ungeschickte schwarz-blaue bzw. türkis-blaue Versuche, das Sozialsystem zu refomieren, die dann wegen Verstosses gegen die Verfassung vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde, dieses falsche Vorurteil, das östererichsiche Sozialsystem sei unveränderbar, schein-bestätigte. Aber paradox scheint es, dass scheinbar die FPÖ heute davon profitiert, wegen Verfassungswidrigkeit gescheitert zu sein.

Die Antwort auf die Frage in der Überschrift ist daher ein klares "Nein". Wegen der Unterschiedlichkeit der Sozialsysteme, wegen Unterschieden im Bezieherkreis sowie Unterschieden in der Sozialleistungshöhe, wegen der Unterschiede bei den sonstigen Bedingungen (z.B. Mindestaufenthaltsdauer), wegen der Unterschiede in den Pull-Faktoren, in den Sozialmogrationsverursachungsfaktoren, muss man natürlich nicht gegen Zuwanderung sein, um eine Überlastung des Sozialsystems zu vermeiden.

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