Die deutsche Bundestagswahl hat stattgefunden und endete mit schweren Verlusten für beide Großparteien (also CDU und SPD).

Die CDU konnte trotz massiven Verlusten von 8,5% ihre Position als stimmenstärkste Partei behalten und dürfte trotz dieser Verluste ihre Position als Kanzlerpartei bzw. Kanzlerinnenpartei behalten, wie von mir in früheren Blogs prognostiziert.

Offen bleibt, in welcher Koalition.

Die SPD hat angesichts der massiven und wiederholten Verluste bei Bundestagswahlen angekündigt, in Opposition gehen zu wollen, was eine gewisse Stimmigkeit hat, auch wenn die Aussagen vieler SPD-Politiker und -innen, der als gescheitert betrachtet werden könnende SPD-Spitzenkandidat Schulz solle die SPD in Opposition führen, als kurios erscheint.

Schulz mag mit seiner Position verhindert haben, dass die Linkspartei die 10%-Marke überschritt, aber das fast völlige Ausrinnen der SPD durch Abwanderung der Zentristen scheint er beschleunigt zu haben.

Die Koalitionsfrage bleibt offen, bzw. offener denn je.

Die CDU/CSU behauptet zwar, nach wie vor an einer Koalition mit der SPD interessiert zu sein, aber wer die SPD derart kaputtkoaliert hat wie die CDU und ihr keine Möglichkeiten zur Profilierung überliess, wenn man vom mehr oder weniger unparteiisch sein müssenden gemeinsamen Bundespräsidenten Steinmeier absieht, darf sich nicht wundern, den Koalitionspartner zu verlieren.

Die Hoffnung von CDU, CSU und FDP auf die Mehrheitsfähigkeit einer schwarz-gelben Koalition hat sich zerschlagen.

Die einzige Möglichkeit wäre eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen, also vier Parteien, was eine Neuigkeit in der deutschen Geschichte wäre, und möglicherweise schwer zu handhaben.

Und CDU/CSU wird möglicherweise angesichts der voraussehbaren, aber von den CDU-Strategen verschwiegenen Probleme, eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden, nichts anderes übrigbleiben, als ihre eigene Koalitionsabsage an die AfD zu brechen.

Die AfD ist die große Gewinnerin der Wahl mit 13% der Stimmen, womit sie erstmals in der Geschichte Platz drei bei einer Bundestagswahl erreicht.

Die Politik von CDU, CSU und SPD, die AfD auszugrenzen und Koalitionen mit ihr auszuschliessen, läßt auch aufgrund österreichischer Erfahrungen (z.B. mit der FPÖ) für die Zukunft eine Fortsetzung des Niedergangs der etablierten Parteien und des Aufstiegs der AfD als wahrscheinlich erscheinen.

Die Politik von CDU und CSU, eine Koalition mit der AfD auszuschliessen und sie als rechtsextrem zu bezeichnen, mag kurzfristig der CDU den Kanzlerinnenposten bewahrt zu haben, aber langfristig tragbar erscheint das Konzept nicht, insbesondere, da die CDU durch diese Politik auch laufend potenzielle Koalitionspartner verliert.

Die Ausgrenzung der AfD steht auch im Widerspruch zur Franz-Josef-Strauss-Doktrin, dass es rechts von CDU/CSU keinen Platz für eine weitere Parteien geben dürfe (Strauss war CSU-Ministerpräsident von Bayern).

Eine Mitte-Rechts-Großpartei, die alle Parteien rechts der Mitte als koalitionsfähig betrachtet bei gleichzeitiger Existenz einer Mitte-Links-Großpartei, die alle Parteien links der Mitte als koalitionsfähig betrachtet, ist eine symmetrische Konstellation mit einer Stabilitätsperspektive.

Die Veränderung der CDU/CSU zu einer Quasi-Linkspartei, die die AfD ähnlich den sonstigen Linksparteien ausgrenzt und als koalitionsunfähig und rechtsextrem bezeichnet, begünstigt nur den Aufstieg der AfD, was vielleicht die Absicht war, schliesslich kann man die AfD ja wegen des Politpersonal, das zu weiten Teilen CDU-Vergangenheit bzw. CSU-Vergangenheit hat, wie zum Beispiel Gauland oder Steinbach, als CDU/CSU-Ableger betrachtet werden.

So gesehen kann der Aufstieg der AfD durch Ausgrenzung durch CDU/CSU (die AfD übernahm vielfach die Merkel-Position des Jahres 2000) als eine Art Wählertäuschung betrachtet werden.

Auffallend ist, dass mir weder ein SPD-Politiker oder ein Grün-Politiker und schon gar kein Linkspartei-Politiker bekannt ist, egal welchen Geschlechts, der bzw. die vor der Wahl diese sich abzeichnende Tendenz erkannte und erwähnte.

Die deutsche Linke könnte so gesehen Opfer ihres eigenen antifaschistischen Dogmatismus geworden sein.

Die Ausgrenzung der AfD bei gleichzeitiger Annäherung von CDU/CSU an die FDP dürfte insofern besonders kurios sein, als FDP-Chef Lindner kurz vor der Wahl forciert durch CDU-nahe Medien AfD-Positionen übernahm. Ohne diese Übernahme von AfD-Positionen durch die FDP hätte die FDP wahrscheinlich nicht oder nur ganz wenig dazugewonnen, sondern die AfD ca. 19% erreicht, was vielleicht ein Erdbeben auf internationalen Ebene ausgelöst hätte, so quasi als Wiederauferstehung des Nationalsozialismus in Deutschland von internationalen Medien betrachtet und berichtet worden wäre.

