Ich wurde auf die Betriebsfeier unserer Partnerfirma eingeladen, auf Wunsch meines Standortleiters. Normalerweise werden dazu nur Mitarbeiter der höheren Führungsebenen eingeladen. Wie dem auch sei, um meine Betriebsstelle würdig zu repräsentieren, haben meine Frau und ich uns extra schicke Klamotten gekauft.

[Ich überspringe einen Teil und mache es so kurz wie möglich und gebe alles sinngemäß wieder, so wie es erzählt wurde.]

Als wir mit unserem älteren Mittelklasse Kombi am Hotel ankamen, wurden wir vom Personal fast schon mitleidig angesehen. Als sie dann mich erblickten, konnten sie mich überhaupt nicht richtig einordnen und ich hatte den Eindruck irgendwie unnormal überfreundlich und zu zuvorkommend behandelt zu werden.

[Hier überspringe ich einen weiteren Teil und komme zum Hauptteil.]

Unser Hotel war auf dem Anwesen, wo die Veranstaltung stattfand, so konnten wir zu Fuß auf das Veranstaltungsgelände. Anfangs hatte ich das Gefühl, in einem Hollywood-Film zu sein. Denn obwohl keiner in Abendgarderobe herumstolzierte, waren viele schöne und offensichtlich reiche Leute anwesend, vielleicht auch der ein oder andere Adlige und Promi. Natürlich kann ich das nicht genau sagen, weil in dieser Szene kenne ich mich nicht aus, aber es wirkte zumindest so für mich. Geschlechtertechnisch war es recht ausgeglichen und vom Temperament her, waren vom Nackt-auf-den-Tischen-Tanzen-Advokaten bis zur Mauerblümchen-Sekretärin alle vorhanden. Das Buffet war außerordentlich breit gefächert und der Schampus schien auch nicht gerade billig zu sein, also haben wir es uns gut gehen lassen.

Der Großteil der Gäste bestand aus firmeneigenen Personal und Zulieferfirmen, sogar von der Konkurrenz waren einige Leute da. Als ich zwei bekannte Gesichter vom Nachbarstandort erkannt hatte, gesellte ich mich mit meiner Frau dazu und so kam es, dass man die meiste Zeit beinander stand. Ich merkte rasch, dass unsere zaghaften Versuche Kontakte zu knüpfen nicht lange Bestand hatten, weil immer irgendwer wichtiger war oder interessanteres zu erzählen hatte. Die Damen hatten dagegen genügend Gesprächsstoff untereinander und mit anderen Besuchern, so dass wir Männer meist schweigend aber grinsend, den ganzen Gesprächen um uns herum lauschten.

Fachgespräche führten die wenigsten und von der Chefetage ließ sich kaum jemand blicken. Je später die Zeit fortschritt desto mehr Männer kamen auf das Gelände. Das hätte mir egal sein können, aber diese verschiedenen Grüppchen waren nicht nur extrem peinlich in ihrem Verhalten, sie wurden auch zunehmend unverschämt und aggressiv. Als wir erfuhren, dass diese Leute über gar keine Einladung verfügten, wunderten wir uns, weshalb sie nicht einfach rausgeworfen wurden. Viele dieser respektlosen Personen waren nicht einmal Hotelgäste, wie ich Tage später erfuhr. Da fragt man sich im Nachhinein wie sie überhaupt aufs Gelände gelangten.

Was soll ich sagen, die Stimmung wurde immer schlechter. Manche Gäste ignorierten was in dem ein oder anderem Bereich geschah, einige überspielten die Ereignisse mit Alkohol und Tanz, andere gingen rasch in die Innenräume und ein paar Wenige blieben aus Trotz draußen in den hinteren Gärten und beschwerten sich zudem beim Hotelpersonal und bei den Veranstaltern. Es kam mir vor wie Stunden, Geschirr und Interior ging zu Bruch und drei oder vier Frauen wurden nachweislich unsittlich berührt. Letzlich kam es wie es kommen musste, es gab die erste von mindestens zwei Handgemengen.

[Ab hier beschränke ich mich auf das Wichtigste.]

Die Polizei kam, die Beschuldigten waren aber bereits in der Zwischenzeit über alle Berge. Als von einer anderen Gruppe ähnliche Vorfälle ausgingen, griff auch mein Kollege und sein Gesprächspartner sofort beherzt in solch eine Situation ein und stellte die betreffenden Personen zur Rede. Es folgte eine lautstarke Auseinandersetzung, die kurz davor war maximal zu eskalieren. Mitarbeiter des Hotels und irgendwelche Chefs unserer Partnerfirma umzingelten uns regelrecht. Ich war somit ein paar Minuten bevor ich die Feier verlassen wollte, mittendrin.

Nun sollte man meinen, dass durch Zeugenaussagen oder rein aus Loyalität, all diese Leute auf unserer Seite gewesen waren. Nein, im Gegenteil: Wir wurden umgehend des Geländes verwiesen! Denn: Wir würden doch sehen, dass dieser und jener Mann nur betrunken ist und somit unzurechnungsfähig sei und wir sie doch nur bloßstellen wollten. Wir wären die eigentlichen Aggressoren, die uns an Schwächeren vergreifen wollen würden. Es wurde uns der Eindruck vermittelt, als seien wir der Grund gewesen, dass diese Subjekte sich vollgedröhnt und unfassbar rüpelhaft aufgeführt haben. Keiner der Gäste erhob deutlichen Einspruch, nur im Hintergrund hörte man vereinzelt Zustimmung für uns. Am nächsten Tag, im Frühstücksraum habe ich an den Tischen gehört, wie Leute kaum verhohlen getuschelt haben: „Schau mal, das ist doch auch einer von denen, die gestern Stunk gemacht haben“.

In einer inoffiziellen Verlautbarung des Pressesprechers wurde nur verkündet, dass sich einige Gäste auf Grund von zu viel Alkohol in die Haare bekommen hätten. Das käme doch auch auf jeder Kirmes vor und daher sei das eigentlich nicht einmal erwähnenswert. Ich kann mir diesen Umgang mit den Vorkommnissen dieses Abends nur damit erklären, dass dieser Großkonzern vor einigen Jahren ja diesen Riesenskandal hatte, mit dieser Katastrophe, wo leider auch viele Menschen ums Leben kamen. Deswegen wollte man vermutlich keine unnötige, negative Publicity, ebensowenig wie die Hoteleigentümer. Noch Tage später konnte man auf privaten Facebookseiten lesen, dass Mitarbeiter aus meiner Firma und sogar die Branche generell zwielichtig wären und somit Geschäfte mit unserem Unternehmen und dessen Produkten überdacht werden sollten.

Mit welchen Geschehnissen der Zeitgeschichte verknüpfen Sie diese Schilderung?

Einfachheitshalber ist diese "Geschichte" in Ich-Form geschrieben.

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