Ich mach Urlaub mit Jakob

Ich kenne eigentlich keinen Jakob. Aber ich war mit ihm auf Urlaub. Klingelt‘s?

Der genannte Jakob ist kein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut. Er war es vielleicht einmal. Der angesprochene Apostel Jakobus ist Namensgeber für einen der berühmtesten Wanderwege der Welt: dem Jakobsweg in Spanien. Die Spanier sagen dazu: "Camino de Santiago". Selbst Menschen, die mit dem Weitwandern, Pilgern, Wallfahrten oder Wandern nichts am Hut haben, kennen den blasenfördernden, heißen, touristischen Hape-Kerkeling-Weg.

Ich möchte mich nicht in irgendwelchen religiösen oder spirituellen Sphären verlieren, das haben schon andere für mich erledigt. In einer Zeit, in welcher Burn-Out die westliche Welt überschwemmt und „Auszeiten“ anschwellen, nimmt der Jakobsweg als Überdruckventil keine untergeordnete Rolle ein. Wer sich auf den Weg macht und zwei, drei oder mehrere Wochen auf Schusters Rappen unterwegs ist, macht quasi Urlaub. Auch wenn damit der klassische Palmen-Pool-Cocktail-Urlaub nicht getroffen wird und es gewagt erscheint, eine dauernde körperliche Anstrengung als Urlaub zu bezeichnen, aber es ist Urlaub für einen wichtigen Teil von uns: den Kopf.

Wenn man tagein, tagaus nur mit Dingen wie „hoffentlich sind in der Unterkunft keine Bettwanzen“ beschäftigt ist, ändert sich die Gedankenwelt in unserem Kopf. Der Alltag von "damals" tritt weit in den Hintergrund und flirtet teilweise mit dem absoluten Nullpunkt, wobei „Nullpunkt“ nicht als etwas Negatives assoziiert wird. Wer nach dem Jakobsweg ein gänzlich anderes Leben mit neuen Menschen und neuer Umgebung beginnt, hat den absoluten Nullpunkt erreicht (und ja, solche Menschen gibt es).

Den Alltag am Jakobsweg dominieren das Tragen eines Rucksackes, das Schnüren der Wanderschuhe, die Suche nach einer Unterkunft und nach Essen. Diese äußerst banalen Tätigkeiten ermöglichen die, von den meisten Jakobsweg-Pilgermenschen gewünschte, Ausmist-Aktion im Hirn. Wer sich stundenlang nur mit dem Gehen beschäftigt, beginnt im Kopf zu schaufeln und zu ordnen. In der Sprache der Computer-Generation ausgedrückt: das ist wie Festplatte defragmentieren, jedoch nicht formatieren. Es wird nichts gelöscht, es wird geordnet und Unnützes beiseite geschoben. Somit ist Platz für die wirklich wichtigen Gedanken im Leben.

Vielen Menschen, inklusive mir, hat der Jakobsweg im weiteren Leben und im beruflichen sowie im privaten Alltag sehr geholfen. Es war mein bislang schönster Urlaub. Jakob hat’s voll drauf.

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