Es galt als die große Errungenschaft der schwarz-blauen Koalition 2017 bis 2019, nachdem so manches sonstiges wichtiges Vorhaben, wie das Sozialsystemänderungsgesetz wegen Rassismus am Verfassungsgerichtshof gescheitert ist: das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz.
Es sollte - angeblich aus Integrationsgründen - Gesichtsverschleierte mit Strafzahlungen belasten, und somit zu ihrer Integration beitragen. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich jemals eine gesichtsverschleierte Frau gesehen hätte, die sich jubelnd von der Polizei abführen lässt, jubelnd die Strafzahlungen leistet und ausruft: "Oh, wie glücklich bin ich doch, jetzt integriert zu sein!"
Eher war das Gegenteil der Fall: die Frauen, die von der Polizei abgeführt wurden, und die vorgesehene Strafzahlungen leisten mussten, oder ihren Mann um diese Strafzahlung anbetteln mussten, was in manchen Fällen vielleicht den Zorn des Ehemanns nach sich gezogen hat, wirkten immer unwirsch, grantig, unglücklich.
Damals bei der Einführung des Gesetzes haben die Bobos alle möglichen Einwände gebracht: dass auch Leute mit Schals betroffen sein könnten (dieses Gesetz für die Wintermonate auszusetzen, wäre in der Tat eine positive Abmilderung, die viele Muslimas als einen kleinen Schritt in Richtung Integration empfinden könnten), dass auch Clowns betroffen sein könnten. In den elitären und oftmals abgehobenen Polit- und Mediendebatten, die wir hatten, wurde aber ein Aspekt nicht diskutiert: dass ein ganz ähnliches Gesichtsverhüllungsgesetz bereits für Gewalt-Demos und Gewaltdemonstranten gilt, dass diese praktisch immer unbescholtenen und strafrechtlich unauffälligen Muslimas also gesetzgeberisch in einen Topf mit wirklichen Gewalttätern geworfen wurden, wie zum Beispiel den Gewaltdemonstranten des "schwarzen Blocks".
Eben deswegen könnte dieses Gesetz genau den gegenteiligen Effekt dessen gehabt haben, was als angebliche Absicht im Gesetz verankert war, nämlich desintegrativ: durch das Gesetz wurde die Staatsfeindlichkeit unter den Muslimen geschaffen, bzw. gesteigert, was vielleicht auch genau die Absicht von Strache und/oder Kurz war, wobei man bei der ÖVP annehmen kann, dass es ihr eher ums Geld und die Einnahmen gegangen sein könnte, und darum, dass sie mit diesem seltsamen Gesetz einen billigen und blöden Koalitionspartner, nämlich FPÖ/Strache bekam.
Und dann kam im Jahr 2019 Corona, und damit die Maskenpflicht, also die Pflicht, das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz 2017 zu verletzen.

Verbotene Gesichtsverhüllung oben ohne Corona-Maske; erlaubte Gesichtsverhüllung unten mit Corona-Maske

Gab es irgendeinen Anlaß zur Anti-Gesichtsverhüllungsgsetz, außer der Absicht, Muslime staatsfeindlich zu machen ? Hat irgendwann eine gesichtsverhüllte Frau in Österreich einen Terroranschlag begangen ? Nein, soweit ich mich erinnern kann.
Erstaunlich, dass noch keinem Rechtsextremisten die Verschwörungstheorie eingefallen ist, die angebliche Corona-Pandemie sei ein Mittel der ach-so-bösen "Globalisten" gewesen, um die angeblichen "wunderbaren" Anti-Gesichtsverhüllungsgesetze zu umgehen ....
Aber gut, vielleicht wirkte ja die Corona-Sache mit der Maskenpflicht als genau das, was das Anti-Gesichtsverhüllungsgstz fälschlicherweise beanspruchte: nämlich integrativ zu sein.
Text: "Langtitel
Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit (Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – AGesVG)
StF: BGBl. I Nr. 68/2017 (NR: GP XXV RV 1586 AB 1631 S. 179. BR: AB 9800 S. 868.)
§ 1
Text
Ziel
§ 1. Ziele dieses Bundesgesetzes sind die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens in Österreich. Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht.
§ 2
Text
Verhüllungsverbot
§ 2.
(1)Wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Gebäuden seine Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 150 Euro zu bestrafen. Die Verwaltungsübertretung kann durch Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG in der Höhe von bis zu 150 Euro geahndet werden. Öffentliche Orte oder öffentliche Gebäude sind Orte, die von einem nicht von vornherein beschränkten Personenkreis ständig oder zu bestimmten Zeiten betreten werden können, einschließlich der nicht ortsfesten Einrichtungen des öffentlichen und privaten Bus-, Schienen-, Flug- und Schiffsverkehrs.
(2)Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot gemäß Abs. 1 liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, im Rahmen künstlerischer, kultureller oder traditioneller Veranstaltungen oder im Rahmen der Sportausübung erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe hat.
§ 3
Text
Zuständigkeit
§ 3. Die Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen eines Verstoßes gegen § 2 obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, dieser. § 86 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, gilt sinngemäß.
§ 4
Text
Vollziehung
§ 4. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Inneres betraut.
§ 5
Text
Inkrafttreten
§ 5. Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Oktober 2017 in Kraft."
Erstens mal ist schon ungewöhnlich, dass man das angebliche Ziel als §1 ins Gesetz hineinschreibt. Das klingt schon wegen der Unüblichkeit verdächtig, so als hätte man/FPÖ genau das Gegenteil beabsichtigt.
Das angebliche Ziel hineinzuschreiben, ergibt auch einen Haufen an exekutiven Problemen: wenn ein Polizist oder eine Polizistin das Gefühl hat, dass in einem konkreten Fall die Anwendung dieses Gesetzes anti-integrativ wirkt, darf er/sie dann unter Berufung auf §1 dieses Gesetz nicht anwenden, und die betreffende verhüllte Muslima laufen lassen ? Oder muss der/die betreffende Polizist/in das Gesetz auch anwenden und die Muslima abführen und mit Geldstrafe belegen, wenn er/sie das Gefühl hat, dass in diesem Fall die Anwendung anti-integrativ wirkt?
Dieser Fall wird im Gesetz nicht behandelt, und der Widerspruch nicht aufgelöst, was man auch so sehen kann, dass dieses Gesetz unbestimmt und daher verfassungswidrig ist. Laut der VfGH-Judikatur gehört es zum Wesen des Gesetzes-Begriffs, dass ein Gesetz präzise und bestimmt sein muss, damit die Exekutive/Polizei genau weiß, was sie zu tun hat. Womit dieses Gesetz so gesehen verfassungswidrig ist. Allerdings stellt sich die Frage, warum dann die IGGÖ nie versuchte, das Gesetz per VfGH-Klage wegzubringen. Vielleicht war ja die IGGÖ genauso an der Radikalisierung und Desintegration interessiert wie die FPÖ.
Da ich weiß, dass Polizisten und Polizistinnen in der Praxis oft viel street-smarter sind als zynische, abgehoben-elitäre türkis-blaue Gesetzesmacher wie Kurz und/oder Strache, kann man vermuten, dass Polizisten und Polizistinnen sich in der Polizeistation bei den abgeführten und bestraften Muslimas dafür entschuldigten, dass sie dieses blöde Gesetz anwenden müssen, und diese Entschuldigung könnte in der Tat die integrative Funktion haben, die das Gesetz nicht hatte, bzw. die im Gegensatz zum desintegrativen Gesetz stand.