In Anbetracht der Tatsache, dass die FDP nur durch die Übernahme von AfD-Positionen knapp vor der Wahl sowie durch die Ausgrenzung der AfD durch CDU/CSU und deren Koalitionsabsage so stark dazugewann, ist keine Widerlegung der These des Abstiegs der etablierten Parteien, sondern könnte sich als ihre Bestätigung erweisen.

Allerdings kann man für Lindner teilweise entschuldigend gelten lassen, dass der Zwang, die Fünfprozenthürde auf jeden Fall überspringen zu müssen, insbesondere bei existenzbedrohten Kleinparteien zu unvorhersagbaren Meinungsschwenks und Bocksprüngen führen kann.

Die Lindner-FDP könnte den Jojo-Effekt der Ära Westerwelle wiederholen: 15% aus der Oppositionsrolle heraus, darauf hin eine Regierungspolitik, die den Absturz der FDP auf unter 5% und damit den Nicht-Einzug in den Bundestag bedeutet.

Ob diese Jojo-Effekte und diese Kurzfristigkeiten, die die gesamte deutsche Politik prägen, die Politikverdrossenheit erhöhen, bleibt abzuwarten. Die Optik kann jedenfalls auch katastrophal sein. Deutschland bleibt eine mangelhafte Demokratie, wie ich schon in einem meiner vorangegangenen Blogs behauptete, allerdings kann Deutschland in Anspruch nehmen, wegen dem Nationalsozialismus und wegen des von Adolf Hitler herrührenden Mißtrauens auf internationaler Ebene eine mangelhafte Demokratie sein zu müssen. Gerade aus österreichischer Sicht kann man dafür Verständnis haben, muss es vielleicht sogar.

CDU/CSU: 33% (-8,5%)

SPD: 20,5% (-5,2%)

AfD: 12,6% (+7,9%)

FDP: 10,7% (+5,9%)

Linke: 9,2% (+0,6%)

Grüne: 8,9% (+0,5%)

Sonstige: 5,1% (-1,2%)

Die Grünen sind damit nur sechststärkste und kleinste Partei im deutschen Bundestag, was sie sich wahrscheinlich nie vorstellen hätten können. Die Grünen hatten den islamkritischen und migrationsskeptischen Gegenwind gegen sich und hatten die geringsten Gewinne aller Oppositionsparteien, wohl eben deswegen, weil sie von der islamkritischen Stimmung aufgrund ihrer Islam- und Migrationsfreundlichkeit am wenigsten profitieren konnten, auch wenn sie den Oppositionsbonus und die Unzufriedenheit mit der Regierung als Rückenwind hatten.

Der einzige unmittelbare Vorteil dieser Bundestagswahl könnte sein, dass der problematisch hohe Anteil an unwirksamen Stimmen sich von 17% bei der letzten Bundestagswahl von 2013 (was einen Rekord in der deutschen Geschichte darstellte und zur BVerfG-Entscheidung zur Aufhebung der 5%-Hürde auf EU-Wahl-Ebene beitrug) auf 5% senkte.

http://derstandard.at/2000064351608/Deutsche-Bundestagswahl-Prozentuale-Stimmverteilung-Sitze-Koalitionsrechner

Fraglich ist auch, ob die AfD einen Sympathiebonus dadurch bekam, dass sie beim letzten Mal den Einzug in den Bundestag mit seiner 5%-Hürde, die als demokratiepolitisch problematisch betrachtet werden kann, so knapp verfehlte.

Es gibt zahlreiche Demokratien, die entweder niedrigere oder gar keine Einzugshürden haben als die 5%-Hürde in Deutschland. Eine höhere Einzugshürde hat nur die Türkei, die sich immer mehr zu einer islamistischen Diktatur entwickelt, womit sich Deutschland mit seiner hohen Hürde in ausgesprochen schlechter Gesellschaft befindet.

Österreich hat eine niedrigere 4%-Hürde, Israel hat gar keine Einzugshürde. Bei der Gemeinderatswahl in Graz von 2013 IIRC, erreichte die Piratenpartei mit 2% den Einzug. Allerdings kann man Kommunalwahlen mit ihren niedrigen Hürden als Ausgleich für die hohen Hürden auf Bundesebene und als Quasi-Politkindergarten und Polit-Gehschule betrachten.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist vielleicht schwer krank im Sinne der "Ausgrenzeritis", wie der frühere Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ bzw. BZÖ) das nannte.

Merkel hatte nicht nur eine Koalition mit der Linkspartei, sondern auch mit der AfD ausgeschlossen, mit dem voraussehbaren Resultat, dass sie jetzt riesige Probleme hat, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden.

Genau diese Probleme, dass Ausgrenzungspolitik zu Schwierigkeiten führt, nach der Wahl mehrheitsfähige Koalitionen zu bilden, hat Jörg Haider immer wieder in seiner Anti-Ausgrenzungs-Rhetorik thematisiert.

Ganz besonders absurd ist die Ausgrenzungspolitik, weil nach der Wahl Parteien oft überraschende Vorschläge in Zusammenhang mit Regierungsprogrammen machen, die vor der Wahl niemand vorgesehen hatte, wodurch die vor der Wahl bezogenen Ausgrenzungsbeschlüsse als besonders absurd und falsch und lächerlich erscheinen.

CDU, CSU, SPD, Grüne und Linkspartei könnten so gesehen mit ihren je nach Partei unterschiedlichen Ausgrenzungspositionen sich lächerlich machen, die Politikverdrossenheit erhöhen und die Bildung mehrheitsfähiger Koalitionen erschweren und / oder verhindern.

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Noch keine Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach